„Sie müssen einfach empörter sein“, ermahnte mich mein Sprecher, als in meiner Zeit als Bundesministerin mal wieder eine frauenpolitische Rede anstand. Ich gebe zu, empört sein ist echt nicht meine Kernkompetenz. Vor allem in frauenpolitischen Fragen nicht, denn so oft wurde ich das Gefühl nicht los, dass manche allseits beklagte „Diskriminierung“ vor allem auf unterschiedliche Verhaltensweisen von Männern und Frauen zurückzuführen ist. Und dass solche unterschiedlichen persönlichen Präferenzen auch eine Bundesfrauenministerin nach meinem Staatsverständnis schlicht nichts angehen. Zumindest hat sie keine Werturteile darüber zu fällen, ob die Art, wie Frauen und Männer in der Familie ihr Leben organisieren, nun „antiquiert“, „überkommen“ oder „modern“ und „fortschrittlich“ ist.
Beim alljährlichen „Equal-Pay-Day“, dem Tag also, an dem die unterschiedlichen durchschnittlichen Verdienste von Männern und Frauen angeprangert werden, tat ich mir immer besonders schwer. 22 Prozent beträgt in Deutschland der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Stundenlohn einer Frau und dem eines Mannes. Empörend? Zur Berechnung dieses unbereinigten Gender-Pay-Gaps werden alle Frauen- und Männergehälter zusammengezählt und durch die vom jeweiligen Geschlecht geleisteten Arbeitsstunden geteilt. Der gelegentlich vorgebrachte Vorwurf, der Gender-Pay-Gap berücksichtige nicht, dass Frauen häufiger Teilzeitarbeit leisteten, trifft also nicht zu: Es geht um Stundenlöhne.
Äpfel und Birnen verglichen
Dennoch sagt die Zahl von 22% praktisch nichts aus, zumindest nichts darüber, wie in Deutschland Männer und Frauen im selben Beruf, mit vergleichbarer Qualifikation, Erfahrung und Einsatzbereitschaft bezahlt werden. Denn die Gruppen der Männer und Frauen, deren Durchschnittsgehälter hier verglichen werden, weisen nun mal unterschiedliche, für das Gehalt aber ausgesprochen relevante Merkmale auf. Die Qualifikation ist das augenscheinlichste: 84% beträgt derzeit der Männeranteil beim Studium der Elektro- und Informationstechnik, 77% der Studenten der Germanistik sind Frauen. Und selbst in der Betriebswirtschaftslehre, die inzwischen von immerhin 48% Frauen studiert wird, kaprizieren sich die Studentinnen nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte häufiger auf Marketing und Personalwirtschaft, während die Studenten häufiger die lukrativeren Schwerpunkte Accounting, Controlling, Wirtschaftsprüfung und Wirtschaftsinformatik wählen. Wenn also mit dem Gestus der Empörung auf die Lohnlücke von 22% verwiesen wird, dann wird im Kern angeprangert, dass Unternehmen den E-Techniker besser bezahlen als die Germanistin (übrigens auch die E-Technikerin besser als den Germanisten. Aber diese Konstellation gibt es eben nicht so häufig.). Kann man das Unternehmen ernsthaft zum Vorwurf machen?
Wohl kaum. Dennoch hält sich der Mythos über die 22 Prozent, die Frauen für gleiche Arbeit weniger verdienten als Männer, hartnäckig. Als Ministerin habe ich eine besonders eifrige Verfechterin dieser These mal gefragt, warum dann nicht mehr Unternehmen auf die Idee kommen, nur Frauen einzustellen und so 22 Prozent der Lohnkosten zu sparen. „Da sehen Sie mal, wie heftig die Vorurteile gegenüber Frauen sind, dass die Unternehmen freiwillig auf diesen Profit verzichten“, wurde mir daraufhin nach einer kurzen Schrecksekunde todernst mitgeteilt.
Etwas beweglichere Geister haben flugs das Wörtchen „gleichwertig“ dem gängigen Vorwurf hinzugefügt. „Noch immer erhalten Frauen durchschnittlich 22 Prozent weniger Entgelt als Männer – für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Das ist die Realität für erwerbstätige Frauen in Deutschland.“, hieß es im gemeinsamen Aufruf von DGB, Deutschen Frauenrat und Sozialverband Deutschland zur zentralen Kundgebung zum Equal-Pay-Day 2016 am Brandenburger Tor, an der sich auch Vertreterinnen meiner Partei beteiligten. Ich verstehe, dass der DGB gerne ex Cathedra festsetzen möchte, welche Arbeit in Deutschland gleichwertig ist. Und als Soziologin (Nebenfächer: Philosophie und Geschichte) fände ich es auch prima, wenn endlich mal amtlich festgestellt würde, dass Geisteswissenschaftler für Unternehmen genauso wertvoll sind wie Naturwissenschaftler. Bloß: in einer freien Markwirtschaft entscheiden das die Unternehmen. Und das wollen zumindest die Kolleginnen aus meiner Partei (hoffentlich!) auch nicht ändern.
Unterschiedliche Berufswahl und Prioritäten
Dass sich das Studiums- und Berufswahlverhalten von Männern und Frauen beharrlich so stark unterscheidet, ist offenkundig und erklärt einen gewichtigen Teil des Lohnunterschieds zwischen Männern und Frauen. Auch weitere wichtige Faktoren sind wissenschaftlich weitgehend identifiziert, wenn man sie herausrechnet, kommt man zu einer „bereinigten“ Lohnlücke, die je nach Anlage der Studie zwischen acht Prozent (Statistisches Bundesamt) und zwei Prozent (Institut der deutschen Wirtschaft) liegt:
- Frauen sind seltener in Führungspositionen vertreten.
- Frauen üben häufiger Teilzeitbeschäftigungen aus oder arbeiten in Minijobs.
- Frauen unterbrechen nach der Geburt eines Kindes häufiger ihre Tätigkeit und verfügen somit über weniger Berufserfahrung.
„Aber gerade diese Punkte, die für die Lohnlücke verantwortlich sind, riechen doch alle bereits selbst nach Diskriminierung!“, sagen die einen. Und deren Narrativ findet man in den letzten Jahren vom Heute-Journal bis zur kleinsten Lokalzeitung so ziemlich überall: Frauen sind deswegen seltener in Führungspositionen vertreten, weil sie in ihren Unternehmen „an gläserne Decken stoßen“, arbeiten häufiger in reduzierter Stundenzahl, weil sie „in die Teilzeitfalle gedrängt werden“ und bleiben nach der Geburt eines Babys häufiger zu Hause, weil sie „verkrustete Rollenbilder nicht aufbrechen können“.
Vielleicht treffen hier aber einfach auch Menschen Entscheidungen. Entscheidungen darüber, was ihnen in ihrem Leben wirklich wichtig ist. Und gerade rund um die Geburt eines Kindes neigen Frauen dazu, diese Entscheidungen anders zu treffen als Männer. Die britische Soziologin Catherine Hakim hat dies 2011 beispielhaft für die Apothekenbranche untersucht. Bei 27% liegt die Lohnlücke zwischen Apothekerinnen und Apothekern in Großbritannien. Diskriminierung? Hakim zeigte eindrucksvoll, dass sich schlicht die Präferenzen unterscheiden. Apothekerinnen legen häufiger Wert auf Teilzeitmöglichkeiten, geregelte Arbeitszeiten und einen pünktlichen Arbeitsschluss. Männliche Apotheker sind hingegen wesentlich häufiger unter den Eigentümern von Apotheken zu finden, mit entsprechend längeren und ungeregelteren Arbeitszeiten und der Verantwortung der Selbständigkeit. Die höhere Risikobereitschaft in Verbindung mit höherem Zeitaufwand bringt Apothekern also mehr Geld. Oder umgekehrt formuliert: Der Verzicht auf mehr Geld bringt Apothekerinnen mehr Zeit und persönlichen Freiraum.
Freie Wahl der Unterschiede
Dies dürfte auf die meisten Branchen übertragbar sein und ich wundere mich immer, wie unisono gerade die kapitalismuskritische Linke dabei die Frauen in der Verlierer- und die Männer in der Gewinnerrolle sieht. Mir erscheint dieser Befund nicht so klar, denn ich glaube nicht, dass allzu viele Menschen auf dem Sterbebett bereuen, zu wenig Zeit im Büro verbracht zu haben. Und die gute alte Ehe mit ihrer Zugewinngemeinschaft schafft hier auch im Scheidungsfall einen doch recht fairen Ausgleich, der übrigens auch die Altersversorgung umfasst (Stichwort: Gender-Pension-Gap).
Catherine Hakim wurde für ihre Präferenztheorie heftig kritisiert. Wikipedia fasst diese Kritik lakonisch zusammen: „Ein zentraler Kritikpunkt ist der von Hakim angenommene kausale Zusammenhang zwischen Präferenzen und Verhalten: Laut Hakim verursachen Präferenzen Handlungen.“ Präferenzen verursachen Handlungen, das ist in der Tat eine kühne These – zumindest für eine Soziologin. Soll neben all den gläsernen Decken, Teilzeitfallen und verkrusteten Rollenbildern tatsächlich auch der freie Wille eigenverantwortlicher Menschen eine Rolle spielen? Und, das macht diesen Befund ja so empörend, soll man auch noch einfach hinnehmen, dass dieser freie Wille bei Männern und Frauen mitunter unterschiedlich ausfällt?
Viele, die gegen den Gender-Pay-Gap kämpfen, kämpfen nicht nur gegen fundamentale Prinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft. Sondern sie können auch einfach die ungleichen Präferenzen und Verhaltensweisen der Geschlechter nicht ertragen. In einem freien Land wie Deutschland wird es diese Unterschiede aber immer geben. Und praktischerweise damit auch Frauenpolitik in diesem Sinne niemals überflüssig werden.