Tichys Einblick
Dokumente zeigen Fehlverhalten

Visa-Affäre: Baerbock-Amt wollte kritische Mitarbeiterin kaltstellen

Bei der neuen Visa-Affäre gibt es nicht nur Ermittlungen durch Kriminalpolizei und Justiz. Dokumente belegen seit langem groteske Fehleinschätzungen bei der Visa-Vergabe. TE liegen E-Mails dieser Vorgänge vor. Danach scheint sogar eine Staatssekretärin Baerbocks in die Visa-Vergaben verwickelt zu sein.

IMAGO - Collage: TE

In Deutschland und Europa wächst die Kluft zwischen Justiz und Politik. Auf der EU-Ebene kann Ursula von der Leyen, gegen die verschiedene Staatsanwaltschaften (auch die der EU) ermitteln und gegen die der EuGH vorgestern ein fast vernichtendes Urteil sprach, das der Kandidatin rechtswidriges Verhalten attestierte, erneut zur Präsidentin der Kommission gewählt werden. Im Auswärtigen Amt in Berlin interessieren weder staatsanwaltliche Ermittlungen noch kriminalpolizeiliche Überprüfungen, noch der Eindruck, der in der Öffentlichkeit durch beide sowie die bekannten Einzelheiten zur neuen Visa-Affäre des Baerbock-Amtes entsteht.

Die Staatsanwaltschaften von Berlin und Cottbus ermitteln gegen mehrere hochrangige Mitarbeiter des Amts. Die Kriminalpolizei überprüft derweil tausende Visa-Vergaben auf ihre Rechtmäßigkeit. Geleakte Akten belegen in Einzelfällen, mit welcher Willkür dafür gesorgt werden sollte, dass ein vermeintlich bedürftiger Afghane nach Deutschland einreisen konnte, obwohl er über keine Papiere verfügte, die seine Identität zweifelsfrei belegten. Es versteht sich von selbst, dass eine Sicherheitsüberprüfung in solch einem Fall objektiv unmöglich ist.

Ein „Referent für Verwaltungsstreitverfahren in Visumsachen“ schrieb damals: „Die Anwältin hat jetzt mitgeteilt, dass der Pass damals mit dem Nachbarn besorgt worden sei, weil der Nachbar den Antragsteller mit nach Pakistan nehmen wollte und sich ‚um die Dokumente kümmerte‘. Der Antragsteller erinnert sich, ‚dass die Computer damals nicht richtig funktioniert hätten und der Fingerabdruck direkt auf den Pass gedruckt werden musste‘. – Eine abenteuerliche Geschichte, aber in Afghanistan dürfte sowas jedenfalls nicht undenkbar sein (…)“ So die abenteuerliche Einschätzung des Visumrechts-Experten beim Auswärtigen Amt. Am Ende der E-Mail steht auch der Name des Mitarbeiters, der hier als „Referent für Verwaltungsstreitverfahren in Visumsachen – Desk Officer“ agiert und pikanterweise anscheinend noch im Oktober 2022 für „Korruptionsprävention“ im Auswärtigen Amt zuständig gewesen ist.

Pass vom „Nachbarn“ mit improvisiertem Fingerabdruck

Auf die simple Verknüpfung, dass der „Nachbar“ vielleicht eher unter der Berufsbezeichnung „Schlepper“ zu klassifizieren wäre und die Computer im afghanischen Passamt eventuell doch funktionierten, man den minderwertigen Fingerabdruck aber irgendwo anders ‚improvisiert‘ hatte, kam der Beamte hier nicht, stattdessen hielt er in Afghanistan so einiges für möglich, was ihm in Deutschland sicher weder denkbar noch wünschenswert schien. Der Karl-May-Exotismus vom „wilden X-istan“ stirbt in deutschen Köpfen offenbar zuletzt. Er lebt und regiert das Land.

Der Vortrag gipfelte in der Feststellung: „An der Identität des Antragstellers bestehen nach der ausführlichen Befragung des Bruders in der mündlichen Verhandlung keine Zweifel, falscher Pass hin oder her, zumal wir auf afghanische Personenstandsdokumente ja sowieso nicht viel zählen, aus dem genau diesem (sic!) Grund.“ Und natürlich teilte sich der „Bruder“ vom Mohammad Ali G. vor Gericht nur mithilfe eines Dolmetschers mit, was die Glaubwürdigkeit eines solchen Zeugnisses dann doch erheblich einschränkt.

Dieses flapsige Schreiben weist sich von ganz allein als der Gipfelpunkt einer Visa-Affäre aus, wie sie Deutschland vielleicht wirklich noch nicht gesehen hat. Das jedenfalls war die Einschätzung des in diesen Dingen als Beobachter erfahrenen Hans-Georg Maaßen gegenüber TE, der schon die Visa-Affäre eines Baerbock-Vorgängers aus der Nähe beobachten durfte – nämlich die von Joschka Fischer.

Doch trotz dieser Fälle sieht das Auswärtige Amt keine „Anhaltspunkte für eine Verletzung von dienst- oder arbeitsvertraglichen Pflichten durch die Beschäftigten, die die Einleitung disziplinar- oder arbeitsrechtlicher Maßnahmen rechtfertigen würde“, wie nun Business Insider aus einer Antwort der Bundesregierung auf die Frage des Abgeordneten Christian Leye (BSW) zitiert.

Leye findet das „ein starkes Stück“ und hat den Eindruck, als ob „in dieser Affäre niemand zu tief graben“ möchte, „aus Angst vor dem, was ans Licht kommen könnte“. Ja, das könnte so sein, aber ist es wirklich Angst? Oder vielmehr kalte Berechnung der insgesamt mitverantwortlichen Leitungsebene, die genau weiß, was da ans Licht käme? Jedenfalls meint Leye (nicht zu verwechseln mit der bestätigten EU-Kommissionspräsidentin), dass in anderen Ministerien „schon bei weit weniger schwerwiegenden Vorfällen interne Untersuchungen angestellt“ worden wären. Man könnte an das Bildungsministerium denken, in dem jüngst wegen des Vorgehens gegen Antisemitismus in der Forschung der Kopf einer Mitarbeiterin rollte. Ein klassisches Bauernopfer für die Ministerin, aber sogar das scheint dem Auswärtigen Amt ein zu hoher Tribut an die ungünstige Nachrichtenlage. Mauern taugt da schon eher.

Mitarbeiterin hatte Bedenken – und sollte abgezogen werden

Business Insider kann zudem mit einem weiteren Beleg für dieselbe Haltung aufwarten. Der Eindruck, dass „der Visa-Pfusch von der Führungsebene befördert wurde“, verstärkt sich so laut BI. Es ist ein Vorfall aus der deutschen Botschaft in Islamabad, Pakistan, einem der neuralgischen Punkte der Visa-Affäre rund um das Baerbock-Amt. Gleich mehrere Quellen aus Regierungskreisen haben demnach berichtet, dass die Leiterin des Rechts- und Konsularreferats (rk-1) in Islamabad Ende letzten Jahrs von allen Aufgaben abgezogen werden sollte – offenkundig, weil sie Bedenken gegenüber den immer gleichen Anweisungen aus der Berliner Zentrale hatte. Kurz gesagt, wollte Berlin „schnelle und wohlwollende“ Prüfungen, in Pakistan selbst wünschte sich die Mitarbeiterin eher eine gründliche und kritische Prüfung der Anträge. Außerdem sei die Mitarbeiterin „zu kooperativ“ gegenüber der beratenden Bundespolizei gewesen. Auch das missfiel ihren Oberen.

Auch Baerbocks Staatssekretärin Susanne Baumann war Berichten zufolge in diese Maßregelung eingebunden. Baumann ist studierte Juristin, parteilos und wird seit 1993 im „höheren Auswärtigen Dienst“ verwendet. Seit dem Amtsantritt Annalena Baerbocks als Außenministerin im Dezember 2021 ist sie eine von inzwischen drei Staatssekretären ohne Parteibuch im Auswärtigen Amt, neben Ex-Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan. Daneben gibt es drei parlamentarische Staatssekretärsposten, die alle von Grünen besetzt sind.

Susanne Baumann ist auch für Rechtsabteilung 5 des Auswärtigen Amtes zuständig, zu der wiederum das Referat 509 gehört, zuständig für „Visumrecht“, also unter anderem „Einzelfälle und justizielle Streitverfahren in Visumangelegenheiten“. Aus diesem Referat kam die E-Mail, aus der weiter oben im Text zitiert wurde und die gewissermaßen die Grundlage des Visumsskandals beim Auswärtigen Amt ist, der Anlass, noch viele Fälle mehr für möglich zu halten, die sich ähnlich abgespielt haben.

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