Tichys Einblick
"Vierkampf"

Der Mehrheitsbeschaffer — Lindners Offerte für Rotgrüngelb

Wenn es um Windräder geht, will der FDP-Chef die Rechte der Bürger einschränken. Das machte Lindner im "Vierkampf" ebenso deutlich, wie seine Offenheit zur Koalition mit Grünen und SPD.

Screenprint: ARD/Vierkampf

Gestern Abend diskutierten die Vertreter von AfD, CSU, FDP und Linke (Reihenfolge nach dem noch unpolitischen Alphabet) in der ARD in der Sendung „Vierkampf“. Moderiert wurde die Diskussion von den Chefredakteuren des WDR und des BR, Ellen Ehni und Christian Nitsche, die in der Sendung einen der Gründe für den Verlust an Qualität und Pluralismus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen offenbarten. Denn so ganz genau wussten die Redakteure nicht, wozu sie gebeten worden waren, dafür die Vertreter der Parteien umso besser. Die Redakteurin verabschiedete die Vertreter der Parteien mit der Anrede „liebe Kandidatin und liebe Kandidaten“ und dachte womöglich, es mit den Kanzlerkandidaten-Kandidaten zu tun zu haben. 

Auffällig war zudem, dass die Moderatoren Behauptungen als Tatsachen und wissenschaftlich höchst problematische Thesen als wissenschaftliche Erkenntnisse verkauften, wie die vom allein vom Menschen verursachten Klimawandel. Die Sonne als bedeutenden Faktor des Klimas war den Moderatoren offenbar unbekannt. Weil für sie offensichtlich den ganzen Tag die Sonne nicht scheint, zahlen wir aus Mitleid natürlich die Gebühren gern. 

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Als noch auffälliger erwies sich allerdings, dass CSU, FDP und LINKE der Klimaapokalyptik der Moderatoren nicht widersprachen, sondern nur mehr darüber in den Wettstreit gerieten, ob wir ab 2031 oder ob wir etwas später nicht mehr atmen können, weil wir das Klima nicht vor dem hinterlistigen Feind CO2 geschützt haben. Die Angst im Mittelalter und in der Neuzeit vor dem Teufel, ist im 21. Jahrhundert der Angst vor dem satanischen CO2 gewichen, die Exorzismen erfuhren eine effiziente Modernisierung. Christian Lindner sprach immer von Deutschland als vom Land der Wissenschaftler und Techniker. Sind wir das denn noch? Lindners Worte klangen in dieser Hinsicht doch sehr nach der Rede eines Lehrerfunktionärs der fünfziger Jahre. 

Auch Alexander Dobrindt, der eher wie Lindners Cousin aus Bayern wirkte, akzeptierte die Klimaapokalyptik und versuchte die Camouflage des ermüdenden Kampfes um Fristenverlängerung und um eine wirtschaftsfreundliche Gestaltung als eigenen Weg glaubhaft zu machen. Doch wenn die Prämissen falsch sind, kann es auch keine richtige Lösung geben – Logik bereits für Anfänger. Lindners und Dobrindts Traum vom Land der Wissenschaftler und Ingenieure gewinnt ein Symbol im großen H, dem Wasserstoff als Energieart der Zukunft. Aber auch dem großen H zuliebe will Lindner Windräder und noch mehr Windräder aufstellen – und zwar ins Meer, off shore. So wie ein Windrad an Land erheblich Boden versiegelt, Wälder für diese neuen  Parks gerodet werden – nicht nur für die Aufstellung selbiger sondern auch für die Schneisen, die man für die Baufahrzeuge benötigt und natürlich für die Stromtrassen – , und letztlich Tierpopulationen vernichtet von Vögeln, über Fledermäuse bis Insekten und Bewohner des Erdreiches vertreibt, so richtet ein Off-Shore-Windpark nicht weniger Schaden an, beginnend bei der Versiegelung und Zerstörung des Meeresbodens bis hin zu gefährlichen Verwirbelungen. Wurden eigentlich einmal die Auswirkungen, die Wellenbewegungen, die von off-shore Windparks ausgehen, untersucht? 

Alexander Dobrindt gelingt es sogar, einen Nationalismus ganz eigenen Charmes hervorzuzaubern, als er völlig faktenbereinigt behauptet, dass Deutschland die „älteste Industrienation der Welt“ sei. Das ist zwar bekanntlich England, aber egal, für Dobrindt ist das nur der Ausgangspunkt für die Forderung, dass aus diesem Grund, der historisch nicht existiert, Deutschland deshalb einen Sonderweg einschlagen muss, auch wenn niemand folgt, und vorauszugehen hat – ins Nirvana allerdings. 

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Neue Positionen hat man nicht gehört. Die Linke forderte, mitunter mit überschlagender Stimme im Stakkato der Phrasen, das, was sie immer so fordert, gewürzt mit einigen leninistischen Oldies wie dem System der kollektiven Sicherheit. CSU und FDP überraschten nicht durch konservative oder liberale Positionen. Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, was über die Reduktion der Einspruchsmöglichkeiten von Bürgern und Bürgerinitiativen geht, also über die Einschränkung der Bürgerrechte, ist wirklich die erstaunliche Transformation liberaler Positionen im Zeichen des großen H. 

Die spannendste Frage des Abends ging an Christian Lindner, von dem die Moderatoren wissen wollten, ob die FDP in eine rotgrüngelbe Koalition gehen würde. Die Frage kam zwar für niemanden überraschend, nicht einmal für Christian Lindner, so gut vorbereitet, wie er darauf war. Auch die Antwort widerlegte keine Erwartungen, wichtig aber ist, dass sie gegeben wurde.

Lässt man die vielen Konditionalisierungen und Rückversicherungen weg, lautet sie in Kurzform: im Prinzip ja. Lindner wählte für seine Antwort die größt vorstellbare Blume, durch die er sprach. Wenden wir zum Verständnis der Antwort des FDP-Vorsitzenden den Dreischritt an: 

Erstens: Statt die Frage zu bejahen oder zu verneinen, formulierte er äußerst großzügig die Grundbedingungen, unter denen die FDP bereit wäre, zu ampeln. 

Zweitens formulierte Lindner die Rechtfertigung, die seine FDP dann für die Ampel verwenden wird. Einmal dürfen Sie raten, mehr ist nicht erforderlich: Es ist natürlich die staatspolitische Verantwortung. Die arme FDP wird nur aus staatspolitischer Verantwortung Ja sagen zu Ministerposten und zu allem, was dazu gehört. In der Migrationspolitik und in den Fragen der Ehe und der Verwirklichung von LGBTQ-Forderungen weisen die Wahlprogramme der Grünen und der FDP erhebliche Übereinstimmungen und Nähen auf, in Fragen des sogenannten Klimaschutzes wird man problemlos zu Kompromissen finden, da man das Grundideologem teilt.

Scholz, Habeck und Baerbock werden der FDP entgegenkommen, weil ihnen an einer Ampel gelegen wäre und Rotgrünrot für sie eine schwierige Konstellation darstellt, nicht nur wegen außenpolitischer Fragen, die man sehr gern vor andere, vielleicht sogar tiefere Probleme stellt. Mit der FDP über den Weg des Kompromisses können sowohl Scholz, als auch Baerbock und Habeck, die gemäßigt sind, die radikalen Kräften in ihren Parteien zügeln, in einer rotgrünroten Koalition würden jedoch ihre radikalen Kräfte zu gemäßigten. Hinter den Kulissen kämpfte die Linke längst um ein Bündnis mit einflussreichen Kräften der SPD und der Grünen, um rotrotgrün dennoch durchzusetzen. Die Frage der Koalition wird deshalb zeigen, wer eigentlich bei der SPD und bei den Grünen das Sagen hat. 

Last not least hat Lindner sich drittens bereits maliziös bei Dobrindt entschuldigt, wenn man trotz der größeren Übereinstimmung zu den Rotgrünen überläuft, mit dem berechtigten Vorwurf: Ihr seid leider halt zu schwach, wie sich in letzter Zeit überraschend gezeigt hat. Das hat schon das Niveau eines Fußtritts und ist zumindest in der etwas vergifteten Art die Retourkutsche für Ziemiaks Angriff auf die FDP. Lindner betonte, dass die FDP eine eigenständige Partei wäre, so eigenständig und so anpassungsfähig, dass sie mit allen koalieren könnte, mit Ausnahme mit der AfD und den Linken. 

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Der interessanteste Moment des Abends war allerdings der, als Alice Weidel in einem Punkt die Gemeinsamkeit mit der FDP herausstellte, man in Lindners Augen kurz die Panik aufblitzen sah und dann die fieberhafte Suche miterleben durfte, wie man sich von der tatsächlichen Übereinstimmung distanzieren könnte. Christian Lindner teilte weit unter seinem Niveau gegen die AfD aus – Distanzierung war nun alles. Lindners Konter war schwach und widersprach Weidel sogar in der Sache nicht. Eigentlich hätte er Weidels Bezug souverän rechts liegen lassen können. Die große Attitüde, die Christian Lindner mit talmihafter Gravität – in jedem Halbsatz sein eigenes Denkmal – in der Diskussion bemühte, verflüchtigte sich plötzlich und man sah einen Mann vor sich, der einen zu großen Anzug trug. In diesem Augenblick erinnerte man sich wieder an den Christian Lindner, der einen FDP-Ministerpräsidenten zum Rücktritt zwang in Ausübung des Wunsches der Bundeskanzlerin – und sich mehrfach für dessen demokratische Wahl entschuldigte, so oft, dass er Bundestagsmeister in öffentlicher Entschuldigung wurde. 

Was die Sendung eben auch zeigte, waren zwei Dinge. Erstens, dass die FDP vielleicht eine eigenständige Partei sein möchte, aber in Wahrheit ein Mehrheitsbeschaffer ist, und zweitens, dass die Freiheit in der FDP eine untergeordnete Rolle spielt. 

Aber eines soll gerechterweise nicht verschwiegen werden. Die FDP befindet sich in der Tat in einer schwierigen Lage. Geht sie in eine Ampel-Koalition, wird es danach keine FDP im Bundestag mehr geben, verweigert sie diese Koalition, sind die Aussichten nicht viel besser. Die FDP ist zu wenig eigenständige Partei, als dass sie durch Skylla und Charybdis unbeschadet hindurch käme.

Aber vielleicht geschieht noch ein Wunder – und es reicht entgegen den vorliegenden Zahlen für Schwarz-gelb oder wenigstens für Schwarz-gelb-grün oder – rot. 


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