Tichys Einblick
Pistorius’ erster großer Flop?

Verwirrspiel um den neuen Kampfhubschrauber

Im Frühsommer 2023 hatten wir hier auf TE zweimal davon berichtet, dass die Bundeswehr als „Brückenlösung“ für den anfälligen Kampfhubschrauber „Tiger“ 84 Stück des Airbus-Hubschraubers H145M anschaffen will.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, Deutscher Bundestag, Berlin, 29.11.2023

IMAGO / Future Image

Im Frühsommer 2023 hatten wir hier auf TE zweimal davon berichtet, dass die Bundeswehr als „Brückenlösung“ für den anfälligen Kampfhubschrauber „Tiger“ 84 Stück des Airbus-Hubschraubers H145M anschaffen will.

Was auch immer auf der anderen Seite der „Brücke“ angedacht ist: Der eigentlich relativ neue Kampfhubschrauber „Tiger“ war immer seltener voll einsatzfähig gewesen. Es war die Rede von einem „Klarstand“ von nur 40 Prozent.

Dieser „Tiger“ als deutsch-französisches Produkt war an die Bundeswehr zwischen 2013 und 2018 (Stückpreis rund 35 bis 40 Millionen Euro) ausgeliefert worden. Die 51 „Tiger“-Kampfhubschrauber wurden aber rasch zum Auslaufmodell. Ab 2025 habe der „Tiger“ nur noch „temporäre Fähigkeitseinschränkungen“, und die „Tiger“-Flotte solle ab 2027 reduziert werden, so hieß es bald. Ferner: Ab 2029 seien die „Tiger“-Kampfhubschrauber der Bundeswehr nicht mehr für die Landes- und Bündnisverteidigung einsetzbar.

Dann war im Frühsommer 2023 davon die Rede, dass die Bundeswehr den zum Kampfhubschrauber aufgemotzten H145M von Airbus, bislang vor allem als ADAC-Rettungshubschrauber genutzt, bekommen soll. Kostenpunkt, so hieß es damals: insgesamt rund 3,05 Milliarden Euro, also Stückpreis rund 36 Millionen. Zunächst sollte mit Airbus lediglich ein Rahmenvertrag für nur 62 Hubschrauber (also nicht wie geplant 84) aufgesetzt werden; 57 davon sollten an das Heer, fünf an die Luftwaffe gehen. 24 der 62 sollten bewaffnet werden. Zwei Drittel der Anschaffung würden aus dem 100-Milliarden-„Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden) finanziert werden, der Rest aus dem herkömmlichen Verteidigungshaushalt.

Nun steht Ende 2023 Überraschendes in amtlichen Papieren: Angeblich seien für die Anschaffung von bis zu 82 Maschinen (wieder eine neue Zahl!) einst „nur“ 1,833 Milliarden Euro eingeplant gewesen. Ein Verwirrspiel an Zahlen! Allerdings nähert sich die Anschaffung preislich dann doch der alten Marke von den damals 3,05 Milliarden: Das ganze Projekt soll jetzt rund 900 Millionen Euro teurer werden: also 1,833 Milliarden + 900 Millionen = 2,733 Milliarden. Das geht aus vertraulichen Unterlagen an das Parlament hervor, das nach Wunsch der Bundesregierung grünes Licht für den Kauf geben soll.

Machen wir uns nichts vor: Hier wird wohl getrickst. Denn offenbar ist die Finanzierung doch nicht in den berühmten trockenen Tüchern. Wer soll zumal nach dem jüngsten Karlsruher Haushaltsurteil und angekündigten Haushaltssperren ausgetrickst werden? Vermutlich der Haushaltsausschuss des Bundestages? Nicht ganz von der Hand zu weisen ist die Vermutung, dass sich das Verteidigungsministerium mit seiner frühen Festlegung auf Airbus obendrein eben diesem Konzern ausgeliefert hat. Airbus sitzt seitdem am längeren Hebel.

Laut vertraulichen Unterlagen, die „business insider“ vorliegen, geht das Ministerium nun davon aus, dass spätestens ab 2028 der Mehrbedarf über einen dann möglicherweise höheren – dem 2-Prozent-Nato-Ziel angepassten – regulären Verteidigungsetat gedeckt ist. Was wiederum in den Sternen steht und ohnehin weit in die nächste Legislaturperiode des Bundestages hineinreicht.

Zahlreiche Warnungen vor dem H145M und seltsame Zahlenspiele

Nicht ausgeräumt sind nach wie vor Zweifel, ob der neue H145M überhaupt einsatztauglich ist. Der seit Ende 2022 vor allem durch Rüstungs-Staatssekretär Benedikt Zimmer vorangetriebene H145M-Deal ist sowohl im Verteidigungsministerium, als auch im Beschaffungsamt (BAAINBw) sowie der Bundeswehr selbst höchst umstritten. Die Liste der Kritiken ist lang.

So stellte die ministerielle Abteilung Strategische Fähigkeitsentwicklung schon im Dezember 2022 fest, dass bei einem Kauf der H145M „Einschränkungen bei Gefechtstauglichkeit, Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit sowie dem Schutz der Besatzung“ zu befürchten seien. Im Frühjahr 2023 schrieb zudem die Wehrtechnische Dienststelle für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät der Bundeswehr (WTD 61) in einem Brief an das BMVg, dass der Airbus-Hubschrauber hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit „bei weitem“ nicht den Bundeswehr-Anforderungen genüge. Der H-145M sei als Kampfhubschrauber „maximal ein schlechter Kompromiss“; es handle sich bei der geplanten Beschaffung um „eine rein politische Entscheidung, die am operationellen Bedarf vorbeigeht“. Zu solch grundsätzlichen Kritiken kommen im BAAINBw identifizierte technische Probleme mit dem H145M – etwa bei der Bewaffnung.

Ob nun 3,05 oder 1,833 oder 2,733 Milliarden: Die Gesamtkosten scheinen ohnehin auszuufern. Wiederum in einem internen Papier ging die Bundesregierung sogar von Gesamtkosten von über 7,6 Milliarden Euro für Kauf und Betrieb der H145M aus. Eingerechnet sind hier Kosten für Personal/Ausbildung (1.253 Millionen) und Logistik (2.780 Millionen).

Business Insider liegen zudem geheime Dokumente des Verteidigungsministeriums vor, die zeigen: Das Ressort von Pistorius (SPD) ging intern stets von teils sehr großen Risiken für Rückschläge beim Projekt aus. So könnten bei einer sehr wahrscheinlichen Ersatzteilmangellage „schrittweise einzelne Luftfahrzeuge ausfallen, bis hin zum Ausfall der gesamten Flotte“. Die Business Insider nun vorliegenden Dokumente zeigen zudem, dass die Bundeswehr lange auf ihre neuen Hubschrauber warten müsste. Airbus wäre demnach 2024 lediglich in der Lage, zwei H145M zu liefern. 2025 würden dann vier weitere geliefert. Erst 2026 würden 18, 2027 dann 21 und 2029 wieder 18 H145M ausgeliefert. Bei den Simulatoren sieht es ähnlich aus: Von den acht Simulatoren, an denen ausgebildet werden soll, kommen die ersten erst im Jahr 2026.

Der als „Macher“ gestartete und schnell zum beliebtesten Bundesminister avancierte Verteidigungsminister Boris Pistorius hat hier ein echtes Problem. Er wird beweisen müssen, ob er sich mit seinen Kalkulationen im Haushalts- und im Verteidigungsausschuss durchsetzt. Zumal als Externer, denn er ist ja kein Abgeordneter. Folgen ihm die beiden Ausschüsse nicht oder nehmen die beiden Ausschüsse gravierende Änderungen am Projekt vor, wird der H145M zu Pistorius’ erstem großen Flop.


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