Journalisten und Politiker sitzen viel mehr in einem Boot, als den meisten in beiden Berufsgruppen bewusst ist. Die Welt ist nicht, wie sie ist, sondern wie die Medien sie zeigen. Den Abendnachrichten im Fernsehen nach ist die Welt eine einzige Katastrophe. Und die Nachrichten über das eigene Land sind kaum besser. Politiker sind korrupt, lügen und sind nur auf den eigenen Vorteil aus. Genauso ist es mit Bankern, Unternehmern und Managern, Funktionären, Kirchenvertretern – kurz mit allen öffentlichen Personen. Gerade einmal Spitzensportler, Stars und Sternchen kommen öfter gut als schlecht weg.
Ist das wirklich unsere Welt? Nein, ist sie nicht. Die Medien zeigen uns nicht das ganze Bild. Was sie berichten, ist meist nicht falsch, aber fast immer krass unvollständig. Weil sie dem amerikanischen Muster folgen: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Bad news is good news. In Amerika noch schärfer in der Fassung: If it bleeds, it leads. Frei übersetzt: Blut muss fließen, wenn es die Leute interessieren soll.
Dieses Rezept ist spätestens heute nicht mehr wirksam. Ein Blatt nach dem anderen weltweit geht Pleite, weil die Auflagenzahlen dramatisch sinken. Ein Sender nach dem anderen verliert an Zuschauern, Hörern und deshalb an Werbeeinnahmen. Und das Internet ist nicht die Ursache, sehr wohl aber ein Beschleuniger. Wenn ich morgens im Netz finde, was das Fernsehen abends meldet und die Zeitung am nächsten Tag, was soll ich da noch mit denen? Orientierung möchte ich, Hilfe beim Zurechtfinden im erdrückenden Überangebot an Informationen. Einordnung möchten die Menschen, Bewertung und Perspektive – eine konstruktive bitte.
Auch Politiker können die Menschen in großer Zahl nur über die Medien erreichen, die alten und die neuen Medien. Das zwingt sie seit langem, sich nach dem Muster der Medien zu verhalten, wollen sie Sendezeit und Abdruckergebnisse ergattern. Der innovative Vorschlag zur Reform von was auch immer hat keine Chance gegen eine wüste Beschimpfung der zuständigen Minister. Noch sicherer kommt der Politiker ins Fernsehen und auf einen prominenten Platz bei BILD wie SPIEGEL, greift er jemanden aus der eigenen Partei unflätig an. Kurz: Das Negative, das Destruktive bringt dich in die Schlagzeilen, nicht der konstruktive Vorschlag.
Diese Wechselwirkung zwischen Medien und Politik schadet der Demokratie. Aus Negativität wird auf die Dauer Destruktivität und gefährdet schließlich die Demokratie selbst. Denn Demokratie braucht nichts dringender als Vertrauen. Vertrauen ist die Seele der Demokratie. Doch die Medien vermitteln den Menschen seit Jahrzehnten anhaltend den Eindruck, dass man niemandem trauen darf, der eine führende Rolle in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Staat hat. Politiker spielen das Spiel mit, weil sie ohne die Medien nicht an genug potentielle Wähler kommen können. Es ist Zeit, aus dieser Negativspirale auszubrechen. In den letzten Jahren hat die Debatte darüber, wie das gehen kann, dort begonnen, wo sie zuallererst hingehört, in den Medien selbst.
Mehrere skandinavische Fernseh- und Rundfunksender, aber auch Zeitungen haben ihre Redaktions-Strategien grundlegend geändert. Sie haben dem kritischen Auge das konstruktive hinzugefügt, weil die Welt mit beiden Augen gesehen werden muss, um ein ganzes, ein möglichst wahrhaftes Bild zu ergeben. Diese Strategie sagt, natürlich zeigen wir das Problem, wir verschweigen es nicht. Aber dabei bleiben wir nicht stehen. Das ist uns zu wenig. Wir suchen, finden und zeigen, wo und wie dieses Problem erfolgreich gelöst wurde und ermutigen so zum Handeln. Wir bieten aber auch Politikern von Zeit zu Zeit einen Rahmen, in dem sie sich nicht bekriegen, sondern den konstruktiven Kompromiss suchen. Als Journalisten haben wir zu moderieren, aber nie Partei zu ergreifen. Damit werden wir unserer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht, in der wir zusammen mit unseren Lesern, Zuschauern und Zuhörern leben – unserer gemeinsamen Verantwortung für ein besseres Morgen.
Und siehe da, diese skandinavischen Medien verzeichnen einen deutlichen Anstieg ihrer Publikumszahlen und kriegen ein Feedback, das noch nie so groß und so positiv war. Aber auch andere wie das Tschechische Fernsehen haben begonnen, ähnliche Wege einzuschlagen. Die Dachorganisation der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten Europas führt Meisterklassen für konstruktiven Journalismus durch – vorerst beim Dänischen Rundfunk in Kopenhagen. Weil dessen Chef Ulrik Haagerup ein Vorkämpfer von Constructive News ist. Die UNO in Genf plant Vergleichbares.
Es ist Zeit für eine überparteiliche Anstrengung für das Konstruktive im öffentlichen Handeln insgesamt. Dafür müssen sich doch genug finden lassen. Oder?