„Teile des Establishments“ wollten seine Wahl hintertreiben, wetterte der Vorsitzendenkandidat Friedrich Merz, als die CDU-Führung in ihrer Präsidiumssitzung am Montag entschied, den vom Frühjahr auf den 4. Dezember verschobenen Parteitag erneut zu verschieben – auf unbestimmte Zeit. Merz liegt in den letzten Umfragen bei der Basis mit 45 Prozent gegenüber den Mitbewerbern Armin Laschet und Norbert Röttgen klar in Führung. Für seine Vermutung gibt es also gute Gründe, gegen ihn laufe eine Aktion unter dem Motto „Merz verhindern“. Die Verschiebung solle ihn „zermürben“ – und möglicherweise auch die beiden anderen Bewerber. In CDU-Kreisen kursieren schon Spekulationen über einen vierten Kandidaten oder eine Kandidatin, dann irgendwann 2021 die Bühne betreten könnte.
Der Parteitagsoll nicht nur die Vorsitzenden- sondern auch die Kanzlerkandidatenfrage klären. Gut möglich, dass diese gewichtige Entscheidung vor Gericht landet. Der Vorsitzende der Werteunion Alexander Mitsch sagte gegenüber TE, die Parteiorganisation werde „alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“.
Tatsächlich bewegen sich Noch-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und andere Führungskader mit ihrem Beschluss auf juristisch dünnem Eis. Zwar gibt das gerade beschlossene „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (GesRuaCOVBekG Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis) Vereins- und damit auch Parteivorständen das Recht, über die turnusgemäße Amtszeit hinaus auf ihren Posten zu bleiben, bis ein Nachfolger gewählt ist. Allerdings eröffnet es gleichzeitig die Möglichkeit, Wahlen „im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben“, also virtuell, und Führungspersonen per Brief zu wählen. Etliche Juristen deuten das Gesetz so, dass es die zentralen Bestimmungen des Parteienrechts nicht aushebelt, sondern nur ergänzt. Eine Partei müsste also erst einmal versuchen, die Vorstandswahl ohne Präsenzveranstaltung zu organisieren. Erst, wenn das objektiv nicht möglich sein sollte, könnte der alte Vorstand im Amt bleiben.
Für Vereine dürfte es leichter bleiben, den alten Vorstand im Amt zu belassen; ein Sportverein muss sich also vergleichsweise wenig Sorgen machen, wenn er seine Vorstandswahl wegen Corona ins Jahr 2021 verlegt. An Parteien stellt das Grundgesetz einen deutlich höheren Anspruch. In Artikel 21 heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen.“
Die legt das Parteiengesetz fest. In Paragraph 9 heißt es: „Die Parteitage treten mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr einmal zusammen.“
Der Termin am 4. Dezember wäre der reguläre Parteitag gewesen, nach dem die Amtszeiten von Kramp-Karrenbauer und der anderen Vorstandsmitglieder auslaufen.
Auch der Staatsrechtler und frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz sieht im Gespräch mit TE die Parteiführung in der Pflicht, die Undurchführbarkeit eines virtuellen Parteitags und einer Briefwahl noch im Jahr 2020 mit guten Gründen zu belegen. „Ich sehe nicht, warum ein digitaler Parteitag und eine Briefwahl in diesem Jahr nicht möglich sein sollten“, so Scholz. „Mit dieser Alternative wären die Forderungen des Parteiengesetzes erfüllt.“ Sollte die Parteiführung trotzdem bei einer Verschiebung auf 2021 bleiben, hätte das aus Sicht des Juristen eine gravierende Konsequenz: „Dann wäre der Parteivorstand nur noch amtierend, er dürfte also keine neuen Beschlüsse mehr fassen.“
Mit einem virtuellen Parteitag und einer Briefwahl hatte sich Merz in einer Runde mit Kramp-Karrenbauer und den anderen beiden Kandidaten am vergangenen Sonntag ausdrücklich einverstanden erklärt. Bei dieser Besprechung hatte Kramp-Karrenbauer nach Darstellung von Merz einen Digitalparteitag am 16. Januar 2021 ins Spiel gebracht. Diesen Vorschlag wiederholte sie bei der Präsidiumssitzung am Montag nicht.
Jetzt argumentiert die CDU-Führung, eine Auszählung von Briefwahlstimmen würde bei den wahrscheinlich zwei Wahlgängen bis zu 70 Tagen in Anspruch nehmen. Nur: es spricht wenig dafür, dass Corona im Frühjahr 2021 verschwindet, und ein Präsenzparteitag mit 1001 Delegierten wieder problemlos möglich wäre. Deshalb, so argumentiert Merz, können die CDU-Parteitagsdelegierten auch gleich per Bildschirm und Brief entscheiden.
Sollte das bis Jahresende nicht passieren, sieht er den Status der CDU-Spitze wie der Staatsrechtler Scholz: sie wäre in seinen Augen „kein demokratisch legitimierter Vorstand“ – und jede Entscheidung anfechtbar. Auf Nachfrage von TE erklären Mitglieder von CDU-Führung und Fraktionsvorstand übereinstimmend, dass diese Einwände nach neuester Rechtslage auch für Parteien gegenstandslos seien und der Bundesvorstand weiter im Amt bleiben könne. „Wenn Friedrich Merz meint, dass er die Partei hinter sich hat – warum sollte das im April nicht mehr der Fall sein?“
Sein Auftreten habe ihn erhebliche Unterstützung gekostet.
Damit entscheiden möglicherweise Richter über die Kandidatur von Friedrich Merz und nicht mehr die Parteitagsdelegierten.