Tichys Einblick
Solidaritätszuschlag

Verfassungswidriger Soli seit 1. Januar 2020: Initiative will klagen

Es gibt keine Begründung mehr für den Zuschlag, argumentiert Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier. Eine Initiative will deshalb klagen. Für Steuerzahler empfiehlt sich ein vorsorglicher Einspruch

Christian Ohne/imago Images

Keine fünf Gehminuten vom Bundesfinanzministerium wird ab 9. Januar 2020 eine „Soli-Uhr“ in der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin jede Sekunde um 629 Euro vorrücken. Die Anzeigetafel, installiert von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), soll öffentlich vorführen, wie der Bund seit 1. Januar 2020 „unberechtigt eine Steuer kassiert“, wie INSM-Sprecher Florian von Hennet meint. Insgesamt geht es um gut 20 Milliarden in diesem Jahr. Denn mit dem Ende des Solidarpakts, der am 31. Dezember 2019 auslief, fällt nach Ansicht nicht nur der Initiative die politische Begründung für die Steuer auf Steuerschuld in Höhe von 5,5 Prozent endgültig weg. Die INSM beruft sich auf ein Gutachten des früheren Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier (s. Dokumentation).

Darin kommt der Verfassungsjurist zu dem Schluss, dass sich der Soli nach dem Ende seines politischen Grundes nicht, wie Finanzminister Olaf Scholz es will, erst einmal fortschreiben lässt. In seiner Expertise, die er im Auftrag der FDP-Bundestagsfraktion verfasste, argumentiert Papier:
„Da der Solidarpakt II Ende 2019 ausläuft, kann die finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Sonderlage einer besonderen Aufbauhilfe zugunsten der Neuen Länder als beendet erachtet werden. Insofern tritt mit dem Ende des Solidarpaktes II eine ‚finanzverfassungsrechtliche Normallage’ ein, die es fraglich erscheinen lässt, allein unter Hinweis auf den ursprünglichen Erhebungszweck oder unter Hinweis auf einen neuen beziehungsweise mehrere neue Erhebungszwecke nach wie vor einen wirklich bestehenden zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes zu konstatieren.“

Unterstützt wird die Aktion gegen das Weiterkassieren des Soli vom Wirtschaftsrat der CDU, der FDP, dem Verband der Familienunternehmen und dem Steuerzahlerbund. Nach den Worten von INSM-Sprecher Hennet will seine Organisation eine Musterklage gegen die Steuer anstrengen: „Wir hoffen, dass unser Verfahren vor das Bundesverfassungsgericht kommt.“ Den Steuerbürgern empfiehl er: „Wer Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Solidarzuschlags seit 1. Januar hat, kann bei seinem Finanzamt Einspruch einlegen.“
Scholz und die Regierungskoalition sehen das bekanntlich anders: Sie wollen den Steuerzuschlag erst ab 2021 reduzieren, für Gutverdiener aber auch darüber hinaus weiter beibehalten.

Die Geschichte des Solidarzuschlags ist eine Geschichte der gebrochenen politischen Versprechen. Zuerst wurde die Steuer auf die Steuer – damals 7,5 Prozent – kurzfristig von 1991 bis Juni 1992 eingeführt. Zur Begründung damals diente der höhere Finanzbedarf durch den Aufbau Ost – obwohl Helmut Kohl bei der Bundestagswahl 1990 versichert hatte, wegen der Wiedervereinigung müssten keine Steuern erhöht werden. Außerdem sollte der Aufschlag die einmaligen Kosten für die deutsche Mitfinanzierung des 1. Golfkriegs abdecken.

Zur Finanzierung des Solidarpakts führte die Regierung Kohl den Soli dann 1995 wieder ein. Damals hieß es in der Gesetzesvorlage ausdrücklich, die Notwendigkeit des Zuschlags solle „mittelfristig“ überprüft werden: „Zur Finanzierung der Vollendung der Einheit Deutschlands ist ein solidarisches finanzielles Opfer aller Bevölkerungsgruppen unausweichlich. Die Bundesregierung schlägt deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1995 einen – mittelfristig zu überprüfenden – Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer für alle Steuerpflichtigen vor.“

Anders als der Name suggerierte, flossen die Einnahmen nicht direkt in die Ost-Bundesländer, sondern in den allgemeinen Bundeshaushalt. Im Jahr 1996 versprach Kohl: „Der Solidaritätszuschlag ist bis Ende 1999 endgültig weg.“ Bekanntlich kam es anders. Die einzige Erleichterung für Steuerbürger bestand 1998 in der leichten Absenkung auf 5,5 Prozent. Alle folgenden Bundesregierungen verwiesen auf die Finanzierung des Solidarpakts II, durch den insgesamt 245 Milliarden Euro in den Osten geleitet wurden. Nur: dieser Pakt lief zu Silvester 2019 aus.
Ursprünglich pochte die Union darauf, den Steueraufschlag wenigstens bis 2021 komplett abzuschaffen. Dann knickte sie gegenüber der SPD ein, die forderte, den Soli für Gutverdiener beizubehalten. Auch das sehen Verfassungsrechtler kritisch.
Die Argumentation der SPD, die Abschaffung des Soli auch für Gutverdiener sei „sozial ungerecht“, hält INSM-Sprecher von Hennet für unsinnig: „Der Solidarzuschlag ist so gestaltet worden, dass die Gutverdiener jahrelang automatisch mehr gezahlt haben. Es ist geradezu absurd, jetzt zu sagen, die Entlastung derjenigen, die schon die ganze Zeit mehr getragen haben, wäre sozial unausgewogen.“

Dokumentation: Das Gutachten Papiers zur Verfassungswidrigkeit des Solidarzuschlags ab 1. Januar 2020.

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