„Ihnen wird zur Last gelegt…“: So beginnt ein großartiges Gedicht von Otto Waalkes – entstanden zu einer Zeit, als der Ostfriese noch ein wirklich brillanter und durchaus tiefsinniger Komiker war (und nicht nur ein Dauer-Blödler).
„Ihnen wird zur Last gelegt…“: So könnte auch der Bescheid beginnen, den das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den Anwälten von Hans-Georg Maaßen gerade zugestellt hat. Der Brief hat – wenn auch sicher unbeabsichtigt – aus humoristischer Sicht gewisse Ähnlichkeiten mit dem Otto-Gedicht. So traurig der Vorgang insgesamt ist, so komisch sind über weite Strecken die Ergüsse der Spione aus Köln.
Wie TE als erstes Medium berichten konnte, hat das BfV seinem Ex-Präsidenten Maaßen offiziell mitgeteilt, dass er als sogenannter „Beobachtungsfall“ geführt wird. Über ihn wird also Material gesammelt – sehr viel Material, wie wir gleich sehen werden. Eine reguläre Akte über ihn ist angelegt. Und formal hat der Inlandsgeheimdienst nun zumindest die Voraussetzungen dafür geschaffen, gegen seinen ehemaligen Chef auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Mit Genehmigung der sogenannten „G10-Kommission“ des Bundestages dürfte dann sogar Maaßens Schriftverkehr überwacht und sein Telefon abgehört werden.
Auf 20 Seiten ringt das BfV sichtbar um Erklärungen dafür, warum das Amt ausgerechnet Maaßen – der ja einst Deutschlands oberster Verfassungsschützer war – nun als potenziellen Verfassungsfeind einstuft. Kurzer Spoiler: Die Erklärungsversuche scheitern kläglich, streckenweise gleiten sie auch dezidiert ins Lächerliche ab. Aber der Reihe nach.
Das Amt beruft sich auf das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und dort auf § 10 Abs. 1. Der wiederum verweist auf § 3 Abs. 1 BVerfSchG – und der betrifft, Zitat:
„Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben“.
Zum einen ist das sehr unkonkret. Zum anderen fällt einem auch bei längerem Nachdenken nichts, aber auch wirklich gar nichts ein, was davon auf Maaßen zutreffen könnte. Der Mann war 27 Jahre lang (von 1991 bis 2018) Spitzenbeamter – und zwar fast ausschließlich im Sicherheitsbereich. Zeit seines Berufslebens als Staatsdiener hat er immer nur FÜR die Sicherheit des Bundes und der Länder gearbeitet.
Auch in seinen politischen Äußerungen nach 2018 hat Maaßen ja gerade immer beklagt, dass Deutschlands Sicherheitslage sich kontinuierlich verschlechtert. Die Beeinträchtigung der Amtsführung unserer Verfassungsorgane durch Extremisten hat er vielfach kritisiert.
Das dürfte auch dem BfV nicht entgangen sein. Um trotzdem gegen den ungeliebten Ex-Chef vorgehen zu können, verlegt sich das Amt nun auf eine geradezu abenteuerliche Argumentation: Maaßen habe „eine etwaige Verbindung zur ‚Reichsbürger‘-Szene“.
Reichsbürger, verkürzt gesagt, halten die Bundesrepublik Deutschland aus einer Reihe von Gründen nicht für ein legitimes Staatswesen. Koordiniert vom Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß sollen zwei Dutzend von ihnen einen Umsturz geplant haben. Wegen des hohen Alters der meisten Beteiligten sprachen Spötter schnell vom „Rollator-Putsch“. Das hielt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht davon ab, Ende 2022 publikumswirksam mehr als 3.000 (!) Polizisten zu Razzien in ganz Deutschland auszusenden.
Das bemerkenswerte Ergebnis: ganze 26 (in Worten: sechsundzwanzig) Festnahmen, die völlig unspektakulär und gewaltfrei verliefen. Für jeweils eine Festnahme wurden also 115 schwer bewaffnete Beamte losgeschickt. Die Opposition warf Frau Faeser deshalb eine völlig überzogene PR-Aktion vor, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefährdung stand.
Auch Hans-Georg Maaßen kritisierte den Vorgang – gewohnt nüchtern und in der Wortwahl eher zurückhaltend: In einer TV-Sendung nannte er die Aktion „unverhältnismäßig“. Das dient dem Verfassungsschutz nun allen Ernstes als Argument für eine Beobachtung von Maaßen. Wörtlich schreibt das BfV:
„Zum Komplex um Heinrich XIII. Prinz Reuß äußerte sich Ihr Mandant im Rahmen der Gesprächsrunde ‚KLARTEXT: Reichsbürger und Klimakleber – wie wehrhaft ist die Demokratie?‘ (…) Dort vertrat er u. a. die Auffassung, dass die Exekutivmaßnahmen gegen mutmaßliche Mitglieder der Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß unverhältnismäßig gewesen seien.“
Man reibt sich verwundert die Augen: DAS reicht dem deutschen Verfassungsschutz, um jemanden des Extremismus zu verdächtigen und ihn – womöglich noch mit nachrichtendienstlichen Mitteln – amtlich zu beobachten?
Wer nun meint, das BfV müsse doch auch noch substantiierte Anhaltspunkte haben, um sich für einen bisher unbescholtenen Bürger zu interessieren, der wird schnell eines Schlechteren belehrt. Tatsächlich wird es nur noch schlimmer. An anderer Stelle heißt es:
„Der Rechtsextremist Bernhard Schaub erwähnte Ihren Mandanten in einem Schreiben vom 24. Februar 2020 an Heinrich XIII. Prinz Reuß zum Thema ‚Weiterexistenz des Deutschen Reiches‘ und ‚deutsche Souveränität‘. Herr Schaub vertrat darin die Auffassung, dass Herr Dr. Maaßen ‚ein strammer Republikaner zu sein scheint‘.“
Nochmal zum Mitschreiben: Ein Rechtsextremist, der das Kaiserreich zurückhaben will, nennt Maaßen in einem Brief, den Maaßen selbst gar nicht kennt, einen „strammen Republikaner“ – also das genaue Gegenteil eines Monarchisten. Und deshalb gerät Maaßen in Verdacht, ein Extremist zu sein.
Merken die Künstler in Köln eigentlich, was für einen Blödsinn sie da machen? Spüren die sich noch? Aber der Verfassungsschutz macht munter so weiter und schreibt sich um Kopf und Kragen:
„Laut der Medialen Berichterstattung (…) soll eine der Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß zuzurechnende Person Videos von Hans-Georg Maaßen auf seiner Facebook-Seite geteilt haben.“
Wenn also irgendein verstrahlter Schnulli irgendein Video, das ich mal ins Netz gestellt habe, ohne mein Wissen teilt – dann schlussfolgert Deutschlands grandioser Verfassungsschutz daraus, dass ich mit dem Schnulli höchstwahrscheinlich gemeinsame Sache mache.
Da bekommt man Kopfschmerzen vom vielen Kopfschütteln. Aber genauso geht es weiter, Seite um Seite:
„So warnte Ihr Mandant in dem mit seinem Co-Autor Johannes Eisleben verfassten Aufsatz mit der Überschrift ‚Aufstieg und Fall des Postnationalismus‘ (…) vor ‚undemokratischen, totalitären supranationalen Systemen‘ und ‚einem neuen Totalitarismus‘, der Ziel von sich verbündenden ‚sozialistischen und globalistischen Kräften‘ sei. Dieser Aufsatz wird von Fachwissenschaftlern als antisemitische Codes und Chiffren nutzend bewertet.“
Zum Beleg wird die Meinung von einem (in Zahlen: 1) „Fachwissenschaftler“ angeführt, der natürlich rein zufällig Vertrauensdozent der notorisch linkslastigen DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung ist. So was aber auch.
„In einer Kolumne auf www.weltwoche.ch äußerte sich Ihr Mandant am 12. September 2022 u. a. wie folgt zur Partei Bündnis 90/Die Grünen:
‚Es stellt sich aber auch eine persönliche Frage: Wie werden die grünen Fanatiker mit Leuten umgehen, die – wie ich – nicht damit einverstanden sind, in Zukunft nur noch Fahrrad zu fahren und die zugeteilten Kilowattstunden nutzen zu können, sondern die selbst entscheiden wollen, wie sie leben?
Werden sie zur Umerziehung in Deradikalisierungs-Lager kommen, oder reicht die bloße soziale Ausgrenzung wie bisher aus?
Der Fanatismus und die Rücksichtslosigkeit der Grünen machen mir Angst und erinnern an den Fanatismus der chinesischen Kulturrevolution und an die Roten Khmer.‘“
Bis vor gar nicht allzu langer Zeit lief so ein Beitrag völlig selbstverständlich unter „Meinungsfreiheit“ (die übrigens in unserer Verfassung steht und die zu schützen auch BfV-Präsident Thomas Haldenwang geschworen hat). Mit Beginn der Ära Merkel – und besonders seit Amtsantritt der Ampel – reicht das nun, um als potenzieller Verfassungsfeind markiert zu werden.
Erst recht, wenn man Zweifel äußert, dass unsere politische Landschaft womöglich nicht so pluralistisch ist, wie unser Grundgesetz das theoretisch vorsieht:
„Auf der Mitgliederversammlung des ‚WerteUnion e. V.‘ am 10. Juni 2023 in Erfurt führte Ihr Mandant u. a. Folgendes zu den demokratischen Parteien und der Parteienlandschaft im Allgemeinen aus:
‚Und dann haben wir es zu tun mit einer Parteienlandschaft, wo man sagen kann, das ist ein Kartell, oder sind, wie man früher im Osten sagte, Blockparteien. Denn wenn man Grüne wählt, bekommt man Grüne, wenn man Rote wählt, bekommt man Grüne, und wenn man Gelbe wählt, bekommt man Grüne. Und so, wie ich jetzt Herrn Merz in seinen letzten Äußerungen verstanden habe, will er sich auch den Grünen unterwerfen und mit den Grünen koalieren. Aus meiner Sicht muss dieses Parteienkartell aufgebrochen werden.‘“
Man könnte meinen, der Verfassungsschutz sei wahnsinnig geworden. Doch schon Shakespeare wusste: „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.“
Das BfV nutzt eben seine enorm erweiterten Möglichkeiten, die das Amt gegen sogenannte „Delegitimierer des Staates“ bekommen hat. Als ein solcher kann nun praktisch jeder gelten (und verfolgt werden), der staatliche Einrichtungen oder Personen in Staatsämtern kritisiert.
Insgesamt 1.000 Einträge hat das BfV nach eigenen Angaben über Hans-Georg Maaßen in dessen Akte gespeichert. Der Inlandsgeheimdienst hätte sicher gerne noch viel mehr gesammelt, aber da gibt es in der Behörde gewisse technische Hürden:
„Ab dem 1000. Dokument wird die Suche systemseitig automatisiert abgebrochen.“
Willkommen im Deutschland des Jahres 2024. Keine Pointe.