Der Verfassungsschutz stuft die Junge Alternative (JA) – die Jugendorganisation der AfD – und zwei weitere Gruppen als rechtsextremistisch ein und beobachtet diese. Das ist für nahezu alle Medien derzeit die Top-Nachricht. Sogar für das Flaggschiff Tagesschau. Was die meisten Medienmacher dabei aber nicht berücksichtigen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat damit einen heiklen Schritt gegen die Meinungsfreiheit getätigt.
Der Verfassungsschutz hat die JA, das „Institut für Staatspolitik“ und den Verein „Ein Prozent“ nicht etwa als rechtsextremistisch eingestuft, weil sie gewaltorientiert handelten, sondern weil sie „menschenwürdewidrige und demokratiefeindliche Ideologien und Konzepte permanent verbreiten“. Laut dem Urteil würde das „in den Äußerungen und Verlautbarungen deutlich zutage tretende Volksverständnis“ dem Grundgesetz widersprechen.
Einen vergleichbaren Stellenwert attestiert ebenfalls der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau der Meinungsfreiheit im Gespräch mit TE: Die Grundrechte sind nach seinen Aussagen Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Die bpb schreibt auf ihrer Internetseite, der Staat dürfe deshalb mit rechtlichen Zwangsmitteln keine Gesinnungskontrolle betreiben. Und weiter: Der Staat dürfe erst dann einschreiten, wenn aus Meinungsäußerungen Bedrohungen für äußere Rechtsgüter entstehen, etwa für das friedliche Zusammenleben oder für das Persönlichkeitsrecht der Mitglieder hinreichend eingrenzbarer Personengruppen.
Diese Gefährdung scheint der Verfassungsschutz in seiner Einschätzung zu sehen: In der Begründung steht, die JA versuche, Angehörige vermeintlich anderer Ethnien auszugrenzen und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Deutsche zweiter Klasse abzuwerten. Und weiter: „Insbesondere Zuwanderern mit (vermeintlich) muslimischem Hintergrund werden in pauschaler Weise Negativeigenschaften zugesprochen, wie kulturelle Rückständigkeit und ein überproportional stark ausgeprägter Hang zu Kriminalität und Gewalt, allein aufgrund ihrer Herkunft und Religion.“
Das Zusprechen von „Negativeigenschaften“ ist rein verfassungsmäßig allerdings erlaubt, solange nicht zur Gewalt aufgerufen wird. Demnach wirkt die Einschätzung des Verfassungsschutzes eher wie ein Framing und bestätigt erneut, was manche seit längerer Zeit und neuerdings immer mehr als „Cancel Culture“ bezeichnen: Sobald jemand etwas gegen Migranten, gegen Klimaschutz, gegen Transgender-Personen oder gegen Waffenlieferungen in die Ukraine sagt, gilt dieser jemand als „rechts“ und soll gesellschaftlich ausgeschlossen werden. Dabei ist der Diskurs verschiedener Meinungen „konstitutiv“ für eine Demokratie.
Allerdings scheint ein Diskurs für Innenministerin Nancy Faeser (SPD) weniger bedeutsam. Stattdessen kündigte sie bereits als sie ihren Posten antrat an, die sogenannte „Neue Rechte“ bekämpfen zu wollen. Die Entscheidung des Verfassungsschutzes scheint ein Erfolg für sie zu sein: „Wir setzen alles daran, den Nährboden für rechtsextreme Gewalt auszutrocknen“, sagt sie zu der Einordnung des Verfassungsschutz, wie der Tagesspiegel berichtet.
Auffällig: Ähnliche Worte nutzt der Verfassungsschutz auch in seiner Entscheidung: „Das gezielte Propagieren von Feindbildern und das Schüren von Ressentiments in der Bevölkerung sind zudem generell geeignet, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten.“ Die Äußerungen der JA und die der anderen beiden Personengruppen eigneten sich also, den „Boden“ für ein verfassungsfeindliches Handeln zu bereiten. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings, dass sie eben noch nicht verfassungsfeindlich handeln. Und dass es bisher noch nicht einmal den Boden für verfassungsfeindliches Handeln gibt.
Wenn dem Verfassungsschutz nun also bereits Aussagen reichen, die sich für den „Boden“ von verfassungsfeindlichen Handlungen „eignen“, um eine Gruppe als rechtsextremistisch einzustufen, wie lange wird es dann noch dauern, bis der Verfassungsschutz aus der Luft greift, dass eine Gruppe oder eine Person rechtsextremistisch sei? Oder macht das Amt das bereits? Zumal Faeser einen Schritt weitergehen will. Die Ministerin betonte zu der Einordnung des Verfassungsschutzes: „Gefährlich sind nicht nur gewaltorientierte Rechtsextremisten, sondern auch geistige Brandstifter, die den Boden für Gewalt bereiten.“