Die „Enthüllungen“ von Correctiv über ein angebliches „Masterplan“-Treffen in Potsdam haben ein Jahr nach ihrer Veröffentlichung nicht nur sehr umfangreiche juristische und gesellschaftliche Wellen geschlagen, sondern auch die Integrität der hochumstrittenen NGO nachhaltig stark ramponiert.
Verfassungsrechtler Christoph Degenhart beschreibt den Fall als „bemerkenswert, weil journalistische Grundsätze über Bord geworfen wurden“. Er sieht darin ein Beispiel, wie „Haltungsjournalismus zu Lasten journalistischer Sorgfalt“ geht und die öffentliche Debatte nachhaltig verzerrt.
Ein Jahr nach der Potsdam-Affäre: Correctiv unter immer massiverer Kritik
„Bemerkens- und vor allem nachdenkenswert ist auch“, so Degenhart, „wie hier eine nicht nur missverständlich formulierte, sondern offensichtlich unrichtige Meldung imstande war, eine Massenbewegung auszulösen.“ Die öffentliche Empörung, ausgelöst durch Correctivs Darstellung eines „Masterplans zur Remigration“, führte zu massiven Demonstrationen und polarisierten Diskussionen.
Dabei sei es besonders problematisch, dass hochrangige Politiker die Berichterstattung unreflektiert aufgriffen und sich „in verfassungsrechtlich unklarer Rollenkonfusion an die Spitze der Bewegung setzten“. Degenhart erinnert etwa an die Aussagen eines SPD-Generalsekretärs, der das Treffen als „Wannseekonferenz 2.0“ bezeichnete, und an ein Mitglied der Bundesregierung, das sich „an die Wannseekonferenz erinnert“ sah.
Zentrale Behauptungen juristisch entkräftet
Juristische Entscheidungen haben inzwischen die Grundlage für Correctivs Darstellung erheblich erschüttert. Das Landgericht Berlin II urteilte, dass Correctiv mit seinem Bericht einen „unzutreffenden Eindruck“ erweckt habe. Die Darstellung eines Plans zur „Ausweisung von deutschen Staatsbürgern“ wurde als unwahre Tatsachenbehauptung eingestuft. Auch das Landgericht Hamburg untersagte Medien wie dem ZDF, von massenhaften „Deportationen“ zu sprechen.
Diese rechtlichen Rückschläge werfen laut Degenhart ein grelles Licht auf die Versäumnisse in der Berichterstattung: „Eine sorgfältigere Prüfung der Faktenlage sollte dort selbstverständlich sein, wo eine besondere Verpflichtung auf die Wahrheit besteht: in der Wissenschaft im Allgemeinen, der Rechtswissenschaft im Besonderen.“
Besonders kritisch sieht er, dass auch 17 Verfassungsrechtler in einer öffentlichen Stellungnahme zur AfD die Informationen über das Treffen in Potsdam aufgegriffen und damit ihre Argumentation gestützt haben. „Sie erwiesen ihrer Sache wohl keinen Dienst“, urteilt Degenhart.
Medienberichte in der Nachbetrachtung: Fakten versus Interpretation
Aktuelle Recherchen von ZEIT und Süddeutscher Zeitung unterstreichen ein Jahr nach „Wannsee 2.0“ die Diskrepanz zwischen Correctivs Darstellung und der Realität des Treffens und bestätigen damit, was Medien wie Tichys Einblick, Junge Freiheit, Cicero und NIUS von Anfang an bereits vor einem Jahr berichtet haben.
Teilnehmer des Treffens, wie der Vermieter Wilhelm Wilderink, widersprechen entschieden der Behauptung, es sei über massenhafte Vertreibungen oder Deportationen gesprochen worden. Selbst Correctivs „Hauptrechercheur“ Jean Peters räumte in einem Interview bei ZEIT ein, dass das Wort „Vertreibung“ nicht gefallen sei, rechtfertigte sich jedoch mit der Aussage: „Aber natürlich war es gemeint.“ In seinem Gespräch mit der Zeitung wirkt Peters dann auch äußerst angefasst.
Die Süddeutsche Zeitung hebt hervor, dass Correctivs Interpretation des Begriffs „Remigration“ über das hinausging, was tatsächlich diskutiert wurde. Während Martin Sellner, ein Vortragender beim Treffen, von Maßnahmen wie „hohem Anpassungsdruck“ sprach, war von Protokollen oder verbindlichen Beschlüssen keine Rede. Dennoch sei durch Correctivs Berichterstattung der Eindruck entstanden, es habe konkrete Pläne gegeben, was die Süddeutsche als eine „Frage der Interpretation“ beschreibt.
Ein Lehrstück für journalistische Verantwortung
Die Affäre um das Potsdamer Treffen zeigt, wie schnell journalistische Nachlässigkeit und Überinterpretation in einem aufgeheizten politischen Klima schwerwiegende Konsequenzen haben können. Degenhart mahnt: „Sorgfalt und Wahrheitsverpflichtung müssen Vorrang vor ideologischen Zielen haben, gerade in Zeiten polarisierten gesellschaftlichen Diskurses.“ Die Ereignisse werfen einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit nicht nur von Correctiv, sondern auch von Medien und politischen Akteuren, die die Berichterstattung unkritisch übernahmen.
Bezeichnend ist, dass eben genau diese öffentlich-rechtlichen Medien, die auf ganzer Linie versagt haben und auch weiterhin versagen, anlässlich von Mark Zuckerbergs Ankündigung für Meta, künftig auf „Faktenchecker“ verzichten zu wollen, ihrerseits mit einem Ausbau ihrer mehr als umstrittenen Faktenprüfer-Akteure reagieren wollen.