Die deutschen Sicherheitsbehörden haben, wie kürzlich erst bekannt wurde, im August einen mutmaßlich islamistischen Anschlag verhindert, der im Umfeld des großen Terroranschlags vom 11. September 2001 in den USA (9/11) steht. Am 26. August nahm die Polizei einen 20 Jahre alten Deutsch-Marokkaner, Abdurrahman C., fest. Der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich sagte dazu jetzt: „Wir haben es hier mit einem sehr, sehr ernsthaften Vorgang zu tun.“
Abdurrahman C. sei der Sohn eines den Hamburger Behörden seit langem bekannten Islamisten, teilte der Leiter der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt (LKA), Claus Cortnumme, mit. Der marokkanische Vater ist ein Mitverantwortlicher der Al-Quds-Moschee gewesen, in der sich die Angehörigen der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta und Mohammad Haydar Zammar vor den Anschlägen vom 11. September 2001 getroffen hatten. Nach bestätigten TE-Informationen handelt sich bei dem Vater um Hamid C., der damalige stellvertretende Vorsitzende der berüchtigten Al-Quds-Moschee. Hamid C. hatte nach TE-Informationen Verbindungen in die Dschihadisten-Szene, darunter zu vielen bekannten Salafisten. Der Vater lebt heute in Marokko. Zuvor betrieb er eine Firma zusammen mit weitern auffälligen Personen, die der Salafisten-Szene zugehörig sind und auch für den Verfassungsschutz nicht unbekannt waren. Einer dieser Firmen-Prokuristen war Jens R., der Vorsitzender des Vereins „Deutschsprachiger Islamkreis im Norden“ (DIIN) war und auch Sprecher in der damaligen Al-Quds-Moschee. Der Vater war zudem mit einem Mann befreundet, der zum engsten Umfeld der 9/11-Islamisten zählte, sowie heute als Imam in der Hamburger Taqwa-Moschee auftritt. Derselben Moschee, in der Abdurrahman C. regelmäßig betete.
Vor zwanzig Jahren hatte sich in Hamburg eine islamistische Terrorzelle gebildet, aus der drei der vier Terror-Piloten vom 11. September kamen. Diese „Hamburger Terrorzelle“ wurde vor allem von dem Islamisten Mohammed Haydar Zammar zusammengeführt. Die Terroristen trafen sich damals in der Al-Quds-Moschee in Hamburg. Der Todespilot Mohammad Atta wurde zum engen Freund von Zammar. Atta steuerte das erste entführte Flugzeug am Morgen des 11. Septembers.
Die Spuren des mutmaßlich geplanten Terroranschlags des zwanzigjährigen Abdurrahman C. führen nun genau zu diesem Hamburger Terror-Umfeld von 9/11. Als C. versuchte, eine Waffe und eine Handgranate im Darknet zu kaufen, geriet er an verdeckte Ermittler, die ihn bei einer inszenierten Übergabe festnahmen. Derzeit sitzt der mutmaßliche Islamist in Untersuchungshaft. Bei der Durchsuchung einer von C. genutzten Wohnung in Hamburg-Rahlstedt sind Chemikalien für den Bau eines Sprengsatzes gefunden worden, darunter: ein Kilogramm Kaliumnitrat, ein Kilogramm Schwefel und ein halbes Kilogramm Holzkohlestaub. Laut Polizei hätte eine solche Bombe „erhebliche oder sogar tödliche Verletzungen“ verursachen können. Intensiv habe Abdurrahman sich mit Propagandamaterial der islamistischen Terrormilizen Al-Shabab und Islamischer Staat (IS) auseinandergesetzt. „Der Fall ist in seiner Dimension bislang einzigartig, weil er eine Schnittstelle zwischen der alten und neuen Dschihadistenszene darstellt“, zitiert der Spiegel einen leitenden Sicherheitsbeamten.
Es gibt noch mehr brisante Verbindungen: Die Wohnung, die C. zur Lagerung der Chemikalien nutzte, steht in einem direkten Zusammenhang zum Dschihadisten-Milieu. Der Hauptmieter, der dem 20-Jährigen sein Domizil zur Verfügung stellte, ist laut Spiegel-Informationen ein Neffe des erwähnten Dschihadisten Muhammad Haydar Zammar. Es wird davon ausgegangen, dass Zammar damals ein wichtiger al-Qaida-Rekrutierer gewesen ist. Nach eigenen Angaben hat er Organisatoren der Attentate miteinander bekannt gemacht.
Zammar hatte bereits in den Jahren 1998/99 Kontakte zu Ausbildungslagern der Al Qaida in Afghanistan gehabt und hatte als sogenannter Mujaheddin in Bosnien oder Tschetschenien gekämpft. 2001 wurde er auf einer Marokko-Reise von örtlichen Sicherheitsbehörden festgenommen und der CIA übergeben. Bis 2013 war er in Syrien inhaftiert, später schloss er sich der Terrororganisation IS an. Zuletzt saß er in einem kurdischen Gefängnis in Nordsyrien. In einem Spiegel-Interview 2018 sagte Zammar, dass er zurück nach Deutschland wolle, und bestritt, Mitwisser der 9/11-Terrorpläne gewesen zu sein. In Deutschland wartet ein Haftbefehl auf den bekannten Dschihadisten. Zammar hat eine Frau und sechs Kinder.
Die Familie von Abdurrahman C., der in Hamburg geboren wurde und in Deutschland aufwuchs, zog im Jahr 2016 nach Marokko, wo C. einen Schulabschluss machte. Im Herbst 2020 kehrte er zurück nach Deutschland und nahm an einem Studienkolleg in Wismar teil. Ein auf das Studium vorbereitendes Seminar hat er nicht bestanden. Zeugen hätten ihn den Angaben der Behörden zufolge als introvertierten Einzelgänger beschrieben, der regelmäßig die Moschee besuchte und nicht mit Frauen sprach. Nach Spiegel-informationen war C. dem Verfassungsschutz vor den Ermittlungen als „erweiterter Kontakt von Hamburger Islamisten“ bekannt, doch galt er nicht als „Protagonist“ der Szene. Der Vater von C. war seit Jahrzehnten als Gefährder eingestuft.
Lebt die Hamburger Terrorzelle von 9/11 weiter?
Aufgrund dieser Verbindungen stellt sich die Frage: Lebt die Hamburger Terror-Zelle von 9/11 in der nächsten Generation von Islamisten-Familien weiter? Abdurrahman C. war regelmäßiger Besucher der Al-Taqwa-Moschee, die in Hamburg an der Anzengruberstraße liegt. Die Moschee ist die Nachfolge der berüchtigten Al-Quds-Moschee. Bis auf diese Moschee hatte C. offenbar keine bekannten Anlaufpunkte in Hamburg. Allerdings hatte er Kontakte zu Protagonisten rund um die frühere Terrorzelle um Atta und teilweise zu Söhnen von deren Mitgliedern, die aktuell in Hamburg, aber alle nicht im Bezirk Harburg wohnen. Die Al-Taqwa-Moschee ist seit ihrer Eröffnung der Anlaufpunkt für die salafistische Szene in Hamburg gewesen. Immer wieder kam es zu Razzien in der Taqwa-Moschee.
Im Internet gibt sich die Taqwa-Moschee Hamburg bedeckt und hinterlässt absichtlich den falschen Eindruck, als würde sie gar nicht mehr existieren. Aufsehen möchte die berüchtigte Moschee wohl nicht erregen. In einer Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der AfD (Oktober 2017) heißt es, dass die Taqwa-Moschee nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes Hamburgs gar nicht geschlossen sei: „Moscheen sind nahezu über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Lediglich die Taqwa-Moschee in Harburg ist als zentrale Anlaufstelle für Salafisten einzustufen. Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg ist die Taqwa-Moschee nicht geschlossen.“ Im aktuellsten Verfassungsschutzbericht Hamburg wird festgehalten: „Der wichtigste Anlaufpunkt für die salafistische Szene in Hamburg ist nach wie vor die Taqwa-Moschee in Harburg. Sie wird auch von jihadistischen Salafisten aufgesucht. Die Moschee wird zudem auch außerhalb der öffentlichen Gebetsveranstaltungen frequentiert.“
Die Al-Taqwa Moschee ist als mögliche Anlaufstelle für militante Islamisten seit 2014 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Man fragt sich, warum eine äußerst radikale Islamisten-Moschee zwar geschlossen wurde, aber ihre direkte Nachfolge-Moschee offen bleiben darf? Sowohl in der Taqwa-Moschee als auch in der Hamburger Masjid-El-Iman-Moschee sind – soweit bekannt – 40 Hamburger nach Syrien oder in den Irak aufgebrochen, um für die Terrororganisation IS zu kämpfen.
Der Fall von Abdurrahman C. zeigt nicht nur, wie eng verzahnt die islamistischen Ideologen von IS- und al-Qaida-Dschihadisten sind, sondern auch, dass Nachkommen die islamistischen Visionen ihrer Eltern oft fortführen.
Hinweise auf Mittäter existieren derzeit nicht. Am vergangenen Mittwoch durchsuchten Ermittler in mehreren Bundesländern 16 Wohnungen von Kontaktpersonen des Beschuldigten. Insgesamt 130 Ermittler seien im Einsatz gewesen. In den Wohnungen in Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg seien Handys, Tablets, Notebooks und Speichermedien sichergestellt worden. Die Auswertung laufe noch.