Tichys Einblick
Fleischlose Mogelpackung:

Veganer protestieren gegen Insekten im Essen

Demonstriert PETA bald vor der Grünen-Zentrale? Nach Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung brechen in Ernährungsfragen die Gefährten weg: Grüne Politiker fordern zum Insektenverzehr auf, Veganer warnen davor.

Essbare Insekten, für Veganer wohl eher nicht geeignet

IMAGO / Steinach

Die Grünen haben ihr früheres Milieu neuerlich verraten. Tempi passati, als Katrin Göring-Eckardt in ihrer famosen Rede ankündigte, man werde sich für „jede Biene“ und „jeden Schmetterling“ einsetzen. Wie wir seit dieser Woche wissen, haben neuerdings manche Grünen-Politiker Insekten zum Fressen gern. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach davon, diese würden eine „große Rolle“ bei der zukünftigen Ernährung der Menschheit spielen, es sei „geboten“, Insekten zu essen.

Die Partei hat seit ihrer Gründung immer wieder mit ihren Gründungsprinzipien gebrochen. Aus der Partei der Friedensmärsche ist eine Befürworterin von Waffenlieferungen geworden. Dem Klimaschutz hat sich der Umweltschutz längst untergeordnet, etwa, wenn die Biodiversität unter dem Aufbau von Windrädern leidet. Das romantische „Zurück zur Natur“-Moment hat längst der technizistische Machbarkeitswahn von Klimazielen und Wasserstoffstrategien verdrängt. „Erneuerbare Energien“ sind keine bloße Ideologie, sondern ein pragmatisches Geschäft.

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Da reiht sich der Streit um Insekten auf den Teller in eine logische Reihenfolge. Denn „Fleischersatz“ liegt im Trend; um dem neubürgerlich-grünen Milieu ein gutes Gewissen zu verschaffen, hat sich mittlerweile das Label „fleischlos“ so durchgesetzt, dass es in den Ohren als gleichbedeutend für „vegan“ klingt. Dahinter steckt nicht zuletzt ein Kniff der Industrie. Fleischersatz ist das neue „bio“ und kommt vegan daher, obwohl es in Wirklichkeit gar nicht vegan ist.

Dieser Betrug treibt nun die Veganer auf die Barrikaden. In der Taz spricht sich die PETA-Aktivistin Bettina Eick dagegen aus, Insekten zu essen. „Insekten sind weder vegetarisch und natürlich erst recht nicht vegan, weil das ein getötetes Tier ist, was dann irgendeinem Produkt beigemischt wird“, stellt sie klar. Und: „Insekten sind Tiere, die empfindungsfähig sind, das zeigt der aktuelle Stand der Wissenschaft.“

Man brauche „weder das Protein von dem Fleisch aus Kühen“ noch das von Insekten, um „unseren Proteinbedarf oder auch den Bedarf an irgendwelchen anderen Nährstoffen zu decken“. Und auch der Welthunger würde dadurch nicht bekämpft. Es seien genügend pflanzliche Produkte vorhanden, diese würden aber weggeworfen.

Das sind deswegen interessante Punkte, weil die taz damit Äußerungen des bayrischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger konterkarieren wollte; es sind aber genau dieselben Punkte, die die Heinrich-Böll-Stiftung anführt. Die grüne Parteistiftung veröffentlichte im Jahr 2018 einen Artikel, in dem sie die Vorteile der Insektenverköstigung ausbreitete. Darunter ist unter anderem zu lesen:

„Auch wenn Insekten also unterschiedlich bewertet werden müssen, sind sie unzweifelhaft eine brillante Alternative zu Fleisch. Als Proteinlieferanten übertreffen sie auch pflanzliche Nahrungsmittel wie etwa Hülsenfrüchte, Getreide- und Pseudogetreide, Nüsse und Sprossen, da tierische Eiweiße dem Bedarf des menschlichen Körpers besser entsprechen.“

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Die Verwendung von Insekten als Proteinersatz ist also durchaus eine grüne Idee. Und während PETA das Schmerzempfinden als Argumentationspunkt aufführt, warum die Insektenhaltung und -tötung moralisch verwerflich ist, steht im selben Artikel:

„Auch ökologisch und mit Blick auf das Wohl der Tiere spricht vieles für die Insekten – im Vergleich zu der traditionellen Viehhaltung. Noch wissen wir wenig darüber, ob und wie schmerzempfindlich Insekten sind; die übliche Tötung durch Einfrieren kommt dem ‚natürlichen Schicksal‘ der Kaltblütler, die bei geringen Temperaturen in ‚Winterschlaf‘ fallen, aber sehr nahe.“

Man muss weder Tierschützer noch Veganer sein, um eine merkwürdige Diskrepanz festzustellen, wenn es um das Thema „Tierwohl“ geht. Denn aus grüner Perspektive ist der Kältetod von Insekten im Grunde dem „natürlichen Schicksal“ ähnlich. Dass Insekten zudem 24 Stunden vor ihrem Tod hungern gelassen werden, wirft ebenso die Frage auf, ob es ein Tierwohl erster und zweiter Klasse gibt. Sollte PETA mit der Einordnung des Schmerzempfindens von Insekten richtig liegen, zerbröselte der moralische Ansatz sofort.

PETA unterstreicht auf der eigenen Seite die Warnung vor Insektenmehl im Essen. Es gebe außerdem keine Haltungsvorschriften für Insekten in Deutschland. Zudem verweist die Organisation darauf, dass der Proteingehalt von Insekten ein Mythos sei:

„Auch der Mythos, Produkte die Pulver aus Insekten enthalten seien eine gute Proteinquelle, hält sich hartnäckig. Ein Ökotest ergab jedoch, dass viele Produkte mit Insekten nicht einmal genug Protein enthalten, um sie als proteinreich bewerben zu dürfen.“

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Es gibt zugleich eine weitere Bruchlinie. Viele Veganer leiden unter Allergien; für sie ist die Extra-Überraschung im Mehl ein Fluch. Womit wir zur nächsten Lebenslüge kommen, die das Thema innerhalb des ökologisch denkenden Milieus aufwirft: der Klimaschutz. Es mag sein, dass die Aufzucht von Grillen als direkter Fleischersatz einen geringeren CO2-Ausstoß zur Folge hat. Doch welchen Anteil hat Grillenmehl in der Pasta oder im Bier daran? Teigprodukte kommen auch so ohne Insektenbelastung aus. Insektenmehl ist demnach sogar ein CO2-Treiber.

Aus veganer wie nachhaltiger wie umweltpolitischer wie klimapolitischer Sicht wäre es demnach sogar besser, gar kein Insektenmehl zuzulassen, da Getreide ein deutlich effizienteres Mittel zur Mehlherstellung ist. Offenbar liegen also die Interessen der parteipolitischen grünen Lobby ganz woanders als die Interessen des eigentlich grün denkenden Milieus.

Diesen Täuschungsversuch durchschauen diejenigen, die sich seit Jahren intensiv mit ihrer Ernährung auseinandersetzen, als erstes. Insektenmehl als Proteinpulver wäre aus veganer Sicht gar nicht nötig, da Hülsenfrüchte und andere pflanzliche Stoffe ausreichten. Liest man solche Begründungen, so fällt auf, dass die eigentlichen Veganer nicht die Zielgruppe der Kampagne sein können; sie sind tatsächlich ihre stärksten Gegner.

Der Bundesverband Tierschutz etwa gab zu bedenken, dass der Umstieg von Schweinen und Kühen auf Insekten keine Alternative sei. Die fehlenden Haltungsvorschriften riefen sogar schlimmste Erinnerungen wach. „Wir wiederholen gerade – so unsere Befürchtung – alle Fehler, die wir in der Massentierhaltung gemacht haben“, erklärt Sprecherin Claudia Lotz gegenüber watson. Man spreche sich deswegen gegen die Zulassung von Insekten als Lebensmittel aus. „Wir beruhigen uns mit dem Hinweis, dass sie keine Ansprüche an ihre Haltung, an das Futter stellen, kaum Wasser brauchen und von ihrem qualvollen Tod nichts spüren. Doch stimmt das?“, fragt Lotz.

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Auch in den sozialen Medien wächst der Unmut. Vegane User etwa stellen heraus, dass das vielbeworbene Insektenmehl dreimal so viel kostet wie eine rein vegane Alternative. Andere müssen sich gegen den Vorwurf wehren, sich nicht laut genug angesichts der Zulassung zu wehren – schließlich gab es zuvor gar kein Bedürfnis, eine neue Tierart ans Messer zu liefern. Andere beklagen sich darüber, dass sie früher klar vegane Restaurants oder Produkte nun jedes Mal zu überprüfen hätten, ob nicht doch Insekten verwendet würden.

Vor allem die Konkurrenz zwischen Insektenmehl und pflanzlichen Alternativen sorgt für Vermutungen, dass die Einführung von Insekten eher ein anti-veganer Schachzug der Lebensmittelindustrie sei. Wie auch immer man zu der Einschätzung stehen will: Die Entscheidung liegt nicht im Sinn der veganen Bewegung. Vielmehr kristallisiert sich ein Konflikt zwischen echten Veganern und dem grünen Lebensstil heraus. Um es auf eine polemische Formel zu bringen: Den Honig geißelt man, weil er ein tierisches Produkt ist, aber Bienen zu essen soll erlaubt werden.

Klar wird darüber: Um Tierwohl, um Klimaschutz oder Umweltschutz geht es nur nachrangig. Auch aus Sicht der veganen Community muss der Grund woanders liegen. Dass das dem Konformismus zugeneigte grüne Bürgertum dagegen auch diesen Köder schlucken wird, erscheint als sicher. Man isst Insekten, um sein Gewissen zu beruhigen, weil eine tatsächliche Umstellung auf einen veganen Lebensstil dann doch zu viel ist. Vielleicht bekommen in Zukunft auch die Grünen Besuch von aufgebrachten PETA-Aktivisten. Die Schmetterlinge und Bienen wissen ganz genau, was die Grünen getan haben.

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