Nachdem der Reclam-Verlag doch noch die Lesung von Victor Klemperers LTI (Lingua Tertii Imperii) am 9. November erlaubt hat, geht die Auseinandersetzung in die nächste Runde. Denn es war die Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch, die sich in die Veranstaltung intensiv eingemischt hatte.
Klepsch behauptet frech als neuen Ablehnungsgrund neben den Verlagsrechten: Es sei ihre Aufgabe, „Schaden von der Stadt und vom Stadtmuseum abzuwenden“. Die Lesung im Stadtmuseum, bei welcher Arnold Vaatz, Antje Hermenau und Uwe Steimle aus LTI zitieren wollten, untersagte sie, weil sie eine „Verunglimpfung der Holocaust-Opfer“ befürchtete.
Dass dies in Wirklichkeit selbst eine Verunglimpfung der drei Beteiligten bedeutete, kann auch die Zulassung durch den Verlag nicht wettmachen. Arnold Vaatz, früher Fraktionsvize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat deswegen einen offenen Brief an den Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) verfasst. TE bildet ihn an dieser Stelle vollständig ab.
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Hilbert,
gestern fand – veranstaltet von der Stadtratsfraktion Freie Wähler/Freie Bürger der Stadt Dresden – im Stadtmuseum eine Gedenkveranstaltung an die Pogromnacht vom 9. November 1938 statt. Der Zuspruch war überwältigend, der Vortragssaal gefülllt bis auf den letzten Platz, zahlreiche Interessenten mußten abgewiesen werden, um eine Überfüllung zu vermeiden.
Im Vorfeld dieser Veranstaltung hat die Stadt Dresden meinen Namen öffentlich in herabsetzender und rufschädigender Weise genannt. Dies kann ich nicht auf sich beruhen lassen. Ich bitte Sie deshalb um
Verständnis, daß ich als eine erste Reaktion darauf die Form eines
offenen Briefes
wähle, der zeitgleich per Mail an Sie und an die Presse und in unterschriebener Form per Post nochmals an Sie abgeschickt wird.
Ich hatte mich angesichts des Terrorangriffs der HAMAS vom 7. Oktober bereit erklärt, an dieser Veranstaltung teilzunehmen um meine Verbundenheit mit dem jüdischen Volk und meine Verantwortung aufgrund der in deutschem Namen verübten Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern zu demonstrieren. Ich hätte auch die Einladung anderer Fraktionen zu einer solchen Veranstaltung angenommen – mit einer Ausnahme: Eine Veranstaltung der Linksfraktion hätte ich ausgeschlagen, weil meine SED-Lehrer 1967 während des Sechs-Tage-Krieges von mir als 12jährigem Schüler in einer Weise Bekenntnisse des Hasses auf den „Aggressor Israel“ abverlangten, die ich nie vergessen werde, weshalb ich mit Leuten, deren Personal- und Kapitalstamm aus dem Gerüst dieser Gesinnungsdiktatur stammt, nichts zu tun haben will, egal ob sie heute anders reden als ihre Rechtsvorgänger oder nicht. Aber selbstverständlich hätte ich auch an einer offiziellen Veranstaltung der Stadt Dresden zu diesem Tag teilgenommen, wenn denn die Stadt Dresden fähig, willens und engagiert genug gewesen wäre, eine solche zu planen, wozu ihre Puste ganz offenbar nicht ausreichte.
Im Zusammenhang mit der geplanten Gedenkveranstaltung äußerte die Kulturbürgermeisterin Klepsch (Die Linke), von der oben genannten Veranstaltung drohe ein Imageschaden für die Stadt Dresden, und es sei bei Teilen (Plural!) des Podiums davon auszugehen, dass diese öffentlich als Verunglimpfung von Teilen (Plural!) des Podiums davon auszugehen, dass diese öffentlich als Verunglimpfung von Holocaustopfern wahrgenommen werden könnten. Als Podiumsteilnehmer habe ich hierzu einige Fragen:
- Drohte der Stadt Dresden durch mich als Podiumsgast ein Imageschaden?
- Wenn ja: Welche Anhaltspunkte legten dies nahe?
- Wenn nein: Durch wessen Auftritt (es müssen wenigstens zwei Personen gemeint sein, denn Frau Klepsch verwendete den Plural) drohte dieser Imageschaden dann? Und warum?
- Drohte durch mich dort als eine Verunglimpfung von Holocaustopfern?
- Wenn ja: Welche Anhaltspunkte legten dies nahe?
- Wenn nein: Durch welche mindestens zwei Personen befürchtete die Stadt Dresden die Verunglimpfung befürchtet und warum?
- Egal, ob Frau Klepsch mit diesen Unterstellungen mich gemeint hat oder nicht, hat sie mein Ansehen als Bürger und langjähriger direkt gewählter Repräsentant dieser Stadt in zwei Parlamenten beschädigt. Ich bitte mir zu erklären, ob die Stadt Dresden die Sicht ihrer Kulturbürgermeisterin teilt.
- Wenn ja: Welche Anhaltspunkte führten die Stadt zu dieser Einschätzung?
- Wenn nein: Welche Schritte werden Sie unternehmen, um meinen Ruf nach der mir von der Stadt Dresden zugefügten gravierenden Rufschädigung wieder herzustellen?
Die Stadt Dresden hat schließlich nach längerem Zögern ihrer Stadtratsfraktion die geplante Gedenkveranstaltungen in den Räumen des Dresdner Stadtmuseums genehmigt. Diese Genehmigung ging einher mit einer gemeinsamen Erklärung des ersten Bürgermeisters Jan Donhauser (CDU) und der Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke), in der es heißt:
„Für uns gilt es als selbstverständlich, dass diese Veranstaltung dem Gedenken des 9. November an die Opfer der Pogrome vom 9. November 1938 gegenüber der jüdischen Bevölkerung und des Holocaust jederzeit gerecht wird sowie dass die freiheitlichdemokratische Grundordnung unseres Landes nicht in Zweifel gezogen wird“.
Auch hierzu ich Fragen:
- Was versteht die Stadt Dresden unter einer in-Zweifel-Ziehung der freiheitlichdemokratische Grundordnung unseres Landes? Bitte um Beispiele!
- Wird die Erwartung
„dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Landes nicht in Zweifel gezogen wird“ seitens der Stadt Dresden jeder geplanten Veranstaltung in städtischen Räumen in Form eines öffentlichen Verlautbarung üblicherweise vorangestellt?
- Wenn ja: Bei welchen Veranstaltungen ist dies bisher erfolgt?
- Wenn nein: Welche Sachverhalte machten im Fall der oben genannten Veranstaltung abweichend vom üblichen Brauch eine solche Verlautbarung erforderlich?
Als Formulierungshilfe mein Tip für Sie: Zu Frage 4 bitte ich Sie ja um die Nennung von Beispielen. Dort fände ich es einleuchtend, wenn Sie als ein solches Beispiel das Gebaren der Stadt Dresden im Vorfeld der oben genannten Veranstaltung anführten.
Ich gehe davon aus, dass es für Sie aus Anstand und Höflichkeit selbstverständlich ist, meinen Brief zu beantworten. Falls Ihre Antwort wider Erwarten dennoch längere Zeit ausbleiben sollte, wäre ich enttäuscht und müsste eine im Stadtrat vertretende Fraktion (z.B. die meiner Partei) bitten, im Rahmen ihrer verbürgten Fragerechte die Antwort auf diese Fragen einzufordern.
Mit freundlichem Gruß
(Arnold Vaatz)“