Uwe Tellkamp und Durs Grünbein trafen sich am Donnerstagabend im Dresdner Kulturpalast zum Gespräch vor siebenhundert Zuschauern. Suhrkamp, der Verlag Tellkamps, distanzierte sich anschließend per Twitter von seinem Bestseller-Autor. Diese Distanzierung sorgt für heftige Diskussionen quer durch alle Medien. Seit gestern Nacht existiert eine fast zweistündige Aufzeichnung der Veranstaltung bei Youtube. Wir haben die wichtigsten Aussagen Tellkamps hier transkribiert (Es gilt das gesprochene Wort):
„Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern: Über 95 Prozent. Wenn man die 30 Milliarden Euro, die die Flüchtlinge im Jahr kosten, und das ist die offizielle Zahl aus dem Finanzministerium, wenn wir die in die Rentenlöcher stecken, ist das Problem Rentenloch erledigt.
Um meine Sicherheit machen Sie sich bitte keine Sorgen, ich bin so ängstlich und menschlich wie vielleicht der eine oder andere im Publikum auch. Ich erlaube mir nur, auch Kraft des Schriftstellerberufs, den ich ergriffen habe, irgendwann auch meine Meinung zu äußern. Auch, wenn ich weiß, dass das Konsequenzen hat. Und es hat Konsequenzen. Bitte leugnen Sie das nicht weg. Die Autos, die abgefackelt werden, sind nicht auf der linken Seite.
(Bezugnehmend auf Grenzöffnung und Zuwanderung) In den entscheidenden Debatten gab es im Bundestag noch nicht einmal von der Linken eine Opposition. Der Bundestag ist bis heute nicht gefragt. Das Grundprinzip der Gewaltenteilung, der auch eine Kanzlerin Merkel unterliegt, ist bis heute verletzt, das stellt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, weil Frau Merkel bis heute den Bundestag nicht hat darüber entscheiden lassen.
Darüber sehe ich nirgendwo, außer in Publikationen die kaum einer kennt (hier nennt er im Folgenden z.B. Cicero und andere), Randpublikationen! … In der so genannten Mainstreampresse (…) sehe ich dazu leider nichts. Da sehe ich Jubelorgien in der Süddeutschen Zeitung. Wo uns Heribert Prantl übrigens unterstellt, wir Ostdeutschen hätten keine Demokratie. Der Mann, der sein Leben lang auf der Straße gewesen ist und dafür gekämpft hat, eine Demokratie durchzusetzen, spricht Ostdeutschen Demokratiefähigkeit ab, das finde ich Klasse. (Hier ist nicht eindeutig klar, ob der erste Satzteil eine ironische Zuspitzung auf Prantl versus die friedliche Revolution der DDR gemeint ist, wahrscheinlich aber schon.)
Wenn ich ein Wort wie „Schutzsuchende“ höre – was anstelle des wahren Begriffs „Flüchtlinge“ oder „Migrant“, was auch gerne vermixt wird – da zögere ich zum Beispiel. Wenn ich Aktivist höre, und da wird gemeint im G-20, – Gangster um es auszusprechen – das sind Kriminelle. Das ist für mich genau die Verschwiemelung von Tatsachen, die viele Leser spüren, wo etwas aufgedrückt werden soll, was nicht so ist, aber gerne in irgendeine Richtung hätte kommen sollen. Und das ist auch ein Problem vieler Medien gewesen in dieser Zeit, und sie können sich jetzt, Frau Großmann (Die Diskussion zwischen Uwe Tellkamp und Urs Grünbein wurde von Karin Großmann, Chefreporterin der Sächsischen Zeitung, moderiert), nicht einfach vom Angelhaken lassen und sagen, die Meinungen ändern sich und wir denken jetzt ganz anders: Da gibt es auch Ursache und Wirkung, denn dass sie anders denken, hat auch mit Druck zu tun, auch von der Straße (Hier spielt Tellkamp auf ein angeblich zunehmend differenzierteren Blick der Mainstreammedien auf das Problem Zuwanderung an, den wohl zuvor Frau Großmann für diese Medien eingefordert hatte). Und das nächste ist: Mit dieser Ausrede sagen Sie im Prinzip, was geht mich mein Geschrei von gestern an, ich bin heute ganz anderer Meinung. So funktioniert das Leben nicht.
(Als Großmann einfordert, jedem Journalisten doch auch eine Lernfähigkeit zuzubilligen antworten Tellkamp ihr:) Richtig, das müssen Sie dann aber auch denjenigen zugestehen, die in dieser Zeit herabgewürdigt worden sind, beleidigt worden sind. Die Hamburger MoPo macht auf mit dem braun eingefärbten Ostdeutschland und findet nichts dabei. Das geht so nicht. Da muss sich die vierte Gewalt fragen lassen, wo sie hin will. Und wenn Sie jetzt sagen, wir sind selbstkritisch usw., ist das wirklich nur von Ihnen selbst verstanden. Wo sind die Debatten, die dazu geführt haben? Das kann ich nicht so ganz teilen. Was geht seit Jahr und Tag auf Dresden nieder, was wir für ein Dunkeldeutschland sind, wo nur Zurückgebliebene (Tellkamp verweist auf Armin Laschet als Urheber) und Verrückte leben, was geht da nieder? Und glauben Sie, das macht keine Wirkung bei den Menschen? Die stellen sich dann hin und sagen: Na ja, der hat das gestern so geschrieben, der ist lernfähig, der macht’s heut. Die Beleidigungen bleiben, das bleibt so. Und da muss man sich über Reaktionen nicht wundern, wenn was passiert. Und so ist es auf der Frankfurter Buchmesse gewesen, auch dort: Ursache und Wirkung. Krawall gemacht, nach meinen Beobachtungen, hat die andere Seite von der Antifa.
Und dass sich dann jemand wehrt dagegen, der Dinge publiziert, die auf dem Boden des Grundgesetzes in sofern stehen, das keine justiziablen Dinge passieren, und das ist für mich der Richter über Gut und Böse hier, dass also ein Verlag Dinge publiziert, die nicht justiziabel sind, dann hat er das Recht, erst Recht, wenn er bezahlt, auszustellen. Dann muss man das ertragen und gut ist. Und was passiert aber? Es wird zur aktiven Auseinandersetzung – die nächste so genannte Lieblingsvokabel – aufgerufen. Und was heißt das schon. Da stellt sich ein Buchhändler hin und sagt, nur Idioten können bei dem Terminus „aktive Auseinandersetzung“ der Meinung sein, dass zur Gewalt aufgerufen wird. Aha, das ist aber dann voll passiert. Das waren wohl alles Idioten, die von den Ständen der Verlage die Bücher runtergeholt haben. Das ist das Problem. Und wenn 95 auf 5 einschlagen und fünfe sich wehren, und 95 sagen: Jetzt spiel mal nicht die Opferrolle, dann muss man sich nicht wundern. Und so ist es leider gelaufen.
Wenn sie tagelang, wochenlang, jahrelang herabgewürdigt werden – und es ist herabgewürdigt worden bei jedem kritischen Wort gegen Zuwanderung – schon alleine, wenn sie sagen: Migranten, Flüchtlinge, das wollen wir hübsch trennen, wenn sie sagen, hier gibt es Probleme, Herr Grünbein hat vorhin den Fall gebracht von dem LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin), das ist richtig, das Problem an der Sache ist, das genau die LaGeSo-Mitarbeiter auch Maulkorb kriegen. Und sie kriegen sie. Hier in Dresden beispielsweise. Aus anderen Ursachen.
Das nächste ist: Wenn sie ständig in eine bestimmte Richtung gedrängt werden, – das ist passiert, wir waren vorhin bei der Sprache, da fängt es an. Rechte, das sind also Rechtspopulisten, das sind natürlich Rassisten, Sexisten, Extremisten, also sag’s gleich raus: Es sind Nazis. Und die Bürger wollen nichts weiter, als Kritik äußern oder sich zurückstellen und sagen: Gut, hier läuft was schief. Dann merken sie Reaktion darauf. Und die Reaktionen sind, wie ich sie gerade genannt habe. Oft im signifikanten Maß. Dann muss man sich über eine Verrohung, über eine platzende Wut nicht wundern. Ich billige es nicht, aber wundern muss man sich nicht.
Aber die Probleme, die wir haben, und wir haben sie, fangen mit denen an, die nicht verfolgt sind, sondern über sichere Drittstaaten einwandern. Wir haben überhaupt nicht geredet über das Problem, das große Problemfeld Recht und Rechtsverletzung. Es ist bis heute nicht sicher – die eine sagen so, die anderen sagen so – was Merkel 2015 gemacht hat. Ob das ein Rechtsbruch war, ja oder nein. Es ist aber unter Rechtsgelehrten, so weit ich mich habe kundig machen können, weitgehend Konsens, dass ein Rechtsbruch auf anderer Ebene existiert, eben in der Gewaltenteilung. Bis heute hat der Bundestag es nicht abgesegnet.
Sondern sie (Merkel) hat am Prinzip vorbeiregiert. Ich kann mir natürlich erklären, warum man das nicht macht, weil dann nämlich der einzelne Abgeordnete im Wahlkreis den empörten Bürgern erklären muss, was er da gemacht hat. Und dazu haben sie keine Lust, da warten sie lieber ab, bis das Bundesverfassungsgericht Recht spricht.
Noch mal zur Rechtsituation: Die rechtliche Lage, die der wissenschaftliche Dienst des Bundestages festgestellt hat (…) man weiß bis jetzt nicht, auf welcher Rechtsgrundlage Merkel eigentlich gehandelt hat. Es gibt einen so genannten Ministererlass, auf den sich de Maizière beruft. Wahrscheinlich – der ist übrigens immer noch in Kraft – ist (der) verfassungswidrig.
Das nächste ist, es gibt ein Zurückweisungsgebot an den Grenzen. Wir haben über Robin Alexander gesprochen vorhin in der Garderobe. Wenn Sie das lesen, was der Berliner Polizeipräsident dort sagt (oder) der Dieter Rohmann beispielsweise … Es ist an den Grenzen eine Sicherung gewesen. Aber aus Furcht vor schlechten Bildern hat man es nicht gemacht. Da sind wir übrigens beim eigentlichen Thema des Abends, was Social Media und Presse machen. Und das merken viele Bürger, sie sind kritisch dagegen und werden in Ecken geschoben. Und das ist das eigentliche moralische Narrativ, dahin sind wir noch nicht vorgedrungen.
Wir haben natürlich eine egoistische Diskussion. Darum geht’s. Wem helfe ich und was ist Moral? Die einen sagen, moralisch ist es, den Fremden, den Flüchtlingen zu helfen. Einverstanden. Die anderen sagen, moralisch ist es, zunächst mal an die eigenen Leute zu denken. Einverstanden. Das Problem für mich ist, dass die, die sagen, wir haben eine Verpflichtung aufgrund unserer Geschichte, den anderen zunächst zu helfen, dass die anfangen zu moralisieren. Die sagen nämlich: Ihr anderen, die ihr an eure Oma zuerst denkt, an eure Tochter, an euren Sohn, denen ihr erst einmal Geld geben wollt, bevor ihr es jemandem Fremdes gebt, die denken egoistisch. Gut, aber weil du egoistisch denkst, bist du ein schlechter Mensch. Und damit fangen die Probleme an. Und das ist das, was ich mit Gesinnungskorridor meine, denn dieses Narrativ ist in vielen Zeitungen gepflegt worden.
Meine Ängste sind beispielsweise Folgende: Macht es Ihnen keine Sorge – Sie sprachen vorhin, wir haben eine Million Flüchtlinge – dass keiner weiß wie viele? Wir reden über Obergrenzen. Sie sagen, die Flüchtlinge sind reduziert, sind sie de facto nicht. Wir haben uns geeinigt auf die (…) Obergrenze von Zweihunderttausend. Ich habe vorhin die Zahlen vorgelesen: 500-1000, stand in der BZ, kommen monatlich, das heißt, wir haben jährlich eine Zuzug einer (…) Stadt etwa wie Kassel von 200.000. Meistens aus der Alterskohorte 18-35. Das ist übrigens das nächste verdrehte Ding, dass man sagt, bei 80 Millionen Deutschen, was würde denn das bedeuten? Was übersehen wird, dass wir die Alterskohorten rechnen müssen. Wie viele Deutsche gibt es bei 18-35 Jährigen? Zehn Millionen. Da sehen die Prozentzahlen nämlich anders aus schon. Und mir macht Angst, dass sich das Land in sehr kurzer Zeit verändert. Veränderungen gibt es immer, da sind wir d’Accord. Die Zahl ist es und die Abruptheit ist es. Und das für mich bisher keine Tendenzen wirklich erkennbar sind, das abzustellen. Na, da sind sie eben da.
Mir macht Angst, dass wir mit (dem) Islam eine Politik importieren, die mit unserer Auffassung von Werten, speziell dem Rechtssystem, nicht viel am Hut hat. Gucken Sie sich die Todesstrafe und die Definition im Islam an. Die wenig am Hut hat mit … die wenigen Beispiele Integration … mir machen die Probleme in den Klassen wo sie integrieren sollen. Und das treibt viele Menschen um. Und was man bisher dafür erfahren hat, wenn man das ausgesprochen hat, war Hass, Häme, in die Ecke schieben, populistisch, Nazi sein, braun sein. Und was mir auch Angst macht, ist, wenn man das weiter treibt, und es wird leider in viele Medien so getrieben, dann entstehen die Nazis erst, die sie vorher gar nicht hatten.
Das Problem an der Sache ist, wie neulich in der ARD (Tellkamp sagt aus Versehen AfD, meint aber ARD, linke Gruppen und Publikationen machen daraus später eine Übernahme Tellkamps von AfD-Thesen) zu hören (war) von einem Wissenschaftler, der in Harvard lehrt, ohne, dass übrigens ein Widerspruch kam – interessant – dass wir ein Großexperiment in diesem Land veranstalten, ohne dass die, die gezwungen sind, daran teilzunehmen, gefragt worden sind oder gefragt werden.
Beispiel Reizname Sarrazin. Wie ist mit diesem Mann umgegangen worden. Was hat der sich anhören müssen, es ist beispiellos. Ob das Buch Krawall war, ob das populistisch war, ob das falsch war, sei jetzt mal ganz außen vor. Aber wie ist mit dem Mann umgegangen worden! Und das ist nicht fair, das ist kein Respekt. Und zur Meinungsfreiheit gehört essentiell der Respekt vor der anderen Meinung und das Einsteigen ins Argument.
Und den Gesinnungskorridor, den Sie sehen, der ist für mich zwischen erwünschter und geduldeter Meinung. Es gibt hierzulande geduldete Meinungen. Die Reaktionen auf das, was ich so veröffentliche, bzw. sage, (da) ziehe ich für mich den Schluss, meine Meinung ist geduldet. Erwünscht ist sie nicht. Und das merke ich an den Reaktionen darauf. Und das gehört eben zum Respekt: Zur Meinungsfreiheit gehört der Respekt davor, das anzuhören. Und mich nicht irgendwie als dumm oder blöd oder beschränkt darzustellen. Entschuldigung, aber das ist genau das, was ich fühle, was ich sehe, was ich erfahre, was passiert, wenn man eine solche Meinung vertritt, wie ich sie mir erlaube, zu vertreten. Ich darf sie sagen, aber ich krieg Ohrfeigen dafür. Und das gehört eben zur Meinungsfreiheit dazu, dass man die Ohrfeigen eben nicht gleich macht (…) ich möchte Meinungsfreiheit ohne Furcht haben, die zu äußern.
Wir haben heute Abend noch nicht darüber gesprochen: Wenn das Buch von Sieferle, „Finis Germania“, von der Spiegel-Bestsellerliste verschwindet, die eine Verkaufsliste ist, und dann kommt aber als Erklärung – übrigens auf Nachfrage von Henryk Broder – kommt als Erklärung, das ist auch eine Plattform, diese Bestsellerliste, und wir wollen solchen antisemitischen Büchern keine Plattform bieten. Da frag ich mich, der Herr Doktor Brinkbäumer vom Spiegel weiß also genau, was antisemitisch ist, gibt noch im selben Artikel zu, dass er das Buch gar nicht richtig gelesen hat, wer entscheidet das? Und deswegen hab ich gesagt: Für mich ist die Grundlage das Gesetzbuch. Und wenn Sie sagen, es gibt ein Strafgesetzbuch das verbietet Autos abzufackeln, dann nehmen Sie die Diskussion von Merkel auf, die sagt, es ist verboten, solche Straftaten zu begehen. Das wissen wir alle. Deshalb werden sie trotzdem gemacht. Und das ist das Problem.“