Noch vor wenigen Jahrzehnten kam einmal im Jahr der Röntgenbus in die Schule: TBC war die große Bedrohung und wurde flächendeckend bekämpft. Widerstand? So zwecklos wie unbekannt. Würde der Staat unsere Kinder zwangsweise röntgen ohne medizinischen Grund, würden viele auf die Barrikaden gehen. Ähnlich verhält es sich mit den jährlichen Fluor-Behandlungen von Kinderzähnen: Eltern, die das an ihren Kindern nicht wollen, kreuzen einfach ein „Nein“ bei der Einwilligung an bzw. verweigern die Unterschrift. Das macht sogar Sinn, weil die Fluorbehandlung von Zähnen auch die trifft, die zu Hause noch putzen gelernt haben und nicht am Dauerapfelzuckersafttropf hängen.
Wenn wir also unsere neuerdings hohen Maßstäbe anlegen, scheint der Fall klar: Der Versuch, das Alter zweifelhaft minderjähriger Asylbewerber mittels Röntgenaufnahme zu ermitteln, muss eingestellt werden. Zum Altersnachweis müssen andere Maßnahmen gefunden und ergriffen werden. Aber wie wäre es mit Reihen-Röntgenuntersuchungen für Zuwanderer aus Ländern, in denen nachweislich noch die TBC grassiert? Deutschland verzichtet darauf und setzt seine einheimische Bevölkerung damit einem Risiko aus, das man noch Jahrzehnte zuvor bei sich selbst zu bekämpfen bereit war, bis das Risiko verschwunden ist. Nun ist es wieder da und nichts passiert?
Der junge Mann war über Malta eingereist und kann, so er über 18 Jahre alt ist, auch wieder dorthin abgeschoben werden, schreibt der Merkur. Das allerdings gilt auch für Griechenland, Italien, Spanien und alle weiteren EU-Länder, aus denen Zuwanderer nach Deutschland kommen und gekommen sind – streng genommen können also nahezu 100 Prozent der hier ankommenden Erwachsenen abgeschoben werden in ein sicheres Land. Wird aber nicht praktiziert. Schon gar nicht, wenn die Altersgrenze einen weiteren Freibrief ausstellt.
Denn wer nun unter 18 Jahre alt und unbegleitet aufgegriffen wird, gilt in Deutschland als besonders schutzbedürftig. In Rosenheim bezweifelte die Polizei das Alter des Mannes oder besser gesagt: möglichen Jünglings aus der Elfenbeinküste und ließ ihn röntgen. Ergebnis der Ärzte: Er ist wahrscheinlich eher 19 Jahre alt. Das Amtsgericht Rosenheim ordnete daraufhin Abschiebehaft an. Nach dem der Anwalt Beschwerde einreichte und ein weiteres Gericht der Beschwerde stattgab, wurde der Mann sofort freigelassen. Ein Erfolg für ihn und seine Anwälte – aber auch für das Gastland, das es sich so schwer macht mit Entscheidungen?
Wo sich der Mann inzwischen aufhält, ist übrigens unklar, schreibt der Merkur: „Sein Anwalt hat nach eigenen Angaben keinen Kontakt mehr zu ihm. Möglicherweise ist er unmittelbar nach seiner Freilassung untergetaucht.“ – Vermutlich ist er abgetaucht. Welche Schlüsse dürfen daraus gezogen werden? War er so harmlos, wie er sich gibt? Wann wird dies erkannt – noch vor einer Straftat oder wieder erst danach? Fragen, die die Sicherheitsfrage erneut stellen. Wann wird Recht zu Unrecht, der Sinn einer Gesetzesreglung ins Gegenteil verkehrt?
Klar wird anhand des Fallbeispiels, dass diese Röntgenfrage nur ein Puzzleteil in einer ganzen Reihe ungelöster Probleme hin zur Lösung des Gesamtproblems ist: Von genereller Abschiebehaft bis hin zu sicheren Grenzen herrscht ein großer gesellschaftlicher Konflikt: Zuwanderung begrenzen oder die Grenzen bedingungslos offen lassen? Und mittendrin dann Fragen, die wir an unseren hohen humanitären Standards messen wollen und vielleicht sogar messen müssen. Wenn allerdings der Staats- und Sicherheitsapparat an so vielen Stellen versagt, dann wird jedes zu lösende Detail zu einer unüberwindbaren Hürde – ein Turmbau zu Babel mitten im Europa des 21. Jahrhunderts. Mitten in Deutschland.
Es ist der Kampf jener, die eine möglichst unbegrenzte Einwanderung fordern und durchsetzen wollen, und denen dabei jedes Argument gerade recht kommt. Das Recht wird zum Dschungel, durch die die Schleichpfade der Schlepper führen. Diejenigen, die entschiedene Maßnahmen bei der Altersfeststellung fordern, werden schnell abgestempelt, als hartherzig und geizig. Oder schützen sie nur das Recht der Einheimischen auf Unversehrtheit?
Zurück zu den Tatsachen: Unter potentiellen Zuwanderern hat sich herumgesprochen (Schlepper und Helfer sorgen dafür), dass unter Achtzehnjährige in Deutschland großzügige Vergünstigungen genießen. Der Grünen-Politiker Palmer nennt hier: „exklusive Unterbringung mit Betreuung“, „Verzicht auf Asylverfahren“ und „drastisch verbesserte Bleibechancen“. Hinzu kommt noch ein deutlich milderes Strafrecht bei kriminellen Vergehen.
Wie war das in Deutschland bei der Bundeswehr, als es noch Wehrpflicht gab oder beim Zivildienst, als wohl beispielsweise die Lunge geröntgt wurde, um TBC auszuschließen? Verweigert werden konnte das vom jungen Mann nicht. Allerdings waren die Betroffenen hier bereits volljährig. Wie sieht das bei Scannern an Flughäfen aus? Auch hier kommt es zu wie auch immer gearteten Strahlenbelastungen. Nun muss nicht fliegen, wer nicht fliegen mag. Die Sache ist also weitestgehend freiwillig, wenn der Flug nicht aus irgendwelchen Gründen lebensnotwendig ist. Aber ist die Strahlenbelastung bei einem einmaligen Flug wirklich ein Entscheidungskriterium? Wieder wird eine Mücke zum Elefanten aufgeblasen. Es geht nicht um Strahlenbelastung – es geht darum, Grenzen offen zu halten, Möglichkeiten für jedermann zu schaffen, gleich welchen Alters?
Aber vermutlich wird sie nicht angewandt werden. Irgendwie wird sich schon ein Argument finden, auch dies zu verhindern, wenn man verhindern will, dass dieses Chaos rund um die Zuwanderung endlich geregelt wird.