Tichys Einblick
Das kriminelle Geschäft

UN-Sanktions-Liste: Die sechs „Chefs“ des Schleuser-Netzwerks

Die italienische Zeitung "Il Fatto Quotidiano" berichtete über den Migrationshandel nach Italien über Libyen, aus einer Großregion von Bangladesh bis Senegal und Nigeria. Und darüber, dass sechs Schleuserbosse auf einer UN-Sanktionsliste stehen.

A Libyan coast guardsman stands on a boat during the rescue of 147 illegal immigrants attempting to reach Europe off the coastal town of Zawiyah, 45 kilometres west of the capital Tripoli, on June 27, 2017

TAHA JAWASHI/AFP/Getty Images

Die italienische Zeitung Il Fatto Quotidiano berichtete über den organisierten Transfer von Migranten nach Italien über Libyen aus einer geschäftlichen Großregion von Bangladesh bis Senegal und Nigeria. Und darüber, dass sechs Schleuserbosse auf einer UN-Sanktionsliste stehen. Wir geben nachstehend Inhalte des Berichtes ins Deutsche übertragen wieder.

Screenprint: Il Fatto Quotidiano

Und die Schleuser? Die politische und kulturelle (Schein-)Debatte der letzten Woche in Italien dreht sich vor allem um die Rettung. Was vorher geschieht, nicht nur in Libyen, bleibt stets gerne im Hintergrund. In einer Artikelserie möchte diese Zeitung (Il Fatto Quotidiano, Anm. der Red.) Fakten herausarbeiten – dank und auf Basis journalistischer und juristischer Recherchen und auf Basis der Aussagen internationaler Organisationen, die wissen, dass die eigentlichen Verantwortlichen für die Tragödie – gut sichtbar auf den Meeren und unsichtbar in der Wüste oder den libyschen Lagern, die Menschenhändler sind.
Beginnen wir die Verantwortlichen beim Namen zu nennen. Am 8. Juni (2018) hat das Komitee der UN, das sich um die Sanktionen gegen Libyen kümmert, sechs Namen der Kriminellen-Liste hinzugefügt, deren Vermögen eingefroren und deren Transit in den Mitgliedsländern der UN verboten.
Die sechs Namen wurden von den NL vorgeschlagen und von UK, den USA und D unterstützt, um die Verantwortung für die Missachtung der Menschenrechte und ihr Eigentum anzuzeigen. Es handelt sich um die ersten Personen, die angeklagt (sanktioniert) wurden seit 2011. Russland hatte versucht diese Sanktionen zu verhindern, wie sie es bereits 2015 erfolgreich vermocht hatte, aber seit dem 25. Mai stimmte es zu. Hier sind die Herren des Menschenhandels:
ERMYAS GHERMAYS. Einer der Hauptverantwortlichen im Menschenhandel der Sub-Sahara. Hat zehntausende von Menschen am Horn von Afrika und von dort über Libyen nach Europa und in die USA gebracht. Verfügt über eine bewaffnete Miliz und eigene Gefangenlager, in denen es zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Er gilt als „Drehscheibe des Ostens“: Sein Netzwerk reicht vom Süd-Sudan nach Italien, Frankreich, Deutschland, Holland, Schweden und UK. Von seinen Camps an der Nord-West-Küste werden die Migranten nach Sabrata oder Zawiya gebracht. 2015 hat die Staatsanwaltschaft Palermo seine Verhaftung gefordert, weil er verantwortlich für den unmenschlichen Transport von Tausenden scheint, u.a. die 256 Menschen die am 13.10. 2013 vor Lampedusa untergegangen sind. Bei den Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Palermo kam nach dem Untergang durch ein Interview bei SkyNews heraus, dass Ghermay die Schuld für den Untergang bei den Migranten sah, die auf der Überfahrt über das Mittelmeer bestanden hätten, obwohl er den Zeitpunkt für inopportun gehalten hätte – er zeigt sich besorgt, dass der Untergang negative Folge für seinen guten Ruf und damit auf das „Business“ hätte.
AHMAD OUMAR AL-DABBASHI. Er ist der berühmteste unter den Menschenschmugglern, der von den italienischen Geheimdiensten „benutzt“ wurde, um die Fahrten zu stoppen … im Gegenzug für 5 Millionen Euro. Die UN hat ihn „sanktioniert“ aufgrund seiner illegalen Aktivitäten im Menschenhandel. Seine Miliz „Anas Al Dabbashi“ (der Name stammt von seinem toten Cousin) hatte Beziehungen zu ISIS. 2017 in einer Schlacht gegen eine rivalisierende Miliz in der Gegend um Zawiya sind 30 Menschen umgekommen. Am 4.12.2017 hat er ausgesagt, nach Sabrata mt feuerbereiten Waffen eingezogen zu sein. Nach unterschiedlichen Aussagen wurden tausende Migranten in schlechtestem Zustand oder tot in den Lagern von Al Dabbashi gefunden. Der Menschenschmuggler gilt auch als verantwortlich am Tod von Sami Khalifa al-Gharabli, Bediensteter der Region Sabrata, der den Menschenhandel unterbinden sollte.
FITIWI ABDELRAZAK. Von der UN als eine der Schlüsselfiguren in Libyen eingestuft, verfügt über eine Miliz und über „Lager“, gibt an, sich auch Migranten aus anderen Lagern zu „kaufen“. Hat zahlreiche Überfahrten über das Meer organisiert ohne die Sicherheit zu garantieren. er gilt verantwortlich für zwei Untergänge im April und Juli 2014.
MUS’AB ABU-QARIN. Ist aktiv in der Gegend um Sbarrata, aber auch Zawiya und Garibulli. Hat Beziehungen in die arabischen Länder, um die Aktivitäten zu finanzieren. Arbeitet oft mit Ermyas Ghermay in Zawiya zusammen. Ein Mitglied seiner Organisation beschuldigt ihn des Transports von 45.000 Menschen – allein 2015. Er gilt als Schuldiger für den Untergang am 18.04.2015, bei dem 800 Menschen im Canale di Sicilia umgekommen sind. Die Experten der UN bescheinigen „kritische Bedingungen“ in seinen Lagern in der Gegend um Sabrata, wo er mit dem Clan von Al Dabbashi zusammenarbeitet. Er hat auch Beziehungen zu Salafisten in Tripolis, Sabha und Kufra.
MOHAMMED KACHLAF. Er ist Chef der Brigaden Shuhada al Nasr in Zwiya, kontrolliert eine Raffinerie als Ausgangsort für seine Aktionen und verfügt über mehrere Lager. Hat enge Beziehungen zum Chef der libyschen Küstenwache in Zawiya, al-Rahman al-Milad, dessen Schiffe – schreibt die UN – oftmals die Migranten-Schiffe der Rivalen von Kachlaf abfangen. Viele Frauen seiner Lager, aus Marokko oder aus der Sub-Sahara, werden als Sex-Sklavinnen verkauft.
ABD AL RAHMAN AL-MILAD. Auf der Liste der Top-Menschenhändler wird er als Chef der Küstenwache in der Gegend um Zawiya direkt mit dem Menschenschmuggel in Verbindung gebracht – gemeinsam mit seinen Mitarbeitern. Die Migranten werden mit „vorgehaltenen Waffen“ in seine „Lager“ transportiert. Die Bedingungen dort sind schlecht und von Gewalt geprägt.

Aktuelle Beiträge:

– Il Fatto Quotidiano (IT): https://www.ilfattoquotidiano.it/premium/articoli/i-signori-del-traffico-ecco-chi-manda-i-migranti-verso-litalia/

– New York Times (US): https://www.nytimes.com/2018/06/09/world/middleeast/un-security-council-libya-migrants.html

– Telegraph (UK): https://www.telegraph.co.uk/news/2018/06/08/un-sanctions-six-human-traffickers-libya-global-first/

– Il Giornale (IT): http://www.ilgiornale.it/news/politica/sanzioni-onu-6-boss-libici-traffico-1538419.html

 

Ältere Beiträge:

– Welt (DE), April 2015: https://www.welt.de/politik/ausland/article139879386/Von-mir-aus-sollen-sie-im-Stehen-schlafen.html

– Tagesanzeiger (CH), April 2015: https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Die-Schlepper-des-Todes/story/21992028

– Bild (DE), April 2015: https://www.bild.de/news/ausland/fluechtling/das-gesicht-des-skrupellosen-schleuser-netzwerks-40623892.bild.html

– Blick (CH), August 2015: https://www.blick.ch/news/ausland/ermias-ghermay-verdiente-schon-70-millionen-am-elend-der-mittelmeer-fluechtlinge-jagd-auf-den-chef-schlepper-id4075793.html

– Sonntagszeitung (CH), September 2016: http://dok.sonntagszeitung.ch/2016/profiteur_1/

– Express (UK), Oktober 2016: https://www.express.co.uk/news/world/718732/Worlds-most-notorious-migrant-smuggler-run-police-mobilise-hunt-down

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