Russlands Krieg in der Ukraine geht unvermindert weiter. Die strategisch wichtige Antoniwskij-Brücke in der von Russland besetzten Region Cherson wurde Berichten zufolge von ukrainischen Streitkräften angegriffen, die damit die Hauptnachschubroute Russlands in die südukrainische Stadt unterbrechen wollten. Mehrere, bisher unbestätigte Berichte deuten darauf hin, dass die ukrainischen Streitkräfte am späten Dienstagabend neue Angriffe durchgeführt haben.
„Explosionen im Bereich der Antoniwskiy-Brücke“, teilten die ukrainischen Streitkräfte kurz vor Mitternacht in einem Telegram-Update mit und fügten ein Video bei, das angeblich die Angriffe zeigt. Vor wenigen Tagen hatte Präsident Selenskyj angekündigt, die Ukraine wolle die Region und die Stadt in einer Offensive zurückerobern.
Die russischen Streitkräfte setzten derweil ihre Angriffe auf die Infrastruktur in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, und in der umliegenden Region im Nordosten des Landes fort. Der Gouverneur der Region, Oleh Syniehubov, sagte, dass die Angriffe auf die Stadt am Dienstag im Morgengrauen wieder aufgenommen wurden. „Die Russen zielen absichtlich auf zivile Infrastrukturobjekte wie Krankenhäuser, Schulen und Kinos. Alles wird beschossen, sogar Warteschlangen für humanitäre Hilfe“, sagte Syniehubov im ukrainischen Fernsehen. In den letzten Tagen kam es immer wieder zum Beschuss ziviler Ziele, auch im Süden des Landes.
Die EU sieht sich gezwungen, ihren Plan zur Rationierung von Gas in diesem Winter abzuschwächen, um eine durch weitere russische Lieferkürzungen verursachte Energiekrise zu vermeiden. 26 europäische Energieminister sprachen sich für eine freiwillige Reduzierung des Gasverbrauchs um 15 Prozent im Winter aus. Ungarn ist nicht Teil dieser Einigung. Die Minister einigten sich auf Ausnahmeregelungen für Inselstaaten und mögliche Ausnahmen für Länder, die kaum an das europäische Gasnetz angeschlossen sind. Der ukrainische Präsident Selenskyj wirft Russland vor, die Erdgaslieferungen absichtlich zu kürzen, um Europa einen „Preisterror“ aufzuzwingen. „Moskau tut mit Hilfe von Gazprom alles, um den kommenden Winter für die europäischen Länder so hart wie möglich zu machen. Der Terror muss beantwortet werden – mit Sanktionen“, sagte er in einer Videoansprache am späten Abend.
Die bisherigen Sanktionen wirken – aber die russische Wirtschaft scheint sich trotzdem besser zu entwickeln als erwartet. Am Dienstag hob der Internationale Währungsfonds die Schätzung des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für dieses Jahr um 2,5 Prozent an. Dennoch dürfte die Wirtschaft immer noch um 6 Prozent schrumpfen. „Das ist immer noch eine ziemlich große Rezession in Russland im Jahr 2022“, sagte IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas gegenüber der AFP und fügte hinzu, dass die steigenden Energiepreise „der russischen Wirtschaft eine enorme Menge an Einnahmen bescheren“.
US-Historiker sieht Putins Macht geschwächt – und diagnostiziert einen Machtkampf
Der amerikanische Historiker Timothy Snyder ist einer der führenden Russland- und Ukraine-Experten. Der Fachmann für osteuropäische Geschichte überzeugt: „Putins Macht schwindet“. In einem langen Post auf Twitter erläutert Snyder die Anzeichen für einen von ihm diagnostizierten Machtverfall im Kreml.
Snyders Theorie: Die mächtigen rund um Putin glauben zu wissen, dass Russland den Krieg verlieren wird. Die ständigen Drohungen dieser Leute, die er als „Untergangspropaganda“ bezeichnet, dienen dazu, sich selbst zu schützen. „Wenn Russland den Krieg verliert, haben sich die Leute, die jetzt radikale Dinge sagen, selbst geschützt. Ich für meinen Teil neige dazu, die drastischen Äußerungen als Beweis dafür zu sehen, dass wichtige Russen denken, dass Russland verliert.“
Die größte Gefahr für Putins Macht sieht Snyder in der Schwäche des Militärs. „Die Armee ist eine wichtige Stütze für Putin, der Mythos ihrer Unbesiegbarkeit ein wichtiger Teil seiner Propaganda.“ In der Ukraine würde die Armee aber so hohe Verluste an Menschen und Material erleiden, dass sie ihre anderen Aufgaben nicht mehr erfüllen könne und als Institution bedroht sei, so Snyder: „Putin kann eine schwache Armee überleben, aber irgendwann wirkt eine schwache Armee auch nicht mehr stark.“