Im Journalismus muss es manchmal, zum Beispiel wenn es um die Ausschlachtung eines vermeintlichen Geheimtreffens geht, schnell gehen. Doch manchmal muss man sich auch Zeit lassen. So wie zum Beispiel das ZDF-Magazin Frontal bei der Berichterstattung über den vermeintlichen Milliardenbetrug mit chinesischen Klimaprojekten. Oder wie auch das Umweltbundesamt bei der Bearbeitung anonymer Hinweise zum vermeintlichen Milliardenbetrug mit chinesischen Klimaprojekten. Oder auch wie Ministerin Steffi Lemke bei der Aufarbeitung des vermeintlichen Milliardenbetrugs mit chinesischen Klimaprojekten.
Das Schema sollte somit deutlich sein. Was Frontal im Sommer 2024 wohl als Aufklärungsprojekt lancierte, um Ölkonzernen halbgares Greenwashing vorzuwerfen und dabei China en passant eins auszuwischen, entpuppte sich bei näherem Hinsehen schon schnell als Skandal in den eigenen Reihen. Während Frontal sich für genauere Nachforschungen zurückzog, stellte TE bereits im Mai die unangenehmen Fragen, die sich vor allem an das Bundesumweltministerium von Steffi Lemke, das Umweltbundesamt von Dirk Messner und an die sogenannten „unabhängigen“ Prüfstellen richteten, die den UER-Betrug nicht nur durchgewunken haben, sondern dessen Beendigung auch noch massiv verschleppten.
Mehr als ein halbes Jahr nach Bekanntwerden des Skandals und knapp ein Jahr, nachdem erste Hinweise auf diesen Betrug beim UBA eingingen, folgt nun Kapitel zwei der UER-Saga bei Frontal. Darin spricht Dirk Messner mit betroffener Miene von einem „Supergau“ und blickt betroffen zur Seite, als hoffte er auf ein bestätigendes Nicken, dass er damit durchkomme. Nun, zumindest beim ZDF dürfte ihm das gelingen. Die Frage, wie denn genau die genauen Nachforschungen des UBA in 30 Fällen aussahen, obwohl Shell Deutschland deutlich zu verstehen gab, in keinerlei Nachforschungen eingebunden worden zu sein, wird bei Frontal nicht gestellt. Und auch Steffi Lemkes Ausrede, es handle sich dabei um einen Fehler der Vorgängerregierung, wird nicht nachgehakt, wieso die Ministerin diesen Missstand in drei Jahren unter ihrer Ägide nicht beendet hat.
Stattdessen sucht man beim ZDF nach der ominösen chinesischen Firma „Beijing Karbon“, die offensichtlich den bereitwilligen Deckmantel für den Betrug bot. Doch das Schreckgespenst „China-Betrüger“ darf nicht genügen, immerhin handelt es sich hier nicht um vom Internet überforderte Senioren, die einem Email-Betrug erlagen, sondern um zigfachen Betrug in Milliardenhöhe, der von einem zuständigen Ministerium, einem Amt sowie von „unabhängigen“ Prüfungsstellen übersehen wurde.
Das schwächste Glied in dieser Kette der Verantwortlichkeiten sind natürlich die sogenannten unabhängigen Prüfer, die einen Großteil der Fake-Projekte gegenseitig prüften und verifizierten. Dass solch eine Konstruktion beim UBA Verdacht hätte schöpfen sollen, bleibt natürlich auch unerwähnt. So bleibt der Schwarze Peter bei den tatsächlich sehr dubiosen Prüfungskonstrukten hängen.
Ausgestoßen aus dem Kreise Eingeweihter
Bemerkenswert ist dabei, dass das ZDF selbst einen der Öko-Erfüllungsgehilfen ans Messer zu liefern scheint. Werner Betzenbichler, seines Zeichens Geschäftsführer von Verico SCE, stand dem ZDF nach langem Tauziehen doch noch Rede und Antwort und bekam dieses Entgegenkommen prompt mit einer namentlichen Nennung gedankt. Das könnte seiner Karriere in der jetzigen Situation ein jähes Ende bereiten, zumal Betzenbichler nicht zum ersten Mal den Bogen überspannt zu haben scheint.
Bereits im Jahr 2008 berichtete der Spiegel über Tricksereien bei Auslandsprojekten mit Umweltsiegeln, mit denen Firmen Milliardenbetrug begehen können. Damals war Betzenbichler noch Prüfer beim TÜV Süd und berichtete von einer Durchfallquote von 10 Prozent aller Projekte. Ob diese Quote letztlich höher hätte ausfallen müssen, lässt sich nachträglich zwar nicht verifizieren, aber 2022 geriet Betzenbichler neuerdings in die Schlagzeilen, als seine Gesellschaft Verico für die Prüfung eines windigen Windparks in Serbien zuständig war. Ähnlich wie im jetzigen Fall, wies Betzenbichler auch damals die Schuld von sich. Man sei nur „Zweitgutachter“ gewesen, die Hauptverantwortung liege woanders. Dabei berief sich Betzenbichler auf die Richtlinien des Global Carbon Council (GCC). Pikant daran: Diese Richtlinien hatte Betzenbichler als Mitglied des Lenkungsausschusses des GCC selbst mitentwickelt.
Noch pikanter wird die Sache dann, wenn CO2-Experte Axel Michaelowa zwar bereits 2022 diesen Interessenkonflikt Betzenbichlers kritisch hervorhob, nun aber auch in der Frontal-Berichterstattung zu Wort kommt und sich schockiert zeigt ob der Verstrickungen Betzenbichlers in den UER-Skandal in China. Betzenbichler sei, so Michaelowa, „ein guter Kollege“, mit dem er viel zusammengearbeitet habe. Es sei „unverständlich“ für ihn, dass Betzenbichler in den UER-Betrug verwickelt sei.
So viel ist deutlich: Man kennt sich, gibt aber nun zumindest vor, sich weniger zu kennen, als es den Anschein hat, auch wenn Michaelowa schon 2022 ähnliche Interessenkonflikte Betzenbichlers kritisierte.
Frontal bildet die Front vor dem UBA
Doch es scheint, dass Betzenbichlers Zeit gekommen ist. Die Geschäftsführer der ebenfalls verwickelten Müller-BBM Umweltgutachter, Stefan Bräker und Matthias Bender, bleiben in der bisherigen Berichterstattung erst einmal außen vor. Das könnte sich aber noch ändern, denn ob Betzenbichler allein als Bauernopfer genügt, darf angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, bezweifelt werden, zumal nicht davon ausgegangen werden darf, dass bei der Beijing Karbon irgendjemand zur Rechenschaft gezogen werden dürfte.
Denn Betzenbichler muss daran glauben, damit niemand die Rolle Steffi Lemkes, aber vor allem auch des UBAs in diesem Skandal in Frage stellt. Vor allem Letzteres ist seit Jahrzehnten ein zentrales Organ grüner Politik in Deutschland und ist von struktureller Bedeutung für die Ermöglichung all jener Projekte – ob nun des UER-Skandals oder der zahlreichen Honigtöpfe für die Agora und ihre Freunde –, mit denen sich Grüne und ihre wirtschaftlichen Wurmfortsätze seit Jahren bereichern.
Dieses Anliegen können auch die Erfüllungsgehilfen von Frontal nur bedingt kaschieren. Doch wo kein Kläger, da kein Richter. So wird der wohl größte umweltpolitische Skandal Deutschlands mit einigen Bauernopfern unter den Tisch gekehrt werden, sodass das Umweltbundesamt auch in Zukunft ungestört sein Treiben fortsetzen kann.