Tichys Einblick
Oberbürgermeisterwahl

Überraschung in Stuttgart: CDU-Kandidat vor der grünen Konkurrentin

In der Grünen-Hochburg Stuttgart hat überraschend der CDU-Kandidat Nopper die Grüne Kienzle im ersten Wahlgang geschlagen. In der Stadt, in der sich grüne Verkehrspolitik wie kaum sonst wo ausgetobt hat, stehen schwierige Zeiten bevor.

imago images / Arnulf Hettrich

Überraschung im grünen Stuttgart bei der Wahl zum neuen Oberbürgermeister: Der CDU-Kandidat Frank Nopper erhielt mit 31,8 Prozent deutlich mehr Stimmen als die grüne Spitzenkandidatin Veronika Kienzle. Sie wurde von 17,2 Prozent der Stuttgarter gewählt und erlitt einen dramatischen Einbruch gegenüber der letzten OB-Wahl vor acht Jahren, als Amtsinhaber Fritz Kuhn mit 52,9 Prozent gewählt wurde. Jurist Frank Nopper (49) bekleidet seit 18 Jahren das Amt des Oberbürgermeisters von Backnang, einer Stadt im Nordosten Stuttgarts mit einem hohen Anteil an Maschinenbauunternehmen und Autozulieferern.

Auf Platz drei folgte mit Marian Schreier ein weiterer Bürgermeister, der den Sprung in die Landeshauptstadt schaffen will. Der Dreißigjährige (»Gerade meine Generation – die von unseren heutigen Entscheidungen sei es mit Blick auf den Klimaschutz, die Mobilität oder die digitale Transformation am stärksten betroffen sein wird – wird in den kommenden Jahren Verantwortung übernehmen müssen«) ist Bürgermeister der Stadt Tengen in der Nähe der Schweiz und rühmt sich, den ersten Windpark in den Landkreis Konstanz gesetzt zu haben.

Keine Rolle spielt die SPD mit ihrem Kandidaten Martin Körner (»enttäuschendes Ergebnis«). Nur 20 000 Stuttgarter gaben ihm die Stimme. Er verzichtet noch am Abend auf die Teilnahme am zweiten Wahlgang. Ebenso abgeschlagen die AfD mit ihrem Kandidaten Malte Kaufmann und der Organisator der Demonstrations-Bewegung „Querdenken“, Michael Ballweg.

Frank Nopper („Wir brauchen einen Mobilitätsfrieden“) will ebenso wieder zum zweiten Wahlgang am 29. November antreten wie Veronika Kienzle („Starke Frauen, mutige Politik“). Dann reicht im Gegensatz zum ersten Wahlgang eine einfache Mehrheit. Kienzle sagt trotzt ihres schwachen Ergebnisses: „Der heutige Abend hat gezeigt, dass wir eine starke Öko-Soziale-Mehrheit haben. Diese möchte ich gerne hinter mir vereinen, um den Rückschritt zu vermeiden.“

Die Fachfrau für „Eurythmie“ kommt aus der Stuttgarter Innenstadt, dort, wo mehr grün als in den Randbezirken gewählt wurde. Sie hatte ein Auskommen als „Öffentlichkeitsdramaturgin“ im alternativen „Theaterhaus“ und koordinierte die Flüchtlingsbetreuung: „Alle diese Erfahrungen bringe ich in meine kommunalpolitische Arbeit ein.“

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Kandidat Hannes Rockenbauch kam mit 14 Prozent auf den vierten Platz; er will mit einem „radikal ökologischen Programm“ Stuttgart umgestalten. Der Ingenieur und Stadtplaner sitzt seit 2004 im Stuttgarter Gemeinderat als Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft von LINKE, SÖS, PIRATEN und Tierschutzpartei. Er war immer vorndran bei Demonstrationen gegen das Großbauprojekt Stuttgart 21, bei Blockaden gegen Räumaktionen der Polizei und musste schon mal eine Geldstrafe wegen Hausfriedensbruch bezahlen – Eintrittskarte ins linke Milieu gewissermassen.

Sein Traum für »eine Welt ohne Krieg und menschengemachten Klimawandel« beginnt im Stuttgarter Rathaus mit der Forderung nach autofreier Innenstadt, kostenlosem Internet und Wohnungen in öffentlicher Hand. Stuttgart solle „Modellstadt für Klimagerechtigkeit und das Gute Leben aller Menschen“ werden.
Entschieden ist zwar noch nichts. Es könnte noch eng für Nopper werden, je nachdem, welche Bündnisse sich beim zweiten Wahlgang bilden. Überraschend ist das Ergebnis in jedem Fall, weil es auf ein Aufwachen eines liberal-konservativen Bürgertums hindeutet.

Vor acht Jahren hatte noch OB Fritz Kuhn unerwartet stark gewonnen und der Stadt, in der das Automobil erfunden wurde, eine linksgrüne Wende verpasst. Entscheidende Wahlkampfhilfe leistete damals Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem Atomausstieg nach dem Erdbeben in Japan und dem Fukushima-Unglück. Davon profitierten auch die Grünen im Landtag, die erstmals einen Ministerpräsidenten stellen konnten.

Jetzt mochte Fritz Kuhn nicht mehr. Am 7. Januar 2020 überraschte er seine Parteifreunde mit der Ankündigung, nach nur einer Amtszeit nicht mehr anzutreten: „Ich bin jetzt 65 Jahre, dann man muss man sich halt hin und her überlegen, ob man das machen will.“ Souverän klingt anders. Der erste grüne Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt wurde nach seiner Wahl mit viel Vorschusslorbeeren bedacht; die Grünen konnten ihr Glück kaum fassen. Doch Kuhn konnte nie Sessel des Oberbürgermeisters ausfüllen, auf dem früher mal eine Größe wie Manfred Rommel sass.

Auch der grüne Ministerpräsident Kretschmann („… hat einen guten Job gemacht“ über Kuhn) war sehr verdattert. Eilen ihm überdies nach und nach weitere Gefolgsleute davon. Sein wichtigster Berater ist bereits nach Berlin entflohen. Ohne ihn ist Kretschmann, dem zusehends die Bürde seines Amtes zu schaffen macht, nichts. Ihn verlässt auch seine Finanzministerin Edith Sitzmann ebenso wie Umweltminister Franz Untersteller, die beide das Handtuch werfen und zum Ende der Legislaturperiode im kommenden Frühjahr aufgeben.

Fritz Kuhn schwant vermutlich, welche Konflikte demnächst über die Stadt hereinbrechen werden, wenn die grüne Party zu Ende ist: Autohersteller Daimler hat einen massiven Stellenabbau angekündigt, der nicht ohne Folgen für die gut bezahlten Jobs bleiben wird. Wenn Daimler wesentliche Teile seiner Produktion aus Deutschland ausgelagert haben wird, dürften ziemlich leere Fabrikhallen zurückbleiben. Eurythmie-Tanzen dürfte weniger helfen, wenn der von Kretschmanns Vorgängern wie Lothar Späth und mutigen Mittelständlern kunstvoll aufgebaute Wirtschaftsstandort wankt. Fraglich auch, ob dann noch ein Betriebsverbot für „Komfortkamine“ in Stuttgarter Halbhöhenlage ein wichtiges Thema sein wird. Die Stadt unter Fritz Kuhn schickte tatsächlich ihren Bürgern Kaminbeautragte ins Haus, die das „Betriebsverbot“ für solche „Komfortkamine“ kontrollieren sollen. Dadurch sollte Feinstaub vermieden werden.

Ohne Recht und ohne Freiheit
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Denn berüchtigt geworden ist Stuttgart als Spielfeld ideologischer Kämpfe um den Individualverkehr. In der Stadt, die mit Metallverarbeitung, Autoindustrie und Zulieferbetrieben groß wurde, toben sich Umweltideologen aus. Stuttgart zeigte sich als besonders eifrig bei Fahrverboten. Während in der Innenstadt am Neckartor mit zweifelhaften Messgeräten Luftschadstoffe in angeblich lebensgefährlichen Höhen registrieren und als Grundlage für Fahrverbote dienen, überleben Bewohner in den Stockwerken darüber mit der 30-fachen Menge an Stickoxiden, wenn sie auf dem Gaskocher ihre Spaghetti kochen.

Einst lösten Luft-Messstellen Schockmomente in der Innenstadt wegen zu hoher Feinstaubwerte aus. Doch es waren nur die Bäume im Stadtpark, die die nahe gelegene Messstation mit tonnenweise Blütenstaub überschütteten. Als Kuhn sich auf die schwäbische Kehrwoche besann und mit ein paar Wassersprengwagen die Strassen vom Staub befreite, sanken die Staubwerte.

Der unter anderem von verschiedenen Bundesministerien geförderte Abmahnverein Deutsche Umwelthilfe (DUH) überzieht Stadt und Land mit Klagen wegen angeblicher Verstöße gegen zweifelhafte Luftschadstoffe. Reaktion der Stadt: Dieselfahrverbote und Strassensperren. Das Ergebnis: Mehr Staus, stehende Autos neben Fahrradspuren, auf denen jedoch kaum Radfahrer zu sehen sind. Viele Bürger erlitten Wertverluste ungeheuren Ausmasses, weil sie sogar mit neuwertigen, drei bis vier Jahre alten Dieselfahrzeugen nicht mehr in der Stadt fahren dürfen. Diese Autos fahren heute teilweise in osteuropäischen Ländern.

Auf den Straßen häufen sich Krawalle. Bilder vom brutalen Mord in einer Vorortsiedlung mit einem Samurai-Schwert gibt es ebenso wie Krawallnächte, bei denen Hunderte von Menschen mit deutscher, kroatischer, irakischer, portugiesischer und lettischer Staatsangehörigkeit plündernd durch die Innenstadt zogen. Gewalttätige Antifa-Randale, immer heftigere Ausschreitungen migrantischer Trupps und Demonstrationen wegen wahnwitziger Fahrverbote in der einstigen Hochburg bürgerlicher Solidität, dürften auch bei dem kühnsten Überzeugungstäter an den Nerven zerren. Darob wurde im Gemeinderat diskutiert, ob der Migrationshintergrund der Randalierer, die Teile der Innenstadt demolierten, eine Rolle bei der Aufklärung der Ursachen spielen dürfe.

Von der einst bürgerlich-liberalen Hochburg im Südwesten ist derzeit nicht viel zu sehen. Kaum ein selbstbewusstes Bürgertum, geschweige denn ein Kampf gegen Obrigkeitsstaat und um Freiheit und Republik, wie sich das noch der Mitbegründer der Stuttgarter Zeitung, Erich Schairer, auf die Fahnen geschrieben hatte. Heute sind die Stuttgarter Medien grüne Hoftrompeten, und lassen den Ministerpräsidenten unwidersprochen davon reden, dass es dieses Jahr nix wird mit Weihnachten: »Vollkommen ausgeschlossen« seien Weihnachtsmärkte und Silvesterparties. Kretschmann ahnt den größer werdenden Widerstand und versucht, die letzte Autorität herauszukehren: „Wir können nicht dulden, dass diese Sache nicht ernst genommen wird.“ Sein Vertreter, CDU-Innenminister Thomas Strobl, ist ganz aus dem Häusle, gibt den starken Mann und redet von Zwangsmaßnahmen gegen „Quarantäneverweigerern“.

Dazu passt, dass 20 Kilometer nördlich von Stuttgart der Virologe Drosten im altehrwürdig Marbacher Literatur-Archiv die traditionelle „Schillerrede“ halten durfte, mit der an den Geburtstag von Friedrich Schiller erinnert werden soll. Über die Grenzen der Freiheit. „Auch Schiller würde Maske tragen“. Umso besser das klappt und die Menschen willig mitmachten, umso weniger bedürfe es auch Eingriffen ‚von oben‘. Gewagte These über den Autor des Dramas über den Schweizer Freiheitshelden „Wilhelm Tell“.

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