Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Bonn geht es in mehr als hundert Verfahren von Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland formal um Corona-Schutzmasken, unbezahlte Rechnungen, Lieferfristen und Vertragstexte. In Wirklichkeit lagert in den Gerichtsakten ein Sprengsatz, über den alle Verantwortlichen bestens Bescheid wissen: sowohl der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als auch sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD).
Im Juli 2024 verurteilte das OLG Köln die Bundesrepublik Deutschland, konkret das Bundesgesundheitsministerium, zur Zahlung von 119 Millionen Euro für seinerzeit von Spahns Leuten bestellte Masken: 85,6 Millionen für die Lieferung selbst plus 33 Millionen Euro Verzugszinsen. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Die 119 Millionen stellen allerdings nur eine kleine Tranche dar. Es geht um bis zu 3,5 Milliarden Euro, die der Staat bis heute einer großen Zahl von Maskenlieferanten schuldet. Im Haushalt gibt es dafür keinen Posten.
Nur handelte Lauterbach in seiner Amtszeit sehr ähnlich wie sein Vorgänger: Er orderte sehr viel mehr Corona-Impfstoff als nötig. Zigtausende der teuren Vakzindosen landeten schon im Sondermüll, andere stehen wegen Ablaufs der Lagerfristen demnächst zur Vernichtung an. Vieles deutet darauf hin, dass deshalb zwischen Union und Ampelparteien ein geheimer Nichtangriffspakt auf diesem Gebiet besteht. Beide Seiten eint ein Vertuschungsinteresse.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Spahns Ministerium Millionen Masken bestellte, dann aber die Zahlung verweigerte? Zu Beginn der Corona-Ära verkündete Spahn bekanntlich, das SARS-CoV-2-Virus sei in seinen Auswirkungen „milder als eine Grippe“, Maskentragen sei nutzlos, ja sogar unsinnig, die Normalbürger sollten den Mund-Nase-Schutz dem medizinischen Personal gefälligst nicht wegkaufen.
Bis heute gibt es weder einen Untersuchungsausschuss zu Spahns Masken noch zu Lauterbachs Vakzinbeschaffung
Als sich dann die Politik unter Kanzlerin Angela Merkel in einen Maßnahmenmaximalismus drehte, stellten die Zuständigen schnell fest, dass in Deutschland weder ausreichend Maskenvorräte noch nennenswerte Produktionskapazitäten vorhanden waren. Um flächendeckend Masken verordnen zu können, musste die Ware also erst einmal beschafft werden.
Da es nun einmal Verträge gab, verfielen Spahns Leute auf die Idee, die Zahlung in vielen Fällen einfach zu verweigern – mit der Begründung, die Masken hätten Mängel oder seien falsch geliefert worden. Mit der Abwehr der Ansprüche beauftragte das Ministerium Anwälte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die nach Aussagen vieler geprellter Lieferanten von Anfang an außerordentlich ruppig vorgingen, um die Forderungen abzuwehren.
Dem Offenburger Unternehmer Joachim Lutz hielten sie wie vielen anderen Unternehmern vor, die von ihm beschafften Masken seien schadhaft, der Vertrag deshalb hinfällig. Das Gegenteil konnte Lutz nicht beweisen – denn er kam gar nicht an seine Masken heran, die er auftragsgemäß in einem Großlager abgeliefert hatte. Er klagte wie rund hundert andere Unternehmer in Bonn, dem Dienstsitz des Bundesgesundheitsministeriums, und erlebte, wie die Anwälte der Behörde immer wieder Fristverlängerungen beantragten, um das Verfahren in die Länge zu ziehen. Mittlerweile verfügt Lutz über zwei Urteile, aber selbst die brachten ihm bis jetzt keine Bezahlung. „Ich habe“, so Lutz, „bisher keinen Cent gesehen.“
Tichys Einblick sprach auch mit einem anderen Unternehmer, der sich allerdings nicht namentlich nennen lassen will: „Ich habe mit dieser Sache abgeschlossen, die drei Jahre meines Lebens blockiert hat.“ Er bekam mittlerweile sein Geld durch einen Vergleich. Über seine Erfahrungen will er trotzdem reden.
Dass Lauterbach den Kurs seines Vorgängers weiterführt, wird schnell plausibel: Schon im Laufe des Jahres 2022 stellte sich heraus, dass die „Impfstofflücke“, die er bei seinem Amtsantritt behauptet hatte, in Wirklichkeit gar nicht existierte. Lauterbach bestellte Millionen Dosen; nach Angaben der Bundesregierung ließ das Gesundheitsministerium allein 2023 insgesamt 132 Millionen Impfstoffdosen vernichten.
Kein Untersuchungsausschuss
Natürlich lässt sich nicht nachweisen, dass SPD und Union verabredet haben, den jeweiligen Skandal des anderen nicht zum Thema zu machen. Tatsache ist allerdings: Bis heute gibt es weder einen Untersuchungsausschuss zu Spahns Masken – noch zu Lauterbachs Vakzinbeschaffung. Solange die Ampel kein Interesse an der Aufklärung zeigt und die Union ebenfalls nicht, reichen die Stimmen der restlichen Abgeordneten nicht für einen Ausschuss.
Dabei wäre ein Spahn-Untersuchungsausschuss schon wegen eines Skandals innerhalb des Skandals unumgänglich: Noch bevor Spahn das Open-House-Verfahren im April 2020 überhaupt eröffnet hatte, brachte sein Zentralabteilungsleiter Ingo Behnel einen Vertrag mit dem oben erwähnten Logistikunternehmen Fiege auf den Weg. Fiege sollte maximal 110 Millionen FFP2- Schutzmasken und 500 Millionen einfache OP-Masken beschaffen. Anders als alle anderen Lieferanten durfte Fiege eine Vorkasse von 40 Millionen Euro in Anspruch nehmen. Zweitens übernahm die Behörde – anders als bei allen anderen – auch sämtliche Risiken bei etwaigen Qualitätsmängeln. Eigentlich hätten Lauterbachs Beamte diesen Vertrag der Staatsanwaltschaft zur Prüfung übergeben müssen.
Der Bundesrechnungshof prangerte in seinem Bericht vom März 2024 die Verschleierungstaktik an, die Spahn ein- und Lauterbach weiterführte. „Im BMG sind Vorgänge und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) nicht vollständig und nachvollziehbar dokumentiert.“ Und weiter: „Das BMG erklärte eine Vielzahl von Aktenordnern nachträglich zu Verschlusssachen, ohne die formalen und materiellen Voraussetzungen des Geheimschutzrechts zu beachten. Das BMG hat erklärt, die Unterlagen seien als Verschlusssache einzustufen, um fiskalische Interessen des Bundes zu schützen.“