Die Berichterstattung über die Hochwasserlage in Deutschland erhielt in den letzten Tagen eine drastische Wendung. Die übervollen Talsperren im Harz, allen voran die Okertalsperre, deren Wasser in Richtung Niedersachsen ablaufen, mussten aufgrund ihres Füllstands rund um Weihnachten teilweise notentleert werden, wodurch sich die Hochwasserlage in manchen Gegenden weiter verschärfte.
Doch eine mehrjährige Analyse der Füllstände der Harzer Talsperren offenbarte, dass das Wassermanagement der Talsperren im Jahr 2023 sich deutlich von den Vorjahren unterschied. Üblicherweise erreichen die Talsperren ihren höchsten Füllstand im Frühling, woraufhin mit einer gleichmäßigen Entleerung begonnen wird, die sich durch den gesamten Sommer und bis in den Herbst hinzieht, sodass Anfang Dezember normalerweise der Tiefststand der Befüllung der Talsperren erreicht wird. Dann beginnt die meist äußerst regenreiche Zeit von Dezember bis März, in der sich die Talsperren wieder auffüllen.
2023 jedoch wurde zwar im Frühjahr mit der üblichen Entleerung begonnen, der Pegel stagnierte aber ab dem Sommer und sank seitdem nicht mehr signifikant ab. Als daraufhin die Regenperiode im Dezember begann, füllten sich die Reservoirs wie üblich, erreichten aber bereits zum Jahresende einen kritischen Füllstand, der die Notablassungen zur Unzeit notwendig machte. In den ohnehin angespannten Hochwasserregionen kamen die zusätzlichen Wassermassen zum schlechtest möglichen Zeitpunkt und könnten in Summe, falls die Regenfälle weiter anhalten, der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen – bzw. die Deiche zum Brechen – bringt.
Hausgemachtes Extremwetter füttert das Klimanarrativ
Dies wirft die Frage auf, warum der Pegel der Talsperren zu Beginn der üblichen Regenperiode noch so hoch war. Schon werden Erinnerungen an das Politikversagen von Anne Spiegel & Co. rund um die Flut im Ahrtal wach. Da heutzutage keine Wetterlage mehr von Medien und Politik ausgelassen wird, um die Werbetrommel für die Klimaapokalypse zu rühren, ist es zumindest naheliegend, dieser Frage nachzugehen.
Denn trotz überdurchschnittlicher Regenfälle in der ersten Jahreshälfte, die nachweislich zu Missernten aufgrund des anhaltenden Niederschlags in der Erntezeit führten, versuchten einige Medien beharrlich noch im Juli eine Dürreperiode herbeizuschreiben. In Hannover wurde damals sogar das Rasensprengen verboten. Vergleicht man zur gleichen Zeit den Füllstand der Talsperren im Harz, so lag deren Befüllung im Juli 2023 nicht nur deutlich über jenem des Vorjahres, die in diesem Jahr ohnehin zaghaftere Senkung der Füllstände wurde Anfang Juli sogar zwischenzeitlich gestoppt und die Reservoire füllten sich wieder.
Zwar bestätigt sich damit der Eindruck, dass der Sommer des Jahres 2023 deutlich kühler und regenreicher war, als behauptet wurde, aber es erklärt noch lange nicht, warum nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt weitaus mehr Wasser abgelassen werden konnte. Darüber hinaus erwies sich die Speicherung des Wassers als für Politik und Medien durchaus opportun: Während diese im Sommer es zumindest temporär ermöglichte, von einer „Dürre“ zu schreiben, führte das verspätete Ablassen im Dezember zu einer Verschärfung des Hochwassers in Niedersachsen. Die Terminologie von Hochwassern und Dürren ist aber mittlerweile vollkommen besetzt durch das Narrativ zunehmender „Extremwetterereignisse“ in Folge der „Klimakatastrophe“.
Ist das Hochwasser in Niedersachsen also durch die Politik verschuldet, um das Narrativ der Klimakatastrophe am Leben zu erhalten? Dies würde traditionell eine bewusste Einflussnahme der Politik auf die verantwortlichen Instanzen bei den Wasserwerken Harz bedeuten. Doch im Zeitalter von Nudging können solche Fehlentscheidungen auch einfach durch eine wohlmeinende Übernahme hypothetischer Modelle übernommen werden.
Wenn modellbasierte Prognosen mehr zählen als die Realität
Die Wasserwerke Harz verlautbarten bereits 2019 stolz die Ergebnisse einer Studie, derzufolge die Dürreperioden im Sommer nicht durch vermehrte Niederschläge im Winter ausgeglichen werden würden. Die Harzer Wasserwerke schlossen daraus, es würde insgesamt trockener und den Wasserwerken käme somit eine erhöhte Bedeutung als Vorratsspeicher zu. Der technische Direktor der Wasserwerke, Dr. Christoph Donner, betonte damals die Rolle der Vorratsspeicher bei der Vermeidung von „Nutzungskonflikten“ um Wasser. Bei der Studie handelte es sich, wie so oft, um eine Modellrechnung für die kommenden zehn Jahre.
Diese Politik der Wasserwerke deckt sich mit deren Ablassverhalten seit dem Sommer 2023. Angestachelt von einer kurzfristigen Dürre-Hysterie (man erinnere sich an die 48 Grad Bodentemperatur in Palermo), dürfte Anfang Juli der Entschluss gefallen sein, Wasser zu speichern, anstatt dieses wie üblich abzulassen. Leider bestätigte sich dabei aber auch ein anderer Trend, nämlich jener der Irreversibilität von Entscheidungen. Selbst als sich die Füllstände wieder deutlich erhöhten und der Dürresommer längst ins Reich der Märchen verbannt war, wurde nicht regulierend eingegriffen. Zu groß war wohl die Angst vor dem Ausbleiben winterlicher Niederschläge. Denn genau das entspricht auch der hauseigenen Studie – bzw. des modellbasierten Orakelns – aus dem Jahr 2019.
Auf Anfrage von TE erklärten die Wasserwerke Harz die hohen Füllstände der Talsperren damit, dass das Jahr „überdurchschnittlich nass“ gewesen sei, allein in den Monaten Oktober und November sei „zum Teil die doppelte Menge des durchschnittlichen“ Niederschlags verzeichnet worden. Dadurch stieg der Füllstand der Talsperren kurz vor Weihnachten auf 88 Prozent an. Allerdings relativierten die Wasserwerke diesen Wert sogleich, denn der Durchschnittswert der vergangenen 30 Jahre lag für Anfang Dezember bei 70 Prozent, im trockenen Jahr 2022 sogar nur bei 42 Prozent.
Vergleicht man dies mit den Füllstandsdiagrammen der letzten fünf Jahre, zeigt sich allerdings, dass der Durchschnittswert der letzten 30 Jahre wohl dafür herhalten muss zu kaschieren, dass die Füllstände im Dezember der letzten fünf Jahre durchweg weit unter 70 Prozent lagen. Lediglich 2021 erreichte man ein Füllstandsniveau von ungefähr 60 Prozent, die meisten anderen Jahre – und eben nicht nur das trockene Jahr 2022 – lagen bei ungefähr 40 bis 45 Prozent.
Wenn Wasserwerke sich auf die Forderungen der Gesellschaft rausreden
Im Übrigen beriefen sich die Wasserwerke auf die „multifunktionalen Aufgaben“ der Talsperren, da sie auch die „Trinkwasserversorgung während der extremen Trockenheit für die Bevölkerung sicherstellen“. Auch wiesen die Wasserwerke darauf hin, dass die Talsperrenbewirtschaftung in Abstimmung mit der Talsperrenaufsicht NLKWN vorgenommen würde.
„Es gilt hierbei zu bedenken, dass eine zu Beginn des Winters leergefahrene Talsperre zwar größere Wassermengen bei einem Hochwasser Einstauen kann, aber nicht die von der Gesellschaft zu Recht geforderte Versorgungssicherheit mit Trinkwasser sicherstellen kann, wenn sich ein kalter und niederschlagsarmer Winter einstellt und dann im Sommer nicht genug Trinkwasser zur Verfügung steht.“
Diese Begründung ist symptomatisch: Anstatt auf akut absehbare Problemlagen zu reagieren, werden eventuelle Katastrophenszenarien in der Zukunft als Entscheidungsbasis herangezogen. Außerdem tut man ja nur, was „die Gesellschaft fordert“. Auch Pontius Pilatus hätte sich wohl nur zu gern die Hände in den gefüllten Talsperren gewaschen. Dennoch kommt diese Stellungnahme einem Schuldeingeständnis am nächsten, da sie implizit eine Fehlentscheidung mit einer guten Zukunftsabsicht rechtfertigt.
Die defensive Grundhaltung der Wasserwerke findet sich auch in der partiellen Schuldzuweisung an die Talsperrenaufsicht, da Abweichungen vom Betriebsplan der Zustimmung der Talsperrenaufsicht bedürfen. Außerdem, so die Wasserwerke, seien die Talsperren vor Beginn des Hochwassers „nicht im Hochwasserrückhalteraum“ gewesen, der zudem erst 2017 vergrößert wurde.
Das mag nominell stimmen, doch fragt sich der gesunde Menschenverstand dennoch, ob abseits von Regularien und Grenzwerten nicht absehbar war, dass ein Füllstand von 88 Prozent in einem überdurchschnittlich nassen Jahr, der damit fast doppelt so hoch lag wie die Mehrzahl der Füllstände der vergangenen fünf Jahre, nicht nur mehr wie ausreichende Sicherheit der Wasserversorgung bot, sondern auch gleichzeitig ein Risikofaktor im Fall anhaltender Nässe sein könnte. Es obsiegte aber offensichtlich der Glaube an die eigene Studie, die da besagte, dass Winter trockener werden. Wäre nur gut, wenn sich das Wetter auch mal an diese Modellrechnungen halten würde.
Womöglich größerer Anteil an den Hochwassern als bisher angenommen?
Abschließend verteidigten die Wasserwerke ihre Handlungsweise damit, dass „mit Blick auf das kommende Hochwasserereignis bereits ab dem 15.12.23 frühzeitig entlastet“ wurde, „um nochmal zusätzlichen Stauraum zu gewinnen für das angekündigte extreme Hochwasser“. Fakt ist aber, dass bereits am 14. Dezember Land & Forst darüber berichtete, dass in Niedersachsen erste Flüsse über die Ufer traten und Hochwasserwarnungen ausgegeben wurden. Die Böden konnten damals bereits keine weitere Feuchtigkeit aufnehmen. Auch für die aus dem Harz kommende Oker galt damals bereits eine Hochwasserwarnung. Das heißt, die Entlastung der Talsperren im Harz erfolgte bereits Mitte Dezember mitten in eine prekäre Situation hinein, sodass womöglich nicht erst die Notablassungen rund um Weihnachten die Hochwasserlage verschärften, sondern bereits jene Mitte Dezember.
Denn fälschlicherweise ging Land & Forst im Bericht vom 14. Dezember davon aus, dass die Hochwassergefahr noch „mindestens bis Ende der nächsten Woche anhalten“ solle, danach sei „langsame Entspannung prognostiziert“. Drei Wochen später ist diese Entspannung aber noch längst nicht in Sicht. Entweder ist diese Prognose nur ein weiterer Beweis für die Unvorhersehbarkeit des Wetters (geschweige denn des Klimas), oder sie belegt, dass die Talsperrenpolitik einen noch größeren Anteil an dem Hochwasser in Niedersachsen hat, als bislang angenommen.
So oder so beweist das Verhalten der Wasserwerke Harz, wie das zunehmende Vertrauen in dubiose Modellrechnungen über klimatische Entwicklungen zu einer sträflichen Vernachlässigung all jener Erfahrungswerte führt, die in der Vergangenheit die Alarmglocken läuten ließen, wo heutzutage noch Rechtfertigungen für eine vermeintliche Zukunft gesucht werden. Der Glaube an die Klimaapokalypse hat selbst bei den Wasserwerken den gesunden Menschenverstand abgelöst. Es mag ein anderes Versagen sein als das der Politik im Ahrtal. Ein Versagen bleibt es dennoch und ein solches sollte Konsequenzen haben.