Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im aktuellen Bericht zum ersten Mal den Verband ATIB (Union Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa) den türkischen Rechtsextremisten „Graue Wölfe“ zugerechnet. ATIB ist nicht nur der mitgliedsstärkste Verband im Zentralrat der Muslime, sondern sogar dessen Gründungsmitglied. Horst Seehofer will dennoch weiter mit dem Zentralrat der Muslime zusammenarbeiten, wie WELT berichtete.
Dass diese Zurechnung zu den türkisch-rechtsextremistischen Grauen Wölfen vom Verfassungsschutz jetzt erst passiert, ist nicht nur nahezu lächerlich, sondern fatal.
Doch dass der Zentralrat der Muslime (ZDM) immer wieder von Politik und Medien als ein Dachverband angesehen wird, der vollkommen isoliert von seinen Mitgliedsverbänden sei, ist noch fataler. Denn es gibt direkte Verbindungen zwischen dem ZDM und der ATIB, der wiederum direkte Verbindungen zu den Grauen Wölfen (Ulkücü-Bewegung) aufweist. Insgesamt lassen sich viele Vernetzungen zum türkischen Rechtsextremismus auffinden.
Hintergrund: ATIB und Graue Wölfe
Die ATIB hat sich 1987 von der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF)“, dem größten Ülkücü-Dachverband in Deutschland abgespalten. Laut Verfassungsschutz (Verfassungsschutzbericht 2019, S. 273) vertritt die ADÜTDF in Deutschland die Interessen der extrem nationalistischen türkischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ MHP. „Tatsächlich ist die AFÜTDF Verfechterin einer nationalistisch-rechtsextremistischen Ideologie im Sinne ihrer Mutterpartei MHP“. Mit einer gefährlichen Mitgliederstärke von 7.000 ist sie die stärkste rechtsextreme Organisation in Deutschland (die NPD hat nur rund 3600 Mitglieder), die ihr Gedankengut unentwegt verbreitet. Der Vordenker der Ülkücü-Bewegung war der rassistisch-nationalistische, antisemitische Autor Nihat Atsiz, dessen Gedankengut ADÜTDF stets propagiert. In der Ükücü-Bewegung gilt eine absolute Überhöhung des Türkentums, mit der eine ideologische Abwertung anderer Nationen und Ethnien einhergeht, darunter besonders die Kurden, Armenier, Aleviten, Christen und Juden – sie sind deren Feindbilder.
Die ATIB hat sich abgespalten „ohne sich dabei oder in der Folge ideologisch neu auszurichten“ und gehört „heute nach wie vor der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü-Bewegung an“, veröffentlicht der Verfassungsschutz im Jahr 2020. Für diese Erkenntnis und dieses Einräumen der Bundesregierung mussten 33 Jahre vergehen, obwohl Wissenschaftler und Journalisten dies immer wieder nachgewiesen haben.
Verflechtung von ATIB, ZMD und Grauen Wölfen
„Wenn der Zentralrat der Muslime weiterhin Gesprächspartner des deutschen Staates sein möchte, muss er sich von der ATIB trennen“, sagte der innenpolitische Sprecher Mathias Middelberg (CDU) der Welt. Dabei sind ZMD und ATIB enger verflochten, als sie scheinen. ATIB hat den ZMD mitbegründet. Im Zentralrat der Muslime ist seit 2016 der stellvertretende Vorsitzende Mehmet Alparslan Celebi. Celebi war bereits im jungen Alter bei ATIB tätig. Dort war er Landesjugendvorsitzender, stellvertretender Jugendvorsitzender im Bund und wurde dann Vorstandsmitglied des Dachverbandes ATIB. Sein Vater Musa Serdar Celebi ist der Gründer von ATIB. Der Vater Celebis ist Anhänger der Grauen Wölfe, war Vorsitzender von ADÜTDF und in der Türkei Vizepräsident der „Partei der Großen Einheit (BBP)“, die zum Spektrum der Grauen Wölfe zählt. Er hat die Grauen Wölfe direkt unterstützt und weiter aufgebaut.
Seinem Sohn gab er den Zweitnamen „Alparslan“, nach Alparslan Türkes, einem türkisch-faschistischen, rechtsextremen Politiker. Alparslan Türkes ist der Gründer der MHP und der paramilitärischen Grauen Wölfe, die seinerzeit zahlreiche Morde in der Türkei verübten. Auch arbeitete er mit dem Hitler-Regime zusammen. Die CDU war die Partei, die nach dem Zweiten Weltkrieg dafür sorgte, dass Alparslan Türkes nach Deutschland kommen konnte. Der damalige CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß und der Türkei-Experte des BND sowie CDU-Stadtverordnete Hans-Eckhard Kannapin, halfen Türkes 1978 in Frankfurt am Main die Auslandsabteilung der MHP zu gründen: Die ADÜTDF ist ergo identisch mit den Grauen Wölfen in Deutschland.
Zentralrat der Muslime: Ein stiller Grauer Wolf?
Musa Serdar Celebi war ein Wegbegleiter von Alparslan Türkes und wird für einige politische Morde verantwortlich gemacht. Er soll die Tatwaffe und einen Teil des „Killerlohns“ für das Attentat auf Papst Johannes Paul II. besorgt haben, kam jedoch nach zwei Jahren Gefängnis wegen Beweismangels frei. Ein Streit zwischen Türkes und Celebi führte zur Spaltung und zu Celebis Gründung der ATIB, deren Vorsitzender er bis 1999 war und bis heute Ehrenvorsitzender ist. Einer Mitgliedsliste von 1999 zufolge war Aiman Mazyek, der heutige Vorsitzender des ZMD, zu dieser Zeit beim ZMD als Beauftragter im Ausschuss „Internet“ tätig. Mazyek und M. S. Celebi müssen sich gekannt haben. Man kann wohl davon ausgehen, dass es vermutlich auch ideologische Gründe hat, wenn er Celebis Sohn zum stellvertretenden Vorsitzenden im ZMD macht.
Das würde nahelegen, den Zentralrat der Muslime selbst zumindest ansatzweise im rechtsextremen Spektrum der Grauen Wölfe zu verorten. Laut telefonischer Presseanfrage an ATIB ist Mehmet Alparslan Celebi sogar noch ein leitendes Mitglied bei ATIB und sitzt in deren Vorstand.
Der ZMD-Vizepräsident fällt immer wieder mit ultranationalistischen Kommentaren auf, die in die Ideologie der Grauen Wölfe eingeordnet werden können: 2016 griff er in sozialen Medien türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag an, die für die Armenien-Resolution stimmten; nach dem Putsch von 2016 rief er dazu auf, Erdogan-Kritiker als „Vaterlandsverräter“ zu denunzieren; in Bezug auf den Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien gegen die Kurden twitterte er: „Möge Allah sie segnen und sie mit seiner unsichtbaren Armee unterstützen“.
ATIB will „unabhängigen Wissenschaftler“ einsetzen
Der Zentralrat der Muslime stellt sich nach dem aktuellen Verfassungsschutzbericht hinter seine Mitgliedsorganisation ATIB. Der ZMD gab auf Twitter bekannt, dass er es begrüße, dass ATIB einen „unabhängigen Wissenschaftler“ einsetze, „um Behauptungen einer Verbindung zu den sog. „Grauen Wölfen“ und weiteren rechtsextremen Kreisen zu untersuchen“. In der ATIB-Pressemitteilung beteuert der Verein seit der „Gründung 1987 eine parteiunabhängige nichtstaatliche Organisation in Deutschland“ zu sein. Dabei bezieht ATIB ähnlich wie DITIB Imame vom türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten Diyanet, das direkt dem derzeitigen türkischen Präsidenten Erdogan untersteht.
Nicht nur die CDU, sondern auch die LINKE äußerte Kritik bezüglich ATIB. Es könne nicht angehen, dass etwa bei antirassistischen Gedenkveranstaltungen Vertreter der ATIB „unter dem Deckmantel des Zentralrats neben Vertretern von Bundes- und Landesregierungen“ teilnehmen, sagte Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, gegenüber evangelisch.de. Das Problem ist jedoch nicht ATIB alleine, sondern auch der Zentralrat der Muslime, der in der Vergangenheit immer wieder in der Nähe der Muslimbruderschaft gesehen wurde und sich einen Deckmantel eines liberalen Dachverbandes aufbauen will.