Recep Tayyip Erdogan hat es nicht so mit der Meinungsfreiheit. Er lässt Bürger, vor allem Journalisten, einsperren, wenn sie etwas schreiben, das ihm nicht gefällt. Sogar, wenn sie in der Türkei nur zu Besuch sind. Selbst wenn sie den Beitrag nur in einem sozialen Netzwerk veröffentlicht haben. Kurzum: Er macht Dinge, von denen Linke, SPD, Grüne, FDP und CDU der AfD unterstellen, sie würde sie beabsichtigen. Doch während sie die Oppositionspartei bashen, sind sie im Umgang mit Erdogans Anhängern milder.
So war es 2018, als Erdogan seine Mehrheit auf die Stimmen der Deutschtürken stützen konnte, die ihn stärker unterstützt haben als ihre Landsleute in der Türkei. So ist es dieses Mal wieder. Bild zitiert einen Bericht des Senders CNN Türk: Demnach haben 65,4 Prozent der in Deutschland lebenden Türken Erdogan gewählt, und 32,6 Prozent seinen stärksten Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Insgesamt liegen die beiden derzeit etwa bei 49 zu 44 Prozent. Das heißt: Deutschland ist die Hochburg eines Gegners der Meinungsfreiheit. Auch in Österreich hat Erdogan ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis geholt.
Geht es um konservative deutsche Parteien, gibt es von ARD, ZDF und ideologisch verwandten Zeitungen gerne mal Schelte für die Wähler. So kanzelte ARD-Aktivistin Tina Hassel am Sonntag die Wähler der „Bürger in Wut“ als „überfordert und verunsichert“ ab. Im Umgang mit Erdogan-Wählern sind deutsche Journalisten deutlich nachsichtiger, ebenso wie Politiker von Linke bis CDU. Als vor fünf Jahren Erdogan ebenfalls unter den Deutschtürken gewann, betonten sie die hohe Zahl der Nichtwähler und spekulierten, dass die alle zuhause geblieben seien, um ein Zeichen gegen Erdogan zu setzen. Auch dieses Mal dürften sie wieder phantasiereich in der Schuldzuweisung sein. Die Deutschtürken werden Erdogan gewählt haben, wegen des Klimas, der fehlenden Integrationskultur in Deutschland, also kurz: Alle werden schuld sein an der Erdogan-Wahl, nur nicht die Erdogan-Wähler.
Der Verlauf dieser 17. Landtagswahl in Deutschland ist bedenklich. Der Gesetzgeber macht bei deutschen Wahlen große Auflagen zur Transparenz. Der Bundes- und die Landeswahlleiter müssen alle Daten penibel genau veröffentlichen – seit der Verbreitung des Internets sind sie für alle jederzeit zugänglich. Offizielle Informationen über die türkische Wahl zu bekommen, ist deutlich schwerer. Die türkische Gemeinde informiert auf ihrer Internetseite, welche Zuschüsse sie bekommt und welche Projekte sie damit ins Leben ruft. Auf der Seite der Türkischen Botschaft Berlin finden sich keine Angaben zur Wahl, sodass die Deutschen auf die Informationen aus der Türkei angewiesen sind über eine Wahl, die in Deutschland stattgefunden hat – und größer als die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist.