Im Leitungswasser in Deutschland schwimmen Keime umher: In mehreren Regionen haben die zuständigen Gesundheitsämter die Anwohner aufgerufen, ihr Leitungswasser abzukochen, bevor sie es trinken, beispielsweise jüngst in einigen Gemeinden des Landkreises Augsburg. Der Grund: „Gefahren durch Grundwasserverunreinigungen“. In Nordendorf waren diese „Verunreinigungen“ Keime, die sich im Wasser befanden, wie „Merkur“ berichtete. Nach mehreren Wochen hat das zuständige Gesundheitsamt das Abkochgebot in dieser Region wieder aufgehoben. Im bayerischen Obergünzburg besteht es allerdings weiterhin (Stand 13. Juli). Normalerweise trinkt der Großteil der Deutschen das Leitungswasser ohne Bedenken. Das hat eine Studie vom Düsseldorfer Institut für empirische Sozial- und Kommunikationsforschung ergeben: Demnach trinken 95 Prozent der Befragten Leitungswasser; davon trinken es mehr als drei Viertel täglich.
Es verwundert kaum, dass Leitungswasser so beliebt ist: Immerhin betont das Umweltbundesamt auf seiner Website, dass das Leitungswasser in Deutschland von „sehr hoher Qualität“ sei. Das klingt schön. Und vertrauenswürdig. Dabei kann das Umweltbundesamt eigentlich nicht sicher sein, wie es um die Qualität des Wassers steht: Denn sie legen in der Trinkwasserverordnung nur für etwa 40 Fremdstoffe im Leitungswasser Grenzwerte fest und fordern entsprechend nur für diese eine Kontrolle.
Aber das sind längst nicht alle Stoffe, die im Leitungswasser vorkommen: Der erfahrene Lebensmittel-Technologe und selbständiger Vertriebspartner der „Bela Aqua GmbH“, Holger Christiansen, sagt, dass die meisten Studien etwa 2.000 Fremdstoffe im Wasser nachweisen – einige sogar deutlich mehr.
Antibiotika, Hormone und Mikroplastik im Leitungswasser
So konnte beispielsweise die Stiftung Warentest im Jahr 2016 und die Zeitschrift Ökotest im Jahr 2014 geringe Konzentrationen von Medikamentenrückständen im Trinkwasser nachweisen. Die Trinkwasserverordnung gibt nämlich nicht vor, dass die Wasserversorger das Leitungswasser auf Medikamentenrückstände prüfen müssen. Die Firma „Alb Filter“ schreibt auf ihrer Internetseite, dass neben Medikamentenrückständen – also zum Beispiel Antibiotika – auch Hormone und Mikroplastik im Leitungswasser nachzuweisen sind.
Der langjährige Direktor des Bonner Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit, Professor Martin Exner sagt: „Bezüglich antibiotikaresistenten Keime wurden die Abwassersysteme bislang übersehen.“ Das Bonner Institut gilt als Kollaborationszentrum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und berät somit international unter anderem zu sauberem Trinkwasser. Und die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, das Wasser auf 200 Fremdstoffe zu überprüfen. Das Umweltbundesamt lässt also viele Schadstoffe unter den Tisch fallen, wenn es berichtet, das Leitungswasser in Deutschland sei von „sehr guter Qualität“ und, dass mehr als 99,9 Prozent der untersuchten Proben die Anforderungen der Trinkwasserverordnung erfüllten.
TE wollte wissen, wie das Umweltbundesamt so sicher sein kann, wenn es das Wasser nur auf weniger als ein Viertel der von der WHO empfohlenen Stoffe prüft: Der Pressesprecher Martin Stallmann meint, das Umweltbundesamt wähle die Parameter der Trinkwasserverordnung aufgrund der gesundheitlichen Bedeutung und der Wahrscheinlichkeit, dass die Stoffe in gesundheitsrelevanten Konzentrationen im Trinkwasser auftauchen, aus.
Im Gespräch mit TE erklärt Lebensmittel-Technologe Christiansen, weshalb die Kläranlagen keine Fremdstoffe wie Hormone, Antibiotika und Mikroplastik aus dem Abwasser herausfiltern: „Das würde einen großen Mehraufwand und entsprechend hohe Kosten bedeuten. Da aber nur 0,5 Prozent des Leitungswassers getrunken und der Rest etwa zum Duschen, Waschen, Putzen und für die Industrie verwendet wird, lohnt sich dieser Aufwand nicht.“ Somit werden diese Schadstoffe laut Christiansen in natürliche Gewässer wie Flüsse und Seen abgeleitet und gelangen so in unsere Umwelt und damit auch in unseren Wasserkreislauf.
Sogar die Grenzwerte für einige Werkstoff- oder Materialgruppen, für die das Umweltbundesamt Grenzwerte festlegt, sehen Experten kritisch: Beispielsweise findet der Mitbegründer des Trinkwasserfilter-Herstellers „UrQuelle®“, Yannick Mehren, den Grenzwert für Nitrat mit 50 Milligramm pro Liter zu hoch. Im Interview mit „Manova“ sagt er: „Dabei möchte man ganz gewiss nicht einmal ein Milligramm trinken. Das Nitrat wird im Körper zu Nitrit umgewandelt und löst dort eine Bandbreite an großen Problemen aus.“
Wer legt die Höchstwerte fest – und wer prüft, ob sie eingehalten werden?
Das Umweltbundesamt entscheidet, für welche Werkstoff- oder Materialgruppen Bewertungsgrundlagen festgelegt werden, wie Pressesprecher Stallmann gegenüber TE bestätigt. Demnach bestimmt das Umweltbundesamt auch, welche Höchstwerte einzelne Stoffe im Wasser erreichen dürfen. Dabei unterliegt die Behörde laut eigener Aussage der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit und lässt sich von der Trinkwasserkommission beraten: Die besteht laut Stallmann aktuell aus 16 Kommissionsmitgliedern plus einem „Ehrenmitglied“, die allesamt vom Bundesministerium für Gesundheit unter Karl Lauterbach (SPD) und vom Umweltbundesamt berufen werden. Sie kommen laut Stallmann aus der Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Normung sowie dem öffentlichen Gesundheitswesen.
Die routinemäßige Prüfung des Wassers übernehmen dann örtliche Gesundheitsämter und die Versorger. Bei solchen Befunden stellen die Gesundheitsämter dann regelmäßig Keime oder Bakterien im Grundwasser fest – wie jüngst im bayerischen Peißenberg. Dann müssen Anwohner das Wasser abkochen, um es bedenkenlos trinken zu können. Aber das Gesundheitsamt kontrolliert eben nicht jederzeit alle Wasserwerke, wie Christiansen gegenüber TE kritisiert – und entsprechend könnten sich auch in anderen Regionen Keime im Leitungswasser befinden.
Außerdem prüfen die zuständigen Gesundheitsämter oder die Versorgungsbetriebe das Wasser an der Stelle, an der es ins öffentliche Netz eingespeist wird, sagt Christiansen. Von dort bis zum Wasserhahn könnten Verunreinigungen im Leitungsnetz das Wasser wieder belasten, auch wenn der Versorger es zuvor in einer guten Qualität ins Netz eingespeist hat. Das bedeutet: Welche Qualität das Leitungswasser aus dem eigenen Wasserhahn tatsächlich hat, weiß keiner so genau. Außer der Verbraucher lässt sein heimeigenes Leitungswasser analysieren, beispielsweise kostenfrei von „Bela Agua“.
Sämtliche Bleirohre müssen raus – aber das ist kaum umsetzbar
Ein bekanntes Problem auf diesem Weg von den Wasserwerken zum eigenen Wasserhahn sind die Bleirohre. Das Umweltbundesamt schreibt auf seiner Website: „Das Trinkwasser in älteren Häusern mit Wasserrohren aus Blei kann erhöhte Bleigehalte aufweisen und dadurch Ihre Gesundheit gefährden.“ Im Juni letzten Jahres hat das Bundesministerium für Gesundheit eine neue Trinkwasserverordnung veröffentlicht, in der die Grenzwerte für Blei abgesenkt wurden. In der Verordnung heißt es außerdem, dass bis Januar 2026 alle alten Bleirohre in Deutschland ausgetauscht oder stillgelegt werden sollen.
Für diesen Wechsel ist laut der Verordnung der „Betreiber einer Wasserversorgungsanlage“ verantwortlich, also der Hausbesitzer oder Vermieter. Christiansen kann dazu nur schmunzeln: Das würde schon seit 1970 versucht, meint er: „Aber die Wasser-Installateure können eben nur jene Bleileitungen auswechseln, an die sie auch herankommen.“ Das heißt für Christiansen: Auch weiterhin sei davon auszugehen, dass das Leitungswasser auf dem Weg durch die Rohre Blei aufnimmt und somit gesundheitsgefährdend wirkt. Deswegen empfiehlt er, insbesondere morgens das Wasser ablaufen zu lassen, bis die Wassertemperatur spürbar abnimmt.
Wird die Trinkwasserqualität besser oder schlechter?
In der neuen Trinkwasserverordnung hat das Umweltbundesamt außerdem die Grenzwerte der Schadstoffe Arsen und Chrom gesenkt. Einige neue Schadstoffe wie „per- und polyfluorierte Chemikalien“, die zum Beispiel in Beschichtungen von Outdoor-Kleidung oder in Kosmetika vorkommen, wurden erstmalig in die Verordnung aufgenommen. Diese strengeren Vorgaben suggerieren, dass sich die Qualität des Trinkwassers verbessert. Das behauptet auch der „Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches“ (DVGW) auf seiner Website: „In den vergangenen Jahrzehnten wurden die hohen Qualitätsstandards für Trinkwasser konsequent und kontinuierlich weiterentwickelt und umgesetzt.“
Das ist aber nicht die ganze Wahrheit, wie Wasser-Experte Mehren gegenüber „Manova“ ausführt: „Früher war die Trinkwasserqualität wesentlich besser“, sagt er: „Es gibt TDS Geräte, damit kann man die elektrische Leitfähigkeit von Wasser bestimmen. Je höher der Wert, desto gesättigter und unreiner ist das Wasser. In den 1950er- und 60er-Jahren gab es auch Grenzwerte bis zu 130 Mikrosiemens (µS), höher durfte der Wert nicht sein. Im Laufe der Zeit wurden die Grenzwerte allerdings immer weiter erhöht.“ Inzwischen lautet der Grenzwert in der Trinkwasserverordnung 2.790 Mikrosiemens. „Zum Vergleich: In Kanada wird Wasser mit einem Wert von 1.500 Mikrosiemens schon als Industrieabwasser bezeichnet.“
Christiansen bestätigt diese Entwicklung im Gespräch mit TE: Er empfiehlt seinen Kunden, Wasser mit einer Leitfähigkeit von weniger als 100 Mikrosiemens zu trinken. Denn ursprünglich habe der Mensch nur „Oberflächenwasser“ getrunken – statt wie heute das Wasser aus mehr als 50 Metern Tiefe. Oberflächenwasser besteht hauptsächlich aus Regenwasser; und dieses hat laut Christiansen eine Leitfähigkeit von bloß 10 bis 30 Mikrosiemens. Eine geringe Leitfähigkeit signalisiert laut Christiansen, dass das Trinkwasser weitestgehend frei von Schadstoffen wie Metallen, Salzen und Ionen – also „rein“ – ist. In dem Fall könne das Wasser seiner Funktion im Körper optimal nachkommen: Wasser solle Nährstoffe transportieren und reinigend sowie entgiftend wirken, wie Christiansen auf seiner Website schreibt. Entsprechend sollten sich laut Christiansen nicht nur die Menschen in einigen Regionen Deutschlands, in denen die Gesundheitsämter gerade mal zufällig Keime im Wasser festgestellt haben, überlegen, welches Wasser sie zu sich nehmen – sondern jeder und überall.