Tichys Einblick
Solingen und die Reaktionen

Serie der Terrortaten: Nach dem Ignorieren kommt das Relativieren

Der brutale Anschlag von Solingen hat die Berliner Politik aus dem Sommerschlaf geweckt. Nun läuft das übliche Programm aus „in Gedanken dabei“ und Abwarten ab. Die ARD spekuliert derweil über einen ausländerfeindlichen Hintergrund, das ZDF fragt: „Wie sieht ein Araber aus?“

picture alliance/dpa | Henning Kaiser

Die Reaktionen auf den Solinger Anschlag zeigen erneut, in welcher Verfassung sich die Republik befindet. Mitten im Sommer hat ein innerer Feind angegriffen. Man hatte anscheinend keine Ahnung, dass er sich in den eigenen Mauern befand. Nun werden die Stadtfeste im Dutzend abgebrochen. Auch die Nachbarstädte Hilden und Haan haben ihre Feste an diesem Wochenende abgesagt, auch wegen der unsicheren Lage, aber auch aus Solidarität oder Mitgefühl für die Solinger. Die Zahl der schwer Verletzten ist nun auf acht gestiegen.

Am Samstagvormittag geisterte dann die Nachricht von einer Festnahme durch die Medien, die aber von der Polizei laut Tagesschau weder bestätigt noch dementiert wurde. Laut dpa handelte es sich nicht um den Täter. Schon in der Nacht durchsuchten Spezialeinheiten ein leerstehendes Gebäude, auch hier ohne Erfolg zu melden. Der Täter ist demnach auch weiterhin flüchtig.

Medien und Politik befinden sich derweil in einer unguten Spirale der Leugnung der zumindest denkbaren, wo nicht naheliegenden Gründe für diese Gewalt. ARD und ZDF sahen zwar dieses Mal ein, dass sie das Geschehen nicht ganz unter den Teppich kehren konnten und berichteten bald nach dem Geschehen live aus Solingen. Aber die kunstvolle Einordnung wollten sie sich dabei dann doch nicht entgehen lassen. So wurde teilweise das „arabische Aussehen“ des Täters in Frage gestellt. Für das ZDF-Heute-Journal update verstand Lothar Becker aus dem Düsseldorfer Studio nicht, was der Ausdruck „ein arabisch aussehender Mann“ überhaupt heißen sollte.

Derweil vermutete der berichtende Tagesschau-Korrespondent, der Anschlag sei vielleicht verübt worden, „weil man etwas gegen Ausländer hat“. Dem widerspricht eben das laut Zeugen „arabische Aussehen“ des Mannes mit dem „dichten, kurzen Vollbart“. Diese Beschreibung wird mit Verweis auf den Schock der Zeugen vorerst beiseite gewischt.

Die Tat verkleinern, die Reaktionen verdächtigen

Der ARD-„Terrorexperte“ Michael Götschenberg warnt, soziale Medien seien generell „mit Vorsicht zu genießen“. Internet-Videos könnten demnach zu falschen Zeugenaussagen führen. Das sind Töne, wie man sie zuletzt aus England gehört hatte, wo die Labour-Regierung sich Gedanken über eine weitere Verschärfung der Online-Gesetzgebung macht und reihenweise Online-„Gedankenverbrechen“ mit langen Haftstrafen ahndet.

Geschlagen werden diese Geplänkel der Öffentlich-Rechtlichen gewissermaßen von der Süddeutschen Zeitung, die von einem „mutmaßlichen Anschlag“ schreibt, als stünde das Gesamtgeschehen oder diese Einordnung noch zur Disposition. Der Spiegel nutzt die Worte „Messerattacke“ und einem „Angreifer“, die in diesem Fall eher verniedlichend wirken. Die Tat verkleinern, die Reaktionen verdächtigen – das entspricht auf unheimliche Weise der jüngst gesehenen britischen Reaktion auf Unruhe unter den Bürgern.

Laut Security-Mitarbeitern verlief die Tat „sehr schnell“. Ein „Mann“ sei „mit zwei, drei Hieben gegen die Hälse vorgegangen“, die Angegriffenen seien darauf „umgefallen“. So viel zum Modus operandi, der wie schon in Mannheim auf einen in gewissen Maße ausgebildeten Täter hinweist. Die plötzlich umfallenden oder umgefallenen Menschen wurden auch von anderen im Publikum mit Schrecken bemerkt und innerlich kommentiert: „Dann dachte ich, hier ist einer, der attackiert wahllos.“ Trauer und Wut konnten zu den Folgen zählen. Der engagierte DJ Topic spielte aber auf Anweisung der Polizei weiter, um eine Massenpanik zu verhindern.

Reul versucht die Lage zu entschärfen

Die ganze Rhetorik von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist derweil auf Deeskalation gerichtet. „Reul warnte vor Spekulationen“, heißt es auf dem Internet-Portal des WDR. „Aus dem Nichts sticht jemand wahllos auf Menschen ein. Man kann noch nichts sagen zur Person und zum Motiv.“ So ist die Lage aus Sicht der Regierenden gut zusammengefasst: Man weiß von nichts, man schweigt und wartet, bis die eventuell erregten Gemüter sich wieder beruhigt haben.

Derweil sind sich andere Beobachter aufgrund ihrer Erfahrung sicher, dass es um eine Tat des IS geht – des IS freilich in seiner am lockersten organisierten Form. Und in der Tat wurden schon vor Jahren „einsame Wölfe“ dazu aufgerufen, auf eigene Faust Terrorakte zu begehen, um den Westen zu destabilisieren bzw. um möglichst viele Ungläubige zu töten, um die anderen zu ängstigen und so in eine erzwungene Toleranz gegenüber dem Islam zu drängen. Und in der Tat ergibt sich allmählich eine Serie, die zumindest die Stationen Berlin (Breitscheidplatz), Mannheim und Solingen enthalten wird. Andere Attentate aus der Vergangenheit können ergänzt werden.

Ampel-Politiker sind „in Gedanken“ dabei

Nun rufen Politiker der Berliner Ampel im Chor nach der Durchsetzung des Rechts. Auch sie seien „in Gedanken bei den Opfern und Angehörigen“, bei den „Familien der Getöteten und bei den Schwerverletzten“, bei „den Familien & Freunden der Opfer“, zuletzt bei „den Menschen in Solingen“, so die Tweets von Nancy Faeser (SPD), Katrin Göring-Eckardt, Annalena Baerbock und Ricarda Lang (alle Grüne). Am Nachmittag wird Nancy Faeser in Solingen erwartet. Für die Bundesinnenministerin wurden die Opfer von Solingen „auf furchtbare Weise aus dem Leben gerissen“.

Doch nach der Durchsetzung des Rechts wird offenbar immer erst dann gerufen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, nachdem durch jahrelanges Zusehen die sicherheitspolitische Lage im Inneren sich so dramatisch verschlechtert hat, dass auch ein Landesinnenminister nichts anderes „im Kopf“ hat als das und offenbar jeden Tag hofft und betet, dass nichts Schlimmeres passieren möge. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) fiel ein, dass „Gewalt gegen Menschen, die einfach nur glücklich feiern wollten, verdammenswert“ sei.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trat vor die Kamera, um zu sagen, dass im Fall des Solinger Attentats „alles getan werden“ müsse, damit Recht und Gesetz durchgesetzt werden und „der Täter hart bestraft wird“. Mit „so etwas“ dürfe man („wir“) sich „in unserer Gesellschaft“ nicht abfinden.

Scholz: Mit der vollen Härte – Merz: Barbarische Gewalt

Man müsse vielmehr – noch eine Leerformel aus Scholzens Mund – „mit der ganzen Härte des Gesetzes“ dagegen vorgehen. Das kann nur bedeuten, dass in anderen, weniger prominenten Fällen nicht von dieser „Härte des Gesetzes“ Gebrauch gemacht wird. Auch das Statement von Friedrich Merz unterschied sich nicht großartig von diesen rot-grünen Sicherheitsphantasien, obwohl er nicht von der „vollen Härte des Gesetzes“ schreibt und stattdessen von der „barbarischen Gewalt“ des Täter spricht.

Übrigens darf , ja muss man sich gemäß der SPD durchaus mit der fortgesetzten Massenzuwanderung abfinden, die mutmaßlich auch zu dieser Tat – wie so vielen anderen vergleichbaren – geführt hat. Und eine SPD-Landesaufnahmebehörde in Niedersachsen hatte erst diese Woche mit einem sehr laxistischen Schreiben zur Abschiebepraxis auf sich aufmerksam gemacht, das nun angeblich „ausgesprochen missverständlich und unpräzise formuliert“, so Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD), gewesen sei. Dennoch steht im Raum, dass funktionierende Abschiebungen nicht die Priorität der Landesregierung in Hannover sind.

Hingegen fordert die AfD in einem Social-media-Post die Umsetzung einer Abschiebeoffensive, um Terroranschläge wie diesen künftig zu vermeiden. Für die Partei scheint die Zuordnung der Tat in das Spektrum des „islamistischen Terrors“ festzustehen. Oder sie wünscht sich, dass zumindest ähnliche Attentate wie das von Solingen nicht mehr möglich sein sollen.

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