Tichys Einblick
LNG-Irrsinn

Rügen: Eine Insel wehrt sich gegen Robert Habeck

Tourismus, Nationalpark und Unesco-Weltnaturerbe. Das ist Rügen. Für Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftminister Robert Habeck (Grüne) ist es indes ein Standort für einen Industriehafen. Doch die Insel wehrt sich.

IMAGO / BildFunkMV

Die Atomkraft muss weg. Koste es, was und wen es wolle. Das ist die Staatsräson in Deutschland, seitdem die Grünen an der Regierung sind. Als nächstes will die Ampelkoalition die Insel Rügen dieser grünen Staatsräson opfern. Wo Menschen Ruhe suchen, soll ein LNG-Terminal entstehen. Wo die Natur bisher aufwendig in einem Biosphärenreservat geschützt wird, soll ein neues Duisburg entstehen, ein zweites Liverpool. Doch die Insel wehrt sich.

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Wolfgang Kannengießer steht auf dem Podium oberhalb der Selliner Seebrücke. Der Chef des Gaststättenverbands Dehoga Rügen gibt TE ein Interview. Plötzlich sammeln sich fünf Zuhörer hinter der Kamera, dann zehn. Sie können kaum glauben, was Kannengießer da erzählt. Schon hören ihm 20 Menschen zu. Spontan. In Wahlkämpfen veranstalten Grüne viele Podiumsdiskussionen, zu denen weniger Zuhörer kommen. Und diese Wenigen sind dann in der Regel Parteisoldaten.

Die Gruppe, die sich an einem Samstagmittag spontan bildet, hört Kannengießer gebannt zu, wie er von den Plänen Robert Habecks (Grüne) und der Ampelregierung erzählt. Gut fünf Kilometer vor dieser Sehenswürdigkeit soll ein LNG-Terminal entstehen. Enorme Tanker sollen um dieses Terminal kreisen, um Gas abzuladen. Gas, das benötigt werde, weil Deutschland aus der Atomkraft aussteigen will, Stromleitungen nicht schnell genug umbaut, der Kohleausstieg auch besser vorgestern als gestern passieren würde und Deutschland auf russisches Gas verzichtet – zumindest wenn es aus Pipelines fließt.

Kannengießer berichtet von Chlor, das die Boddenlandschaft zu ruinieren droht. Von Flüssiggas, das auslaufen könnte. Von Diesel betriebenen Tankern. Von drohendem Lärm und Gestank in dem Urlaubsparadies und Naturschutzgebiet. Das alles direkt in Sicht der Seebrücke. Einem Hotspot der Insel. Auf dem sich mittags schnell mal zwei Dutzend Zuhörer gruppieren, wenn jemand nur wenige Minuten von solchen Gefahren für die Insel spricht. Zuhörer, die sich echauffieren. Die fragen, was sie tun können. Die spontan per Smartphone eine Petition zum Stopp dieser Vernichtung unterschreiben.

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Doch kommt diese Hilfe zu spät? Kurz nachdem das TE-Interview beendet ist, tut sich etwas vor der Selliner Seebrücke. Zwei Schiffe nähern sich der Stelle, an der das LNG-Terminal entstehen soll. Die Urlauber spekulieren, die einheimischen Hoteliers auch. Später warnt die Deutsche Umwelthilfe: Das sind Vorarbeiten für das Terminal. Ein Seebagger sei dabei, die Stelle auszuheben. In der Laichzeit der Heringe. Während des Vogelflugs. Trotz des Protests der Hoteliers, Gastwirte und Touristen und am Anfang einer Woche, in der in Schwerin der Landtag Mecklenburg-Vorpommern über das Terminal abstimmen will. In diesem Landtag hat sich eine übergroße Koalition aus Regierung und Opposition gebildet, um das Terminal zu stoppen. Trotz alledem scheint das Bergamt die Genehmigung für die Vorarbeiten erteilt zu haben.

Wenn es um Informationen zum LNG-Terminal geht, das ihre Existenz zu zerstören droht, können sich die Rügener auf offizielle Stellen so gut verlassen wie Zuschauer des nordkoreanischen Staatsfernsehens. Dass ein Terminal vor Sellin geplant sei, hätten sie erfahren, als ein entsprechendes Riesenschiff vor ihrer Küste aufgetaucht sei, erzählt der heimische Hotelier Thomas Dorissen. Sie hätten sich dann selbst schlau machen müssen, was da auf sie zukommt.

Das Terminal vor Sellin wird nötig, weil es mit dem Terminal vor Lubmin ein Problem gibt. Dort steht zwar eine Anlage zur Verarbeitung des gelieferten Gases. Aber das Gewässer vor Lubmin ist zu flach. Die LNG-Tanker können den Ort nicht anfahren, der auf dem Festland gegenüber Rügen liegt. Shuttle-Schiffe sind notwendig. Von der fehlenden Wassertiefe konnte niemand was wissen, niemand konnte das prüfen. Zumindest kein Wirtschaftsministerium, das von Robert Habeck geführt wird: erstmal eine Gasumlage raushauen, dann den Protest schönreden, bis sogar der Kinderbuchautor Habeck merkt, dass es die Protestierer sind, die recht haben. In Sachen Lubmin scheint der Wirtschaftsminister wieder so gehandelt zu haben.

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Kritische Medien muss Habeck nicht fürchten. Bedrohtes Weltnaturerbe? Insulaner, die um ihre Existenzgrundlage fürchten müssen? Der NDR kommentiert das mit den Worten, dass der Protest der Anwohner das „Deutschland-Tempo“ bremse. So wie Schulden jetzt „Sondervermögen“ heißen, sprechen staatliche Stellen von „Deutschland-Tempo“, wenn sie sich über Prüfverfahren hinwegsetzen – oder über Einwände wie: Ein Standort sei nicht für ein LNG-Terminal geeignet, weil ihn LNG-Tanker nicht anfahren können. Solche Kritik übergeht der NDR, diskreditiert stattdessen die, die auf Gefahren und Versäumnisse hinweisen. Die Sender der ARD machen keinen Hehl mehr daraus, dass sie auf der Seite der Regierung stehen.

Die Inselbewohner sind bereit zu kämpfen. Eigentlich muss ein Tourismus-Ort wie Sellin Berichte wie diesen fürchten. Das weiß Hotelier Dorissen. Potentielle Gäste könnten Nachteile erwarten und der Insel fernbleiben. Doch Dorissen und die anderen nehmen das in Kauf: „Wir müssen kämpfen.“ Käme das LNG-Terminal, drohe ihnen das komplette Aus. Dann lieber jetzt dagegen angehen. Auch auf die Gefahr hin, durch ein gewisses Tal zu müssen. Immerhin haben sie eine Hoffnung: Kurz nachdem der Vorletzte in Deutschland verstanden hat, dass die Gasumlage nicht funktioniert, hat es auch Habeck akzeptiert. Die Bewohner von Rügen hoffen nun auf den gleichen Effekt – die Geduld und den Kampfgeist, bis dahin zu wirken, haben sie. Ihre Gäste sind ebenfalls auf ihrer Seite.

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