Frankfurt. Der Virologe und frühere SARS-Forschungsdirektor der WHO, Klaus Stöhr, kritisiert die fehlende Bereitschaft für die Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Im Bundestag hatte die Ampel-Koalition gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion die Einrichtung eine Kommission abgelehnt. Der Grünen-Abgeordnete Janosch Dahmen hatte jüngst die hohen Kosten einer Aufarbeitung betont. „Er vernachlässigt völlig, wie viel von den 500 Milliarden (geschätzte Pandemiekosten, die Red.) höchstwahrscheinlich verschleudert wurden. Und wenn man aus Fehlern nicht lernt, um sie wenigstens nicht noch einmal zu machen, dann wird es bei der nächsten Pandemie auch wieder sehr teuer“, so Prof. Stöhr im Gespräch mit dem Monatsmagazin Tichys Einblick. „Es ist ja nicht so, dass jemand verlangt, es dürften gar keine Fehler gemacht werden. Aber wir müssen nicht alle Dummheiten wiederholen.“
Als Hauptfehler der Pandemie nennt Stöhr, dass die Politik nicht bereit gewesen sei, unvoreingenommen die Lage und möglichen Maßnahmen zu beurteilen, sondern sich einseitig und unvollständig beraten ließ. Kritiker seien mundtot gemacht worden, zahlreiche medizinische Fachgesellschaften seien nicht gehört worden. Die Politik behaupte, „man habe die richtigen Leute zur richtigen Zeit im richtigen Prozess gefragt, man habe sich dann das richtige, saubere, evidenzbasierte, repräsentative Wissen angeeignet und auf der Grundlage dieses Wissens die besten politischen Entscheidungen gefällt. Leider hat das wenig mit der Realität zu tun“, konstatiert Stöhr.
Dabei sieht Stöhr auch eine persönliche Verantwortung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. „Lauterbach wundert sich heute, warum die Kritiker nicht lauter gesprochen haben. In Wirklichkeit haben viele der wichtigen deutschen Fachgesellschaften sich häufig zu Wort gemeldet mit Stellungnahmen und Pressekonferenzen“, so Stöhr. „Sie wurden nicht gehört. Schlimmer noch, Lauterbach machte sie sogar lächerlich, als er in einer Talkshow sagte, er werde sich nicht von ein paar Provinzhygienikern in die Pandemiepolitik hineinreden lassen.“
In dem Interview schildert Stöhr viele Beispiele, wie die Meinungen von Fachgesellschaften keinen Eingang in die Debatte fanden. „Wenn sich Herr Lauterbach 2023 hinstellt und sagt: Mit dem heutigen Wissen hätten wir das damals anders gemacht, kann ich nur an Ignoranz, Inkompetenz, komplette Diskursverweigerung oder glatte Lüge denken. Ich weiß nicht, was davon zutrifft.“