Tichys Einblick
Tichys Einblick 09-2024

Ökonom Sinn: Man kann alles Mögliche verbieten, dann hat man keine Industrie mehr

Professor Hans-Werner Sinn gilt als einer der führenden Köpfe der deutschen Volkswirtschaftslehre. Empirisch fundiert kritisiert er das oft kopflose Handeln der Politik. Er warnt vor den anstehenden Verteilungskonflikten und fordert ein Ende der dirigistischen Politik der Ampel und auf EU-Ebene.

IMAGO

München. Um die deutsche Wirtschaft wieder auf einen Wachstumskurs zu bringen, fordert der Ökonom Professor Hans-Werner Sinn eine Abkehr von der rigiden Klimapolitik der EU und der Verbotspolitik der Ampel-Koalition. „Die EU muss ihre Beschlüsse zum Teil kassieren. Das betrifft das Verbrennerverbot und die verschiedenen dirigistischen Maßnahmen für Sektoren und Wirtschaftszweige“, so Professor Sinn im Gespräch mit der September-Ausgabe des Monatsmagazins Tichys Einblick.

Klima und Umwelt könne Europa nicht retten, ohne die großen Verschmutzer einzubeziehen. „Wenn man Umweltschutz machen will, dann muss man es richtig machen. Das heißt, Koordination mit den großen Ländern der Welt und dass man innerhalb Europas einen Preismechanismus nutzt, wenn eine solche Koordination gelingt. Das heißt auch, man braucht einen umfassenden Emissionshandel, der alle Bereiche der Wirtschaft umfasst.“

Man brauche dagegen keine „einzelwirtschaftlichen Eingriffe und Vorschriften, wie man Häuser isolieren muss, wie man Automotoren bauen muss. Wir müssen mit diesem Dirigismus sofort aufhören. Wir wollen alles per Verordnung regeln. Das geht unweigerlich schief.“ Die Verbotspolitik sorge dafür, dass die Industrie abwandert, ohne dass es einen Vorteil für Umwelt und Klima geben wird. „Die chemische Industrie wird durch die Begrenzung der erlaubten Chemikalien weiter eingeschränkt.

Vorprodukte werden verboten, weil sie angeblich so „giftig“ sind. Das ist irreführend. „Chemische Stoffe sind meistens von Natur aus giftig, ohne dass das in Deutschland zu Problemen führt, weil man hochkomplexe Verfahren im Einsatz hat, die Gifte zu beherrschen und zu neutralisieren.“ Es sei die Frage, wie mit solchen Giften China und in Schwellenländern umgegangen wird. „Ob dort genauso viel Sorgfalt in die Beherrschung der Gifte investiert wird wie in Deutschland, wage ich zu bezweifeln.“

Am Ende werde auf diese Weise Deutschland deindustrialisiert. „Man kann alles Mögliche verbieten, wenn man will, aber dann bleibt keine Industrie mehr in Deutschland übrig, vor allem dann nicht, wenn es sich um komplementäre Industrien handelt und man zentrale Bausteine aus einem komplexen Wirtschaftsgebäude herausschlägt.“ Diese Zusammenhänge sehe die Bundesregierung offenbar nicht. „Die Zauberlehrlinge, die hier am Werke sind, gehören auf die Schulbank.“


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