Tichys Einblick
TE-Interview 09-2024

Hans-Georg Maaßen: Verfassungsschutz ist selbst zur Gefahr für die Verfassung geworden

Ein Gespräch mit dem früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz über Notwendigkeit und Aufgaben eines Inlandsgeheimdiensts sowie die aktuelle Fehlentwicklung der Behörde.

Berlin. Der Verfassungsschutz ist nach Einschätzung seines früheren Präsidenten Hans-Georg Maaßen selbst zu einer Gefahr für die Verfassung geworden. Der Inlandsgeheimdienst werde eingesetzt, um die politische Konkurrenz auszuspähen und zu bekämpfen. „In keinem anderen westlichen Land wäre es vorstellbar, dass ein Inlandsgeheimdienst auf Politiker anderer Parteien angesetzt wird. Reden Sie mal mit den Chefs von MI5 oder des DGSI in Frankreich oder des FBI: Undenkbar!“, kritisiert Maaßen im Gespräch mit der September-Ausgabe des Monatsmagazins Tichys Einblick. „Deutschland tut das Undenkbare und leistet sich einen Verfassungsschutz, der lieber die Ausspähung und Diffamierung der politischen Konkurrenz im Dienst der regierenden Parteien betreibt.“

Ein Inlandsgeheimdienst werde eigentlich dafür gebraucht, um „Spionage abzuwehren, um Sabotage, um Terroranschläge abzuwehren. Das sind die Grundaufgaben eines Geheimdienstes. Aber er muss diese Aufgaben auch wahrnehmen“, erklärt Maaßen. „Leider sehe ich nicht, dass diese Aufgaben wahrgenommen werden. Zum Beispiel habe ich das bei Nord Stream nicht gesehen.“ Vor dem Angriff auf diese kritische Infrastruktur der Bundesrepublik hätte der Verfassungsschutz „frühzeitig warnen müssen“, so Maaßen. „Ich sehe auch nicht, dass wir bei islamistischen Übergriffen ohne Unterstützung durch die Partnerdienste auskommen. Ich sehe das auch nicht bei Cyberangriffen. Stattdessen greift der Verfassungsschutz massiv in den demokratischen Diskurs ein, indem bestimmte politische Parteien markiert werden, indem man sich dann äußert, jemand sei – gesichert oder nicht gesichert – rechtsextremistisch.“

Heute müsse ein Verfassungsfeind nicht mehr Bomben bauen, sondern nur die falschen Worte benutzen. „Bisher galt es als verfassungsfeindlich, sich Munition zu beschaffen oder Bomben zu bauen. Das sind Handlungen. Unser Strafrecht sieht sogar die Strafbarkeit von Sprechhandlungen vor: Agitation im Sinne der Anstiftung.“ Jetzt betreibe der Verfassungsschutz jedoch Wortklauberei. „Diese Wörter werden von Haldenwangs Amt mit Bedeutungen aufgeladen, die der Sprecher gar nicht im Sinn hatte. Diese Technik ist neu und unglaublich perfide.“


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