Tichys Einblick
Crash voraus

Target2-Saldo der Bundesbank steigt auf fast eine Billion Euro

Im Juni erreichte das sogenannte Target-2-Saldo der Bundesbank einen Stand von 995 Milliarden Euro – was einen extremen Anstieg innerhalb weniger Monate bedeutet. Zum 30. Juni 2020 stand der Saldo exakt bei 995 082 753 544 Euro.

imago Images/Future Image

Noch im März wies das Target-2-Verrechnungskonto einen Stand von 935 Milliarden Euro aus. Bei dem Target-System (Trans-European Automated Realtime Gross Settlement Express Transfer System) handelt es sich um ein Verrechnungskontensystem für den Zahlungsverkehr unter den Zentralbanken des Euro-Systems. Erwirbt beispielsweise ein Kunde in Italien eine Maschine von einem deutschen Hersteller, dann fließt das Geld zur Bezahlung von der deutschen Bundesbank an die Hausbank der Maschinenfirma; bei der die Bundesbank entsteht im Gegenzug eine Forderung gegenüber der italienischen Zentralbank, die beglichen wird, wenn der Kunde zahlt. Bei einem Export von Italien noch Deutschland läuft der gleiche Vorgang mit umgekehrten Vorzeichen. Als das im Maastricht-Vertrag nicht erwähnte Target-System eingerichtet wurde, rechneten die meisten Ökonomen nicht damit, dass hohe Salden entstehen würden, sondern gingen von einem ständigen Ausgleich durch die wechselseitigen Zahlungsströme aus. Tatsächlich baute sich aber schnell ein Saldo unbeglichener Forderungen der Bundesbank gegenüber anderen Zentralbanken auf. Faktisch räumt die Bundesbank damit anderen Euro-Zentralbanken einen unverzinsten und unbegrenzten Überziehungskredit ein.

„Es handelt sich beim Target-System um Vereinbarungen der Notenbanken untereinander, und es gibt dazu keine völkerrechtlichen Verträge, an denen Parlamente beteiligt gewesen wären“, kritisiert der Ökonom Hans-Werner Sinn, der seit Jahren eine Begrenzung des Target-2-Saldos und eine entsprechende Besicherung fordert.

Nicht nur das Target-2-Saldo der Bundesbank stieg im Juni auf fast eine Billion. Auch die Verbindlichkeiten der italienischen Notenbank erreichten 537 Milliarden Euro. Italiens Notenbank ist innerhalb des Target-2-Systems der Hauptschuldner der Bundesbank.

2019 war das deutsche Target-2-Saldo sogar deutlich gefallen, im Oktober des Jahres lag es bei 837 Milliarden Euro. Grund dafür war nicht eine Verbesserung der Zahlungsströme Italiens, sondern ein Geldstrom von deutschen Geschäftsbanken nach Italien – allerdings nicht wegen des attraktiven Investitionsumfeldes. Ursache war vielmehr das so genannte Tiering der Europäischen Zentralbank: Sie belegt nicht die kompletten Liquiditäts-Überschüsse der Geschäftsbanken mit Strafzinsen, sondern erlaubt Freibeträge. Da die größeren deutschen Banken ihre Freibeträge aufgrund der hohen Überschüsse ausschöpfen, viele italienische aber nicht, deponierten also deutsche Kredithäuser Geld in Italien, um Strafzinsen zu vermeiden. Dieser Geldstrom führte zu einer rechnerischen Senkung der deutschen Außenstände.

Umso bemerkenswerter ist der starke Anstieg des Bundesbank-Saldos 2020 um mehrere hundert Milliarden Euro innerhalb von sechs Monaten. Offenbar spiegelt sich darin auch die abnehmende Produktion und Exportstärke vieler italienischer Unternehmen in der Corona-Krise.

Sinn, aber auch Ökonomen wie Marcel Fratzscher vom DIW weisen darauf hin, dass mit den Außenständen der Bundesbank das finanzielle Risiko für Deutschland wächst: würde Italien aus dem Euro ausscheiden, wären die Target-Forderungen mit großer Sicherheit verloren.


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