Tagelange Warnungen vor der Flut – und keine politischen Reaktionen
Redaktion
Vermutlich hätten nicht so viele Menschen in der Flut sterben müssen, wenn die Regierung auf die Warnungen des Europäischen Systems EFAS reagiert und Gefahrenbereiche evakuiert hätte. Erste Warnungen kamen schon mehrere Tage vor der Katastrophe.
Deutsche Politiker reagierten unmittelbar nach der Flutkatastrophe mit Verweisen auf den Klimawandel. Das große Weltübel hat den Vorteil für Politiker, dass es unermesslich, also abstrakt, nicht lokalisierbar und vor allem niemandem persönlich anzukreiden ist.Aber die vielen Toten, das Leid ihrer Hinterbliebenen und der vielen Tausend Menschen, deren Hab und Gut von den Wassermassen zerstört wurde, sind konkret in Zeit und Raum. Und die politischen Fehler und Versäumnisse werden immer deutlicher, die es vergrößert oder zumindest nicht so gemildert haben, wie es möglich gewesen wäre.
Ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit kommt jetzt, dass es Warnungen gab, die aber keine oder zumindest keine annähernd ausreichenden Reaktionen von Verantwortlichen hervorriefen.
Am 10. Juli bereits, also vier Tage vor der Katastrophe, gibt das European Flood Awareness System (EFAS) die ersten Warnungen an die deutschen und belgischen Behörden heraus. In den nächsten Tagen, so heißt es in der Sunday Times, lieferte EFAS minütlich detaillierte Schaubilder, die voraussagten, welche Areale die schlimmsten Schäden zu erwarten hätten.
Am 11. Juli, also drei Tage vor der Katastrophe, warnte auch der private Wetterdienst Kachelmannwetter vor Starkregen, Hochwasser und Überflutungen in Westdeutschland.
Am 13. Juli, also am Tag davor, veröffentlichte der Deutsche Wetterdienst eine „Amtliche Gefahrenmeldung“.
Das European Flood Awareness System (EFAS) warnte am selben Tag vor „extremen“ Überflutungen.
Es gab also sowohl privatunternehmerische, nationale als auch europäische Warnungen. Doch die meisten Menschen in den betroffenen Gebieten wurden überrascht, weil aus diesen Warnungen keine wirkungsvollen politischen und medialen Aktivitäten folgten. Es gab keine Evakuierungen oder andere Vorsichtsmaßnahmen. Vorwarnungen durch Sirenen oder Lautsprecherdurchsagen gab es nur teilweise oder zu spät. Nur ein Teil der Bevölkerung sei mit Sirenengeheul gewarnt worden, gab auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu.
Versagt haben aber auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihren Wetterberichten: Die Tagesschau der ARD meldete am Tag vor der Katastrophe, also am 13. Juli nur: „Es bestehen Unwetterwarnungen“, ohne genauer auf mögliche Gefahren einzugehen, die wie gesagt von EFAS längst vorlagen. Das Heute Journal prophezeite zwar „kräftigen Dauerregen“ mit „80 Liter pro Quadratmeter“, aber der Deutsche Wetterdienst hatte korrekterweise örtlich mehr als das Doppelte in Aussicht gestellt. Am Abend des 14. Juli, als die Katastrophe schon im Gange war, kam das Wort „Unwetter“ im Wetterbericht des Heute-Journal nicht vor. Umso eifriger sprach Claus Kleber am nächsten Tag über die globale Erwärmung als Hintergrund des Ereignisses.
Ausgerechnet in Deutschland, dessen Regierungspolitiker auf fast alle großen politischen Fragen mit dem Ruf nach einer „europäischen Lösung“ reagieren, blieben die Warnungen eines funktionierenden europäischen Systems, nämlich jenes EFAS, folgenlos. Aus Großbritannien, gänzlich anbetroffen von der kKatastrophe, kam die scharfe Kritik, die nun das ganze Ausmaß des deutschen Versagens deutlich macht. Die EFAS-Hydrologin Hannah Cloke sprach gegenüber Politico von einem „monumentalen Versagen“. Sie hätte erwartet, dass man die Menschen evakuiert: „Man erwartet nicht, dass so viele Menschen in einer Flut sterben im Jahr 2021“
Auch die Welt stellt fest: „Das Risiko war bekannt: Regenmengen wie diese Woche hat es in Deutschland immer wieder gegeben, historische Chroniken lesen sich wie Blaupausen für die aktuelle Hochwasser-Katastrophe, und Gefahrenkarten zeigen das Flutrisiko. Doch Politiker, Behörden und Medien verweisen auf den Klimawandel als Ursache.“
Anzeige
Wenn Ihnen unser Artikel gefallen hat: Unterstützen Sie diese Form des Journalismus. Unterstützen