Tichys Einblick
Corona-Gipfel im Überblick

Hardliner marschieren durch: Ministerpräsidenten einigen sich auf neuen Lockdown und Impfpflicht-Empfehlung

Genau wie vor einem Jahr beschließt der Corona-Gipfel die denkbar härtesten Maßnahmen. Jetzt kommt auf Deutschland ein neuer Lockdown zu. Die Ampel nimmt sich selbst aus dem Spiel.

IMAGO / Future Image

„Wir haben sehr sehr gute Beschlüsse gefasst“, findet Merkel. Sie scheint zufrieden mit den Ergebnissen des Bund-Länder-Gipfels zu sein. Diese im Überblick:

Die Regierungschefs wollen eine Booster-Offensive: Bis in den Dezember sollen über 30 Millionen Drittimpfungen verabreicht werden.

Die Impfpflicht für medizinisches und Pflegepersonal soll kommen – darum bitten die Ministerpräsidenten den Bund. Sie würde für Pflegekräfte, aber auch für anderweitig Beschäftigte wie Köche und Reinigungskräfte in Einrichtungen, die „vulnerable Gruppen“ versorgen, gelten. Entscheiden können das die Ministerpräsidenten aber erstmal nicht, das ist nur eine Empfehlung.

Bundesweit 2G: Ungeimpfte sollen nun in ganz Deutschland vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen werden. „Bund und Länder sind zu einer flächendeckenden Anwendung von 2G, 2GPlus und mehr bereit“, erklärte NRW-Ministerpräsident Wüst.

Für Coronamaßnahmen gilt ein neuer Maßstab: Die Hospitalisierungsinzidenz. Ab einer Hospitalisierungrate von 3 (also 3 Krankenhauseinweisungen pro 100.000 Einwohner) soll im Bundesland 2G gelten, ab einer Rate von 6 soll 2GPlus gelten, also Geimpfte und Genesene auch einer Testpflicht unterworfen werden. Ab einer Hospitalisierungsrate von 9 sollen weitergehende Maßnahmen ergriffen werden, die in Richtung Shutdown für alle deuten. Aktuell liegt die gemeldete Hospitalisierungsinzidenz bereits bei 5,3 – durch massive, strukturelle Störungen im Meldesysteme des RKIs ist programmiert, dass die Zahl noch weiter steigen wird, mindestens auf 8. Die Richtwerte sind so niedrig gesetzt, dass sie ohnehin erreicht werden.

„Die Lage ist hochdramatisch“, rechtfertigt Merkel diese harten Beschlüsse. Es müsse schnell und konsequent gehandelt werden, dazu sei „absolute Zeit“. „Wir werden permanent beobachten müssen, ob das, was wir beschlossen haben, reicht.“ Noch weitergehende Maßnahmen schließt die Kanzlerin also nicht aus. Berlins noch-Bürgermeister Michael Müller erklärt wütend, der Grund für die verantwortliche geringe Impfquote seien „Egoismus und Gleichgültigkeit“ der Ungeimpften. Es könne nicht so weitergehen, dass „eine Minderheit eine Mehrheit dominiert“. Deswegen müsse man 2G und Co. umsetzen – der SPD-Politiker versteht die Maßnahmen also vorrangig als Strafmaßnahmen gegen die Ungeimpften. Und einen weiteren, bemerkenswerten Satz äußert Müller: „Auch mit einer Impfung wird es wichtig bleiben auf Abstand, Hygiene, auf Masketragen, auf all diese Regeln weiter zu achten.“ Mit einem mal ist das Impf-Narrativ der letzten 20 Monate, dass das Impfen das Ende der Corona-Maßnahmen bedeuten würde, vollständig abgeräumt.


15:24: Ministerpräsidentenkonferenz einigt sich auf Ungeimpften-Lockdown

Um 13:00 sollte es losgehen, gegen 14:30 begann sie tatsächlich: Die Ministerpräsidentenkonferenz ist mit Verspätung gestartet. Wie vor einem Jahr appelliert Merkel mit drastischen Panik-Worten an die Ministerpräsidenten: „Wir laufen voll!“, proklamiert die Kanzlerin.

Schnell stehen auch die ersten Einigungen. Die Ministerpräsidenten und die geschäftsführende Bundeskanzlerin einigten sich bereits darauf, dass das 2G Plus-Modell ab einer Hospitalisierungsinzidenz von 6,0 pro Bundesland in Kraft treten soll. Das geht aus der neuesten Beschlussvorlage hervor, die dem Business Insider vorliegt. 3,0 lautet der beschlossene Schwellenwert für die 2G-Regel – aktuell liegt die Hospitalisierungsrate bei 5,3. Damit ist der Lockdown für Ungeimpfte praktisch beschlossene Sache. Freizeitveranstaltungen und -einrichtungen, Events, Bars und Restaurants, Hotels und Friseure dürfen Menschen ohne Impf- oder Genesenenzertifikat also nicht mehr als Kunden begrüßen.

Besonders pikant: Ab einer Hospitalisierungsrate vom 9,0 sollen die Länder noch weitergehende Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz vollziehen können. Dies betrifft auch Kontaktbeschränkungen etwa für Ungeimpfte. Der Lockdown für alle liegt also in der Schublade – und die Politik ist bereit, ihn trotz aller Versprechen umzusetzen.


„Harter und klarer Wellenbrecher“-Lockdown in Sachsen: Nach Bundestags-Standby scheint wieder alles möglich

Jetzt kommt er sicher: In Sachsen wird ein genereller Lockdown verhängt. Angesichts der steigenden Coronazahlen kündigte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) heute im Dresdner Landtag einen „harten und klaren Wellenbrecher“ für zwei Wochen an. Das Wort „Lockdown“ wollte er nicht verwenden – doch genau darum handelt es sich. Die Inzidenzzahlen zeigten, dass dringend gehandelt werden müsse, erklärte der Ministerpräsident.

Ein dreiwöchiger Lockdown war bereits am Mittwochabend besprochen worden. Kretschmer will die Schließung von Clubs und Bars sowie im Kultur- und Freizeitbereich – für alle. Auch Großveranstaltungen wie Weihnachtsmärkte sollen ins Visier der Neo-Lockdowner geraten. Am Freitag solle ein Kabinettsbeschluss gefasst werden. Ab Montag gilt bereits flächendeckend 2G im Freistaat.


11:51: Bundestag beschließt neues Infektionsschutzgesetz – und ermöglicht Bundesländern den nächsten Lockdown
IMAGO / Chris Emil Janßen

Nach einer regen Debatte hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Parteien das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Das im Vergleich zum bisherigen Instrumentenkasten reduzierte Paket umfasst die bekannten Hygieneregeln, Maskenpflicht, 2G-Optionen für die Länder, eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz sowie in Bus und Bahnen und Testpflicht in Heimen. In einer Übergangszeit über den Winter hinaus sind für die Länder zudem Lockdowns für Ungeimpfte und Schulschließungen möglich – trotz dauernder, anderslautender Versprechen der Ampel-Partner. Am Freitag muss der Bundesrat dieser Gesetzesänderung noch zustimmen, damit sie wirksam wird. Hier hatte unter anderem der NRW-Ministerpräsident Wüst (CDU) Blockade angedroht.

Auch im Bundestag machte die Union Stimmung gegen die Ampel-Pläne, warf SPD, Grünen und FDP vor, den Ländern wichtige Maßnahmen wegzunehmen. „Sie werden der Dramatik der Lage nicht gerecht (…) das kann nicht gutgehen“, malte Fraktionsvize Stephan Stracke den Teufel an die Wand. Jens Spahn, der als Abgeordneter in einer Kurzintervention das Wort ergriff, sprach von einer schwierigen Situation. „Ich würde mir wünschen, dass die Länder mehr Möglichkeiten hätten, zu reagieren.“ Spahn hatte sich vor Kurzem noch für das Ampel-Gesetz ausgesprochen.

Die Ampel-Parteien verteidigten ihr Gesetz. „Wir reagieren mit notwendigen und rechtssicheren Maßnahmen auf die sehr schwierige Corona-Lage“, sagte SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar. Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt sprach von einem Anti-Corona-„Schutzwall“, den man hochziehen müsse. „Von mir aus“, so Göring-Eckardt, könne es auch regionale Lockdowns geben. FDP-Politiker Marco Buschmann warf der Union parteitaktische Spielchen vor.

Auch AfD und Linke übten scharfe Kritik an den Plänen der Bald-Koalition und warf ihr die nahtlose Fortsetzung der „panischen Politik“ der vergangenen zwei Jahre vor. AfD-Chef Tino Chrupalla attackierte die FDP: „Wo sind ihre Wahlversprechen geblieben?“ Die FDP, die groß mit dem Ende von Lockdowns und Co. Wahlkampf machte, sei „noch nichtmal in der Regierung und schon zum ersten mal umgekippt“. Flächendeckendes 2G, so der Sachse, sei „mindestens ein Lockdown auf Raten“. Nachdem man Intensivbetten abgebaut habe, könne man die Schuld jetzt nicht bei den Ungeimpften abladen. Der AfD-Abgeordnete Martin Sichert, der aufgrund der Nichtoffenbarung seines 3G-Status von der Besuchertribüne aus reden musste, warf CDU/CSU und Ampel vor, den Menschen in puncto Impfung zu viel versprochen zu haben. „Die Hoffnung, die sie in die Impfung gesetzt haben, war zu groß“, konstatierte Sichert angesichts sich häufender Impfdurchbrüche. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch beklagte das Hin und Her in der Coronapolitik. „Nach fast zwei Jahren Pandemie haben viele Bürgerinnen und Bürger es satt, Sprüche zu hören, wo die Halbwertzeit nicht mal die Mittagspause übersteht“, polterte er.


Spahn offenbar für Ampel-Gesetz

Im Gegensatz zur Parteilinie spricht sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offenbar für die Corona-Pläne der Ampel-Koalition aus. Wie RTL/NTV berichten, habe sich der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister offenbar in seiner Fraktion für die Zustimmung stark gemacht. Damit widerspräche Spahn nicht nur dem, was die Redner aus CDU und CSU heute im Bundestag äußerten, sondern wäre auch im direkten Gegensatz zur geschäftsführenden Bundeskanzlerin Merkel. Diese hatte sich in der Fraktion gegen die Ampel-Pläne ausgesprochen: „Das derzeitige Instrumentarium im geplanten Infektionsschutzgesetz reicht nicht aus, um exponentielle Ausbreitung zu verhindern“, wird die Kanzlerin durch den Spiegel zitiert.


Arbeitsminister Heil: Ohne Test oder Impfung droht ab Montag Lohnausfall

Ab kommender Woche soll 3G am Arbeitsplatz in Kraft treten. der Geschäftsführende Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) macht deutlich, was das bedeutet. „Menschen müssen sich impfen lassen. Wer den Arbeitsplatz betritt, muss ab kommender Woche nachweisen, dass er oder sie geimpft ist, und wenn das nicht da ist, einen tagesaktuellen Test mitbringen.“ Wer das nicht tue, so Heil, dürfe den Betrieb nicht betreten und müsse auch damit rechnen, „dass zum Beispiel Lohnfortzahlung in Frage steht“. Die Kontrollverantwortung läge bei den Arbeitgebern. Weiterhin erklärte Heil, dass diese sich auch auf angeordnete Firmenschließungen einstellen könnten: „Lokal ist das nicht ausgeschlossen“, sagte Heil der Bild-Zeitung.


Sachsen plant neuen allgemeinen Lockdown

Als erstes Bundesland will Sachsen offenbar einen flächendeckenden Lockdown für alle durchsetzen. Wie Bild berichtet, plant der Freistaat entsprechende Maßnahmen. Demnach könnte es im altbekannten Stil einen vierwöchigen Lockdown geben, bei dem Restaurants, Hotels und Geschäfte für alle geschlossen werden.

Bereits am Mittwoch hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eine Verschärfung der Coronamaßnahmen gefordert. Die Freiheit der Geimpften sei ihm immer wichtig gewesen, sagte er am Abend bei einer Online-Diskussionsveranstaltung. „Ich spüre nur immer mehr, wenn wir wirklich erfolgreich diese Welle brechen wollen, werden wir das nicht tun können, indem wir nur die Gruppe der Ungeimpften adressieren, sondern wir werden vermutlich einen größeren Wurf machen müssen.“ Das sei eine bittere Erfahrung, „aber vermutlich die einzige Möglichkeit.“ Kretschmer hatte sich diverse Mediziner aus dem Freistaat in einen Youtube-Livestream geladen, um sich Unterstützung für seine Lockdown-Pläne zu sichern.

Anzeige
Die mobile Version verlassen