Tichys Einblick
Tabubruch im Bundestag

SPD-Politiker Michael Roth lässt AfD-Abgeordneten sein Mandat nicht wahrnehmen

Mit der Entscheidung, den Parlamentarier Joachim Wundrak von der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses auszusperren, legt der SPD-Politiker Michael Roth Hand an den Kern der Demokratie – das freie Mandat.

Michael Roth (SPD), seit 15. Dezember 2021 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages

IMAGO / Pixsell

Am Mittwochmorgen ereignete sich ein bisher in der Geschichte des Bundestages einmaliger Vorgang: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth verwies Joachim Wundrak, Ausschussmitglied und AfD-Abgeordneter, vor Sitzungsbeginn des Saales. Grund: Der frühere Generalleutnant der Bundeswehr ist nicht geimpft. Allerdings hatte er nach TE-Informationen zehn Minuten vor Sitzungsbeginn einen Antigen-Test durchgeführt, der negativ ausgefallen war.

Trotzdem verweigerte Roth ihm die Teilnahme. Dabei berief er sich auf die neuen Regeln im Bundestag, die unter der Verantwortung der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas durchgesetzt wurden. Sie sehen die sogenannte „2G plus“-Regelung im Parlament vor. Das bedeutet: Ein dreimal geimpfter Abgeordneter benötigt keinen Test, obwohl er grundsätzlich als Überträger des Virus in Frage kommen kann. Nichtgeimpfte dagegen dürfen – wie sich nun auch praktisch zeigt – noch nicht einmal dann teilnehmen, wenn sie nachweislich nicht infiziert sind.

Wundrak protestierte gegen Roths Entscheidung. Er sagte, er sei kein genereller Impfgegner, sich nicht impfen zu lassen sei seine persönliche Entscheidung.

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Nichtgeimpfte Abgeordnete dürfen auf Entscheidung des Bundestagspräsidiums nur auf der Tribüne im Plenarssaal teilnehmen, dort aber die Sitzung verfolgen und auch Reden halten. Dass einem gesunden Abgeordneten die Ausübung seines Abgeordnetenrechts völlig verweigert wird, ist bisher präzedenzlos und tastet das freie Mandat unmittelbar an. In dem Saal, in dem der Ausschuss tagt, gibt es weder eine Tribüne noch kann ein Mitglied die Sitzung wegen der Geheimhaltungsvorschriften an einem Monitor verfolgen.

Einen derartigen Angriff auf das freie Mandat gab es bisher in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus noch nie. Selbst in der Zeit des Sozialistengesetzes während des Kaiserreichs, in der die SPD verboten war, behielten die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten ihre Mandate und konnten ungehindert an der Parlamentsarbeit teilnehmen. Der AfD-Abgeordnete Matthias Moosdorf wandte sich am Samstag mit einem Brief an Parlamentspräsidentin Bas mit der Forderung, die rechtswidrige Maßnahme aufzuheben.

„Nun gehen Sie sogar noch einen Schritt weiter“, schreibt Moosdorf, „man fragt sich, wann die Mehrheit in diesem Parlament verrückt genug sein wird und mit einem solch halbstarken Auftritt der AfD das Rederecht im Plenum entzieht – und verbannen einen prominenten Vertreter unserer Partei trotz negativem Testergebnis aus dem Auswärtigen Ausschuss. Sie wissen, dass der Tagungsraum weder über eine Tribüne verfügt noch aufgrund des Geheimschutzes eine Teilnahme per WebEx möglich ist. Sie demontieren ohne hinreichend wichtigen Grund – Generalleutnant Joachim Wundrak ist gesund an Körper und Geist – also das demokratische Recht auf parlamentarische Teilhabe. Ein ungeheuerlicher Vorgang.“ (TE dokumentiert hier das Schreiben).

Während die Mehrheit der Politiker aus den anderen Fraktionen keinen Protest gegen die Ausschlussentscheidung einlegte, kritisierte auch die Linkspartei-Abgeordnete Sahra Wagenknecht die Anwendung der 2G-plus-Regel: Das sei „eine Ausgrenzung, die man nicht epidemiologisch rechtfertigen kann“, so die Politikerin. Wagenknecht ist nach eigenen Angaben ebenfalls nicht geimpft.

Von der nächsten Ausschuss-Sitzung, so heißt es aus Parlamentskreisen, soll Wundrak nun nicht mehr ausgeschlossen werden: Die Lösung, die dem Ausschussvorsitzenden vorschwebt, besteht darin, eine Dolmetscherkabine in den Tagungsraum zu stellen, in der Wundrak dann Platz nehmen muss.

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