Tichys Einblick
Abstimmung über Corona-Maßnahmen

Zahlen aus FDP-Ministerium: Ziel der Durchseuchung ist bereits erreicht

Der Bundestag stimmt heute darüber ab, wie es mit der Pandemie weitergeht. Dazu gibt es endlich aussagekräftige Zahlen. Die Bundesregierung wollte sie erst nach der Abstimmung veröffentlichen – TE hat sie jetzt.

IMAGO / photothek

Das Bundesforschungsministerium hat die Studie „Immunebridge“ in Auftrag gegeben. Zu dieser liegt nun ein Zwischenbericht vor. Die Ergebnisse sind brisant. Eigentlich sollten sie erst Ende des Monats veröffentlicht werden – nach der Abstimmung am heutigen Donnerstag über die Zukunft der Corona-Maßnahmen. Doch TE hat den Zwischenbericht (wie im TE Wecker bereits berichtet). Und die Zahlen sind politischer Sprengstoff. Sie kommen aus dem Haus von Bettina Stark-Watzinger (FDP). Und eigentlich kann die FDP nach diesen Zahlen dem Infektionsschutzgesetz nicht zustimmen.

Demnach weisen 95 Prozent der Untersuchten Antikörper zum S-Antigen auf. Dieses spielt eine besondere Rolle bei der Empfänglichkeit des Menschen für das Virus. Das heißt, die „Durchseuchung“ hat bereits stattgefunden. Ursprünglich war das Ziel der ersten Corona-Maßnahmen im März 2020, die Durchseuchungs-Kurve abzuflachen. Die Antikörper sollten sich allmählich in der Bevölkerung ausbilden, aber nicht so schnell, dass durch zu viele Erkrankungen auf einen Schlag die Krankenhäuser überlastet werden. Dieses Ziel ist laut der „Immunebridge“-Studie des Bundesforschungsministeriums nun erreicht.

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Untersucht wurde in „Immunebridge“, wie viele der über 6.000 Teilnehmer wie viele „Expositionen“ hatten. Laienhaft ausgedrückt sind das Momente, die vor einer Infizierung schützen. Dazu zählen Impfungen, Antikörper, die durch Infektionen entstanden sind und „humorale Immunkorrelate“. Vereinfacht ausgedrückt sind das nicht-zelluläre Abwehrkräfte – vor allem im Blut. Wer drei dieser Expositionen hatte, der hat laut Studie einen moderaten Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe, aber nur wenig Schutz gegen Infektionen. Wer vier Expositionen hatte, der genießt demnach einen hohen Schutz gegen schwere Verläufe und etwas Schutz gegen Infektionen.

58 Prozent der Untersuchten über 80 Jahre hatten demnach vier Expositionen. 41 Prozent hatten drei Expositionen. Nur eine bis drei Expositionen hatten 12 Prozent der 30- bis 34-Jährigen. Das ist der höchste Anteil unter allen Alterskohorten. In allen anderen Altersgruppen lag dieser Anteil niedriger. Gar keine Expositionen hatten in allen Altersgruppen zusammen nur rund 1 Prozent. Das heißt: Die Durchseuchung hat in allen Altersgruppen stattgefunden.

Das Zwischenergebnis der Studie lässt auch Schlüsse auf die Impfbereitschaft zu: Demnach haben 70,3 Prozent der Untersuchten eine dritte Impfung genommen, gar nicht geimpft sind aber nur 3,3 Prozent. Die vierte Impfung hatten demnach nur 15,9 Prozent. Bei den Menschen über 80 Jahre waren es 52,2 Prozent. Ab den Altersgruppen unter 60 Jahren sind die Werte einstellig. Die Impfbereitschaft ist unter Frauen um 3 Prozentpunkte stärker ausgeprägt als bei Männern. Die Macher der Studie warnen in diesem Punkt vor möglichen soziologischen Verzerrungen des Ergebnisses, weil Impfgegner mutmaßlich weniger bereit waren, an einer solchen Studie teilzunehmen.

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Erhoben wurde die Studie zwischen Mai und Juli. Bestehende Studien wurden in das Ergebnis integriert. Die Daten wurden auf Basis des Zensus repräsentativ hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung. Die Darstellung der Zwischenbilanz sei noch nicht final, warnen die Macher der Studie, dazu gehört das Helmholtz-Institut. Die Studie diene nur der internen Kommunikation und solle noch mal überprüft werden. Doch sind diese Daten auch ein Politikum. Zumal sie von Wissenschaftlern kommen, die den Auftrag aus einem von der FDP regierten Haus erhalten haben.

Nach über zweieinhalb Jahren Pandemie fehlten der Bundesregierung immer noch entscheidende Daten. Das musste zuletzt die Expertenkommission feststellen, die im Auftrag der Bundesregierung die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen untersuchte. Untersuchen sollte. Das sei aber letztlich nicht möglich, solange diese Zahlen nicht vorlägen, befand die Kommission. Mit „Immunebridge“ ändert sich das nun. Doch obwohl die Abstimmung über die Zukunft der Pandemie-Politik an diesem Donnerstag ansteht, wollte die Bundesregierung diese Zahlen nicht freigeben.

Das hat ein Sprecher des Gesundheitsministeriums der Bild bestätigt, die zuerst über das Thema berichtet hat – aber die Daten noch nicht hatte. Das heißt in der Konsequenz: An diesem Donnerstag stimmen die Abgeordneten des Bundestags darüber ab, welche Maßnahmen im Herbst gelten. Der Gesundheitsminister hat Zahlen – TE mittlerweile auch – darüber, wie effektiv oder notwendig diese Maßnahmen sind. Aber die gewählten Volksvertreter erhalten sie erst, nachdem sie den Vorschlägen des Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) für Maßnahmen zugestimmt haben.

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Stimmen die Bundestagsabgeordneten Lauterbachs Entwurf heute zu, drohen für den Winter Szenarien, über die der Gesundheitsminister so viel Unklarheit zulässt wie über die Daten zur Grundimmunisierung. Gemeinsam mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat er eine Maskenpflicht für Flugzeuge und den Fernverkehr der Bahn vorgestellt. Die Länder wollen die beiden zudem ermächtigen, in Gefahrenlagen weitere Maßnahmen in Kraft zu setzen: Maskenpflicht an Schulen und draußen. Oder Obergrenzen für Veranstaltungen.

Zu den Unklarheiten gehört die Frage, ab wann eine Gefahrenlage gilt. Laut Lauterbach und Buschmanns Entwurf reicht es schon, wenn die Gesundheitsvorsorge gefährdet ist. Das muss gar nicht mal wegen des Corona-Virus sein. Es genügt, wenn Krankenhäuser schließen müssen, weil es an Pflegern fehlt oder sie in Folge der hohen Energiepreise pleite sind. Auch in Sachen Maskenpflicht sorgt Lauterbach für Durcheinander. Medienberichten zufolge soll die Maskenpflicht in Flugzeugen doch nicht gelten – aber in Fernzügen schon. Angesprochen auf die Frage, wieso in den beiden Verkehrsmitteln unterschiedliche Situationen herrschen werden, antwortete Lauterbach demnach, man wolle sich auf die Frage konzentrieren, wo das Verbot durchsetzbar sei.

Das Infektionsschutzgesetz könnte sich während der Abstimmung noch ändern, wie TE berichtet hat. Am Tag, als er mit Buschmann den Entwurf vorstellte, ließ Lauterbach Entwürfe für Änderungsanträge an die Fraktionen verschicken. Diese sollen ihm helfen, den Entwurf nachzuwürzen, den er mit Buschmann ausgehandelt hat. Kommt er damit durch, wären auch wieder massive Eingriffe in Grundrechte möglich: etwa in den Schutz der Privatwohnung oder gegen die Versammlungsfreiheit. Entgegen Buschmanns Versprechen wären dann sogar Lockdowns wieder möglich.

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Bei Anruf Paxlovid: Wird Lauterbach auch diesen Skandal politisch überleben?
Schauen Medien bei Lauterbachs Treiben genauer hin, stellen sie oft fest, dass nur eine von mehreren Darstellungen wahr sein kann. So war es bei seiner eigenen Covid-Erkrankung. So ist es nun bei einem Thema, über das der Tagesspiegel berichtet hat. Demnach hat Lauterbach Zahlen dazu versprochen, wie viele Menschen tatsächlich an Corona versterben – und wie viele zwar infiziert sind, aber an etwas anderem sterben. Die Zahlen gebe es bald, die Erfassung werde gerade umgestellt. Der Tagesspiegel hat bei Kliniken nachgefragt. Die wissen demnach nichts von der neuen Datenerfassung.

Die Opposition wird dem Gesetz wohl nicht zustimmen: „Es ist an der Zeit für mehr Normalität und Eigenverantwortung im Umgang mit Corona. Viele andere europäische Staaten zeigen, wie man besonnen auf das Virus reagiert“, sagt Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Er kritisiert Lauterbachs Entschluss, die Zahlen der Studie geheim zu halten: „Nicht einmal ihre ersten Ergebnisse werden genutzt.“ Die unterschiedlichen Regelungen für die Maskenpflicht in Bahn und Flugzeug nennt er „Chaos pur“.

Ähnliche Kritik äußert die AfD: „Es ist ein Skandal, dass den Abgeordneten kurz vor einer wichtigen Abstimmung elementare Informationen vorenthalten werden“, sagt deren gesundheitspolitischer Sprecher, Martin Sichert. Ohne die FDP hätte die Ampel also keine Mehrheit für das Infektionsschutzgesetz. Es liegt jetzt an den Liberalen, ob die Corona-Maßnahmen weitergehen. Trotz offener Fragen. Trotz den Abgeordneten fehlende Zahlen – die aber auf eine Durchseuchung schließen lassen.

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