Tichys Einblick
Fragenlose Journalisten

Studie aus dem BMI Teil 7: Horst Seehofer bleibt von naheliegenden Fragen verschont

Der Verfasser der Corona-Papers im Bundesinnenministerium hat ein Disziplinarverfahren am Hals. Und Minister Horst Seehofer genießt endlich, was er so lange entbehrte: das Wohlwollen der Haupstadtpresse.

imago Images/photothek

Das hat der Referent im Bundesinnenministerium also nun davon: Gegen Stephan Kohn, Verfasser und Initiator einer Studie im BMI, wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Das gaben Minister Horst Seehofer und sein Staatssekretär Hans-Georg Engelke in einer Pressekonferenz bekannt. 

Dem Referenten sei empfohlen worden, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen. „Wir helfen ihm also“, sagt Seehofer dann sogar noch. Es gäbe schließlich auch eine „Fürsorgepflicht“. Soll der Referent etwa noch dankbar sein? 

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Ähnlich, wie schon in der Pressemitteilung des BMI vom 10. Mai verkündet Seehofer: „Bei uns im Hause“, gemeint ist sein Ministerium, „da kann jeder seine Meinung haben auf der Grundlage der Verfassung“. Das Problem sei, „das Amt, die Infrastruktur zu nutzen“ und „den Eindruck zu erwecken, das ist die Auffassung des BMI. Das ist sie nicht“. Kohns Vergehen sei es, bei den Experten, deren Aussagen in seine Studie eingegangen sind, den Eindruck erweckt zu haben, er frage sie „qua Amt“. Ein Professor, sagt Seehofer, „hätte ja nie geantwortet, wenn die Privatperson sich geäußert hätte.“ 

Spätestens nach dieser Aussage des Ministers hätte man von Journalisten, die dieser Pressekonferenz beiwohnten, eigentlich Nachfragen erwarten sollen. Zum Beispiel: Aber bedeutet das nicht, dass die Angaben der Experten und damit die Studie selbst doch mehr sind als nur eine „Meinung“ eines Ministerialreferenten? Oder hält der Herr Minister etwa Expertenaussagen nur dann für gewichtig, wenn sie mit seinem expliziten Segen abgefragt werden? 

Möglicherweise ist Seehofer Staatssekretär so etwas in der Art auch durch den Kopf gegangen. Denn er sagte danach: „Es ist kein Problem des Inhaltes, also was gesagt wurde, sondern dass jemand, der bei uns arbeitet, sich unserer Kommunikationsmittel, des Briefkopfes bedient.“ 

Der Minister und sein Staatssekretär versuchen hier ganz offensichtlich den Eindruck zu erwecken, als sei der Referent auf Kosten des BMI irgendwelchen persönlichen und etwas abseitigen Interessen nachgegangen. 

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Keiner der anwesenden Journalisten kam aber offensichtlich auf den Gedanken nachzufragen, ob es denn nicht im dienstlichen Interesse des Referenten und des BMI gelegen sei, die Fragen zu stellen, die er stellte. Eine Beschreibung der Aufgaben des Referats KM 4, Schutz kritischer Infrastrukturen, in dem Kohn arbeitete, ist schließlich mittlerweile bei TE veröffentlicht worden. Da ist unter anderem von „Aufbau eigener Bewertungskompetenz zum Schutz Kritischer Infrastrukturen und daraus entwickelte Initiativen sowie Stellungnahmen in Beteiligungsverfahren“ die Rede. Es spricht sehr viel dafür, dass Kohn diese Aufgaben – ohne auf explizite Einzel-Aufträge von oben zu warten – ernst genommen hat.

Nicht besonders ernst nehmen aber offensichtlich viele Journalisten ihre Aufgabe, das Handeln und Sprechen von Politikern, erst recht Ministern, kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten, wenn es inkonsistent ist. Man hätte zum Beispiel auch einmal nachfragen können, was genau Seehofer unter den von ihm so genannten „geistigen Grundlagen“ versteht, auf denen seine Corona-Politik beruhe und die „überhaupt nicht diesem Papier“ entsprächen.

Erstaunlich ist die große journalistische Nachsicht mit dem Innenminister auch, da es sich um denselben Minister handelt, der vor nicht ganz zwei Jahren während einer Regierungskrise mit schwersten Vorwürfen und Rücktrittsforderungen aus der Presse zu tun hatte, weil er in einem „Masterplan Migration“ auch die Rückweisung bestimmter Migranten an der Staatsgrenze vorschlug und damit den Unmut der Kanzlerin hervorrief. Auf seine späten Ministertage darf Seehofer nun also das Wohlwollen nicht nur der Kanzlerin, sondern auch der Presse genießen.

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