Tichys Einblick
Stadt gegen Land in der Westpfalz

Wieder Streit um Flüchtlinge: Pirmasens befürchtet „Überforderung der Stadtgesellschaft“

Pirmasens begehrt wieder einmal gegen die Zuweisung von Zuwanderern auf. Diesmal geht es um Ukraine-Flüchtlinge, die die kommunalen Ressourcen zum Teil stark belasten. Zwischen Stadt und Land entspinnt sich ein schräger Quotenstreit: Wird Pirmasens zum Ablegeort in der Pfalz?

picture alliance / Oliver Dietze/dpa | Oliver Dietze

In der Westpfalz muss dann doch ein aufrührerischer Stamm wohnen. Die Stadt Pirmasens begehrt schon wieder gegen die Zuweisung von Zuwanderern auf und hat so zumindest eine begrenzte internationale Bekanntheit erlangt. Im November letzten Jahres verkündete Oberbürgermeister Markus Zwick (CDU) im ARD-Morgenmagazin, dass die Stadt „am Limit“ sei und keine weiteren Asylbewerber mehr aufnehmen könne. 2.000 „schutzsuchende“ Zuwanderer hatte die 40.000-Einwohner-Stadt da bereits kurzfristig aufgenommen. Nicht nur der Wohnraum wurde dadurch knapper und teurer für alle Bürger, auch die städtischen Ausgaben und Ressourcen wurden über Gebühr belastet. Der Bund übernimmt noch immer nur einen Teil der Kosten, die den Kommunen durch die massenhafte Zuwanderung nach Deutschland entstehen. Pirmasens in der Westpfalz gilt nicht als reich und hat mit einer vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen.

Der korrekt auf der ersten Silbe betonte Name der rheinland-pfälzischen Stadt tauchte in der Folge sogar in einem Interview mit dem dänischen Ausländer- und Integrationsminister Kaare Dybvad Bek auf, der auf das ARD-Video verwies, um seinen deutschen Genossen heimzuleuchten, dass ihre Politik der offenen Grenzen vielleicht doch etwas erratisch, im europäischen Vergleich geradezu exzentrisch ist (TE berichtete).

Nun macht die Stadt des heiligen Pirminius erneut von sich reden, und wieder geht es um Migranten, diesmal aber um Flüchtlinge aus der Ukraine, die das Land Rheinland-Pfalz der Kommune aufbürden will. Also immer noch die Ukraine, in deren Fall doch so viele heute eher an Frieden und Verhandlungen als die endlose Fortsetzung des Krieges denken. Aber diese Grundsatzfrage steht höchstens im Hintergrund des Konflikts zweier Gebietskörperschaften. Im Vordergrund steht die Fähigkeit der Kommunen zur Aufnahme weiterer Zuwanderer – seien es nun Flüchtlinge oder Glücksritter mit nur vermeintlichem Schutzanspruch – und steht die Frage, wie weit ihre Pflicht zur Aufnahme geht.

Dabei entspinnt sich ein seltsamer Streit um Prozentwerte, die jede der Seiten – Stadt und Land – unterschiedlich beziffern und daraus Handlungsnotwendigkeiten ableiten, welche sich widersprechen. Die Stadt Pirmasens schlug am Freitag einen Pflock ein und verkündete einen Aufnahmestopp für Ukrainer. Der starke Zuzug auch dieser Gruppe, die mitteleuropäischen Werten nicht ganz fern steht, gefährde ihre Integration.

„Drohende Überforderung“ nach jahrelanger Aufnahme

Die Aufnahmequote der Stadt sei schon im Juli um 82,6 Prozent überschritten worden. Ukrainer, die der Stadt zugewiesen werden, wolle man „zur landesinternen Verteilung an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung“ in Speyer schicken. So wolle man eine „drohende Überforderung der Pirmasenser Stadtgesellschaft“ abwenden. Und nun kann man sagen, was man will, aber vielleicht kämen die Pirmasenser auch mit tausend Ukrainern zurecht, wenn es nicht daneben mehr als zweitausend Asylbewerber aus vielen anderen Ländern, meist außerhalb Europas, gäbe. Vor allem geht es dabei um die ehrenamtlichen Flüchtlings- und Integrationshelfer. Ausnahmen kann man sich aber anscheinend vorstellen, wenn „integrationsfördernde Kriterien“ vorliegen: etwa ausreichend (privat angemieteter) Wohnraum oder eine Arbeit zur Deckung des Lebensunterhalts.

Ukrainische Flüchtlinge können die Gemeinde, in der sie leben wollen, frei wählen. Die Kommunen haben aber das Recht, weitere Aufnahmen zu verweigern, wenn die allgemeine Aufnahmequote um mehr als 40 Prozent überschritten ist. Das scheint laut den Pirmasenser Zahlen der Fall zu sein. Seit dem Februar 2022 hat Pirmasens fast 900 Ukrainer aufgenommen.

Das Land Rheinland-Pfalz sagt zu alldem, dass die Stadt Pirmasens die Aufnahmequote für Flüchtlinge durchaus übererfüllt hat, nämlich um 39,56 Prozent, aber eben nicht um mehr als 40 Prozent. Man kennt das aus dem Online-Handel: Wenn die Lieferung ab 40 Euro versandkostenfrei ist, rettet einen auch ein Einkauf über 39,56 Euro nicht. Also darf es noch etwas mehr im Warenkorb sein. Aber die Gesamtsache ist keineswegs eine Kleinigkeit. Denn es sind ja schon fast anderthalbmal so viele Flüchtlinge in Pirmasens, wie eigentlich gemäß Verteilungsschlüssel sein sollten. Andere Kommunen haben sich also an der Kleinstadt gesundgestoßen.

Was kann und was muss eine Gemeinde?

Für die Übererfüllung um über 80 Prozent soll die Stadt übrigens die Zahlen des zentralen Ausländerregisters genutzt haben, die sicher einen Überblick zu Ukrainern in Pirmasens geben können. Aber das soll eben nicht „die maßgebliche Grundlage für den landesinternen Verteilprozess in Rheinland-Pfalz“ sein, sagt das Land. Entscheidend sei vielmehr das Landesaufnahmegesetz, das sich offenbar nur an den verwaltungsinternen Vorgängen orientiert. Wenn ukrainische Flüchtlinge, ohne das Land zu fragen, nach Pirmasens ziehen und dort eine Unterkunft finden, dann interessiert sich das Land nicht dafür. Dabei bedeutet ihr Zuzug ohne Zweifel auch Mehrkosten und Aufwand für die Pirmasenser Stadtgesellschaft. Bis jetzt scheint das Land dies zu ignorieren. In Mainz will man sich die Sache mit Paragraphenreiterei vom pfälzischen Pelz halten.

Man könnte nun selbst einmal die Gesetze zur Hand nehmen und etwa in die Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz schauen, wo sich dann Sätze wie dieser finden: „Die Gemeinde ist Grundlage und zugleich Glied des demokratischen Staates. Sie ist berufen, das Wohl ihrer Einwohner zu fördern.“ Zudem seien Gemeinden „in ihrem Gebiet unter eigener Verantwortung im Rahmen der Verfassung und der Gesetze allein Träger der gesamten örtlichen öffentlichen Verwaltung“ (GemO Landesrecht Rheinland-Pfalz § 1,1–2). Ihnen können in der Tat auch „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes staatliche Aufgaben übertragen“ werden (§ 2,2).

Gleich darauf heißt es aber auch: „Neue Aufgaben können den Gemeinden nur durch Gesetz übertragen werden. Dabei ist gleichzeitig, soweit erforderlich, die Aufbringung der Mittel zu regeln“ (§ 2,3). Und hier ließe sich dann vielleicht doch ansetzen. Denn Geld kann der Bund theoretisch in unbegrenzter Menge zur Verfügung stellen, sobald er die Regeln der Schuldenbremse austrickst oder abschafft. Aber den Wohnraum einer Gemeinde hat er nicht in der Hand, Arbeitskräfte und die sonstigen Ressourcen kann und wird er nicht bereitstellen können. An diesen Stellen kann der Bund also den Gemeinden – selbst beim besten Willen – nicht sämtliche „Mittel“ zur Übernahme immer neuer und größerer Aufgaben zur Verfügung stellen.

Ob die deutschen Kommunen noch die Kraft haben, ihre Eigeninteressen in diesem Sinne zu verteidigen, diese Frage muss allerdings offenbleiben. Viele unter ihnen scheinen inzwischen finanziell so ausgehungert, dass nur das Anlehnen an die Länder und den Bund im Portfolio verblieben scheinen. Man kraucht und krümmt sich also vor jedem anreisenden Landesminister, der mit dem Füllhorn guter Gaben anzureisen scheint. Aber das ist ein wirklicher Verlust an Bürgerrepräsentation, nicht nur im Sinne der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung.

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