Obwohl es sich seit Jahren angedeutet hat, wagte man nicht mehr darauf zu hoffen: Denn in der Corona-Pandemie mit ihren gewaltigen Hilfspaketen, die von Regierungen und Notenbanken seit Wochen geschnürt werden, wäre ein Einspruch der Karlsruher Verfassungshüter gegen die Hilfsprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB) noch mutiger als in ruhigeren Phasen. Doch sieben von acht Richtern des zweiten Senats halten das PSPP-Programm (Public Sector Purchase Programme“) der EZB nicht für verhältnismäßig und mit dem deutschen Grundgesetz nicht für vereinbar. Diesen Paukenschlag verkündete heute Vormittag der scheidende Vorsitzende Andreas Voßkuhle. Einen Freibrief, den der EU-Gerichtshof (EuGH) Ende 2018 den EZB-Kaufprogrammen erteilt und mit dem er einen kritischen Vorlagebeschluss der deutschen Verfassungsrichter förmlich ignoriert hatte, qualifizieren die Karlsruher Richter als „willkürlich“ und für das BVerfG nicht bindend.
Die Kläger, unter ihnen der langjährige CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, aber auch der renommierte Unternehmer Jürgen Heraeus, erzielten damit in Karlsruhe einen so nicht erwarteten überwiegenden Erfolg. Bundesregierung und Bundestag sind mit dem heutigen Urteil verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die EZB ihre Anleihenkäufe auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft. Der Bundesbank untersagten die Richter, an der Umsetzung und dem Vollzug der Beschlüsse weiter mitzuwirken. Für die Auflage an die Bundesbank gilt allerdings eine Übergangsfrist von drei Monaten.
Schranken gegen die Vergemeinschaftung durch die Hintertür
In Zeiten, in denen in der Europäischen Union und in der Euro-Zone immer stärker über die Vergemeinschaftung von Schulden und Haftungsrisiken diskutiert wird, um die gravierenden ökonomischen Schäden des Corona-Shutdown zu bekämpfen, ist das Karlsruher Richtersignal ein wichtiges Zeichen, dass die nationale Budgethoheit der Mitgliedstaaten nicht einfach ausgehebelt werden darf. Was für die EZB-Anleihenkäufe gilt, sollte auch für die Fiskalpolitik in der EU gelten. Haftung für die Schulden anderer Staaten sollte ausgeschlossen sein. So steht es in den EU-Verträgen. Das war Grundlage für den deutschen Beitritt in den Euro.
Obwohl wir alle wissen, dass die Kreativität von Politik und Notenbanken schier grenzenlos ist, wenn es um die Umgehung von Rechtsnormen geht, die der Verschuldungspolitik wirksame Grenzen setzen sollen: Der Paukenschlag aus Karlsruhe wird den Rechtfertigungsdruck für die deutsche wie europäische Politik, aber auch die EZB, massiv erhöhen, wenn sie das Recht beugen will. Deshalb ist die Entscheidung des BVerfG zunächst einmal vor allem ein gutes Zeichen für die deutschen Steuerzahler.