Kinder und Jugendliche galten während der Corona-Krise als größte Verlierer. Die Vermutung, die viele hatten, hat sich mittlerweile längst bestätigt: Laut RKI-Protokollen waren Kinder „keine wichtigen Glieder“ in Transmissionsketten. Das RKI hielt nur in „besonders betroffenen Gebieten“ Schulschließungen für sinnvoll. Doch die Politik wollte es anders. Markus Söder (CSU) und Michael Kretschmer (CDU) forderten Schulschließungen.
Erst nach der großen Wende Mitte März zieht das RKI nach. In „Analogie zur Influenza“ machten Schulschließungen Sinn. Man nahm Bezug auf eine Publikation von Christian Drosten, die die Effektivität von Schulschließungen modellierte. Von Gesundheitsminister Jens Spahn kam direkter Druck: In die Risikoeinschätzung für Großveranstaltungen müsse eine Passage zu Schulschließungen rein.
Doch es war nicht das letzte Mal, dass das Kindeswohl hinter politischen Interessen und Profilierungssucht zurückstecken musste. Die WELT hat mit einem Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) gesprochen. Das will – aus guten Gründen – anonym bleiben. Er bezeichnet der Zeitung gegenüber die Kinderimpfung als medizinisch überflüssig.
Wir erinnern uns: Obwohl das RKI sehr wohl wusste, welche Rolle Kinder spielten, wurde in der Öffentlichkeit, ob von Politik oder Medien, ein komplett anderes Bild vermittelt. Jan Böhmermann durfte sich sogar einen Spaß machen, Kinder in einer Sendung mit Pestratten zu vergleichen, weil das linke Juste Milieu so überzeugt von dieser Desinformation war, dass es seinem Lieblingshetzer den Spaß erlaubte.
Dabei wusste nicht nur das RKI, sondern wussten auch andere Sachverständige, dass Kinder mitnichten Treiber des Infektionsgeschehens waren. Experten legten der Bundesregierung bereits bei den Beratungen zur „Bundesnotbremse“ 2021 Belege vor, dass Kinder eine untergeordnete Rolle spielten. Interessiert hat das damals auch im Bundestag kaum jemanden.
Insofern stand auch früh das Thema der Kinderimpfung auf dem Programm. Schon am 19. Mai forderte Jens Spahn genau das. Dabei sprach der Gesundheitsminister sogar ganz konkret aus, dass die Stiko die Impfung nicht empfahl. Stiko-Chef Thomas Mertens hielt dagegen („werde keine Bonbons verteilen“). Im Dezember 2021 erklärte Mertens, er werde sein siebenjähriges Kind nicht impfen lassen.
Daraufhin setzte eine regelrechte Kampagne an. Die Süddeutsche Zeitung sprach von „gefährlichen Sätzen“. Söder kritisierte Mertens’ Aussage als „seltsam“, sie lege eine „Befangenheit“ nahe. Söder setzte sich zum selben Zeitpunkt für eine Impfpflicht von Kindern ab 12 Jahre ein. Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp (FDP) sagte, er sei sich „nicht sicher, ob man in einer Pandemie mit der Stiko, so wie sie aufgestellt ist, dauerhaft arbeiten kann“.
Schließlich knickte die Stiko ein, nachdem selbst die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit einem Merkblatt für die Kinderimpfung in die Flanke der Kommission fuhr. Mertens nahm seine Aussage zurück, es gab eine Empfehlung für den Booster ab zwölf Jahren. Es war Januar 2022, als die Omikron-Variante „wütete“; obwohl jedem klar war, dass es sich um eine deutlich mildere Variante handelte. Erst knapp ein Jahr später, am 7. Dezember, zog die Stiko ihre Empfehlung wieder zurück.
Das Ex-Mitglied sagt zwar zur Welt, es habe „keine direkte Vorgabe des Bundesgesundheitsministeriums an die Stiko“ bezüglich der Kinderimpfung gegeben. Man habe sich jedoch in einer ständigen „Druckblase“ gefunden. Intern habe die Runde dabei kritisch über die Impfung diskutiert, denn die Auswirkungen der mRNA-Impfstoffe seien speziell auf den kindlichen Organismus unklar gewesen.
Medizinische Gründe für eine Impfempfehlung seien im Frühjahr 2022 nicht mehr vorrangig gewesen, obwohl feststand, dass Kinder durch das Virus nicht gefährdet seien. Auch der Fremdschutz der Impfung sei längst widerlegt gewesen. „Hätten wir aber die Empfehlung für Über-Fünfjährige nicht abgegeben, dann hätten wir eine Diskussion führen müssen, mit der wir uns selbst ins gesellschaftliche Abseits gestellt hätten.“
Zur Rücknahme 2022 sagt das Mitglied: „Wir haben versucht, das möglichst schnell zu korrigieren.“ Es wäre besser gewesen zu kommunizieren, auf welch „dünnem Boden“ bestimmte Empfehlungen standen, statt der Politik ein „Gütesiegel“ zu liefern. Dass das Ansehen durch die Stiko dabei langfristigen Schaden genommen hat, konstatiert nicht nur die Welt.