Tichys Einblick
Gute Basishygiene sinnvoll und ausreichend

Fachärzte fordern: Grundrechte der Kinder nicht pauschal einschränken

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie kritisieren viele Corona-Maßnahmen für Kinder. Es sei "geboten und erforderlich, dass Erwachsene wieder primär die Interessen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen".

Grundschule Bonifatiusschule in Düsseldorf, 31.05.2021

IMAGO / Political-Moments

Wir dokumentieren im Folgenden eine „Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI)“ über „Infektions- und Übertragungsrisiken von SARS-CoV-2 und die Morbidität und Mortalität bei Kindern und Jugendlichen“ (Untertitel: „Einfluss von saisonalem Verlauf, Virusvarianten und Impfeffekten“):

Die 14 wichtigsten Kernpunkte der Stellungnahme

1. Menschen, die in engem Kontakt zu Kindern und Jugendlichen stehen, sollen vollständig gegen SARS-CoV-2 geimpft sein.

2. Lehrer und Lehrerinnen sowie Betreuer und Betreuerinnen sind für ihren Schutz und den ihrer anvertrauten Kinder und Jugendlichen verantwortlich. Sie sollen Basishygienemaßnahmen (z.B. Husten- und Niesetikette, Händewaschen, Lüften, gute Sanitärhygiene) konsequent einhalten.

3. Gemeinschaftseinrichtungen sollen für Kinder < 12 Jahren unter der Beachtung von Basishygienemaßnahmen uneingeschränkt und unabhängig von der regionalen Inzidenz im Regelbetrieb geöffnet bleiben.

4. Dies gilt auch für alle anderen Bereiche des sozialen Lebens (Jugendarbeit, Sportvereine, Musikschule, Schwimmkurse usw.).

5. Auch für Kinder und Jugendliche > 12 Jahren sollen Gemeinschaftseinrichtungen unter der Beachtung von Basishygienemaßnahmen (s.o.) im Regelbetrieb geöffnet bleiben; dies gilt ebenso für alle anderen Bereiche des sozialen Lebens (s.o.).

6. Einschränkungen können sich in Abhängigkeit von innerschulischen Häufungen oder einem größeren Ausbruch ergeben.

7. In Gemeinschaftseinrichtungen (Kitas und Schulen) sind Maßnahmen einer guten Basishygiene sinnvoll und ausreichend.

8. Mobile Luftreinigungsgeräte in Schulen und Kitas sind grundsätzlich verzichtbar. Wenn eine ausreichende Frischluftzufuhr durch regelmäßiges Lüften nicht gewährleistet ist, sollte in diesen Räumen kein Unterricht stattfinden.

9. Regelmäßiges Lüften ist ganz unabhängig von der Pandemie eine nachhaltige Maßnahme zur Verbesserung der Innenraumluft durch Sicherung einer ausreichenden Frischluftzufuhr. CO 2 Ampeln als pädagogisches Hilfsmittel zur zeitgerechten Durchführung einer Lüftung sollen installiert werden.

10. In weiterführenden Schulen kann die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf den Wegstrecken in Gebäuden (Flure, Treppenhäuser etc.) zur Prävention einer SARSCoV-2 Übertragung in Ausbruchs-Situationen und bei hoher Infektionsaktivität angemessen sein. Dies muss dann unabhängig vom Impfstatus der Kinder und Jugendlichen über 12 Jahre für alle gelten, um nicht geimpfte Jugendliche nicht zu diskriminieren.

11. Eine regelmäßige Testung asymptomatischer Kinder und Jugendlicher mittels Antigen- oder PCR-Tests oder Gruppentests mit der Lolly-Methode soll nicht erfolgen.

12. In Quarantäne befindlichen Schülern und Schülerinnen soll am 4. oder 5. Tag der Quarantäne eine PCR Testung angeboten werden; bei negativem Ergebnis ist die Quarantäne aufzuheben.

13. Als Alternative zur Quarantäne kann unter Fortführung des Präsenzunterrichtes ggfls. mit Mund-Nasen-Schutz eine serielle (tägliche) Testung der Kontaktpersonen mittels Antigentest oder mittels „Lolli-Test“ (2 x wöchentliche PCR-Pooltestung) erfolgen.

14. Die Impfung von Kindern und Jugendlichen nach der jeweils aktuellen Empfehlung der STIKO wird ausdrücklich empfohlen. Der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens darf allerdings nicht vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht werden.

Kinder und Jugendliche sind in ihren Rechten mit geimpften und genesenen Erwachsenen gleichgestellt. Die Grundrechte der Kinder dürfen nicht pauschal, sondern allenfalls in Bewertung des Einzelfalls durch das zuständige Gesundheitsamt im pflichtgemäßen Ermessen gemäß IfSG eingeschränkt werden. (Hervorhebung im Original)

Begründung der 14 Kernpunkte der Stellungnahme

Zusammenfassung

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In der Anfangsphase der Pandemie bestand ein geringer Kenntnisstand zu Kontagiosität, Symptomatik, Übertragungswegen, Ansteckungsrisiken, altersabhängiger Morbidität und Mortalität, Prognose und Langzeitschäden. Mit zunehmender Erfassung der wichtigen Daten aus verschiedenen Surveillancesystemen und Kohortenstudien und aus wissenschaftlichen Erkenntnissen experimenteller, klinischer und Beobachtungs-Studien hat sich eine belastbare Evidenz der wichtigsten Fakten über die Rolle der Kinder und Jugendlichen in der Pandemie herauskristallisiert. Der Kenntnisstand hat sich auch unter den zusätzlichen Einflüssen neuer Virus-Varianten (zuletzt der Delta-Variante) gefestigt und bestätigt; grundlegende Erkenntnisse mussten nicht revidiert werden.

Mit einer belastbaren und sich zunehmend bestätigenden Evidenz können deshalb im Zeichen der eskalierenden 4. Welle durch die Delta-Variante folgende Punkte konstatiert werden:

Die Delta-Variante des SARS-CoV-2 Coronavirus ist deutlich kontagiöser als vorausgegangene Varianten.

Infektionen mit der Deltavariante sind offensichtlich auch mit einer erhöhten Rate an Krankenhauseinweisungen und Notfallaufnahmen assoziiert. Dies könnte ein Hinweis auf eine höhere Morbidität mit einer höheren Rate schwerer Verläufe insbesondere bei nicht geimpften Personen sein. Daten aus Schottland ergaben eine ca. 1,85-fach, aus England eine 2,3-fach höhere Hospitalisierungsrate (HR).

Daten aus den USA zeigen eine fast 5-fach höhere HR bei Kindern und Jugendlichen, die zudem bei nicht Geimpften (12 – 17 Jahre) doppelt so hoch war. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass die Daten es bislang nicht erlauben, Angaben zu einer möglichen erhöhten Rate schwerer Verläufe und auch zu einer erhöhten Mortalität zu machen. Auch Faktoren wie Ethnizität, Deprivation, Komorbiditäten sind wegen der geringen Fallzahl von an der Delta-Variante Infizierter mögliche Gründe, die eine Verallgemeinerung ohne weitere Analysen nicht erlauben.

Impfung

Die Impfung gegen SARS-CoV-2 nach der jeweils aktuellsten Empfehlung der STIKO insbesondere von Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen komplizierten Verlauf – stellt inzwischen die wichtigste Maßnahme des Pandemiemanagements dar.

Die Impfung schützt auch bei Übertragung der Deltavariante vor schwer verlaufenden Erkrankungen (Hospitalisierung, Intensivtherapie, Tod). Geimpfte Menschen können jedoch Symptome einer Atemwegsinfektion entwickeln und das Virus übertragen.

Einzelne Studien zeigen auch bei vollständig geimpften Erwachsenen nach Infektion mit der Deltavariante eine hohe Viruslast.

Insgesamt ist damit zu rechnen, dass sich in den nächsten Monaten ein erheblicher Anteil aller Kinder und Jugendlichen mit der Delta-Variante des SARS-CoV-2 infiziert (oder mit dieser in Kontakt kommt).

In Deutschland stehen ausreichend zugelassene Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung, so dass alle Erwachsenen inzwischen geimpft sein könnten oder zumindest zeitnah eine Impfung durchführen lassen können. Wer dieses Angebot nicht wahrnimmt, verzichtet nicht nur auf den eigenen Schutz vor einer schweren SARS-CoV-2 Infektion, sondern auch auf den indirekten Schutz anderer Menschen, u.a. von Kindern unter 12 Jahren, die bisher nicht geimpft werden können. Das Argument, man müsse die Ausbreitung von SARS-CoV-2 bei Kindern und Jugendlichen durch weitreichende Maßnahmen unterbinden, weil Kinder ihre erwachsenen Kontaktpersonen anstecken könnten, ist angesichts verschiedener inzwischen vorliegender Studien hinfällig.

Nachdem die Gesellschaft in den letzten 3 Coronawellen u.a. aus diesem Grund massive, langanhaltende und in ihren kurz- und langfristigen Auswirkungen sehr schädliche Eingriffe in das alltägliche Leben der Kinder und Jugendlichen vorgenommen hat, ist es nun geboten und erforderlich, dass Erwachsene wieder primär die Interessen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen.

SARS-CoV-2 Übertragungsrisiko und -symptome bei Kindern

Die Mehrzahl aller Übertragungen von SARS-CoV-2 auf nicht geimpfte Kinder und Jugendliche findet im privaten Umfeld und nicht in Schulen oder Kitas statt, und Erwachsene übertragen das Virus häufiger auf Kinder als umgekehrt.

Gemeinschaftseinrichtungen tragen in der jetzigen Situation (keine Lockdown-Maßnahmen mehr im öffentlichen und privaten Bereich) nicht wesentlich zur Gesamtausbreitung des Erregers in der Gruppe der nicht geimpften Kinder und Jugendlichen bei. Die weit überwiegende Zahl der an einer SARS-CoV-2 Infektion erkrankten Kinder ist asymptomatisch oder erkrankt mild und selbstlimitierend.

Weniger als eines von 100 Kindern mit einer SARS-CoV-2 Infektion muss ins Krankenhaus aufgenommen werden, 5% aller im Krankenhaus behandelten Kinder mit SARS-CoV-2 Nachweis benötigen eine Intensivtherapie und 3 bis 4 von 1000 dieser stationär behandelten Kinder versterben mit oder an COVID 19. In dieser Hinsicht ist die Krankheitslast bei Kindern vergleichbar mit anderen respiratorischen Erregern (wie z.B. Influenza oder RSV), deren saisonale Häufung zu keinem Zeitpunkt zu einschneidenden, per Rechtsverordnung durchgesetzten Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen geführt hat. Das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) und Long-COVID sind bei Kindern unter 12 Jahre so selten, dass sie nicht als Argument für schwerwiegende und schädliche Eingriffe in den Alltag der Kinder herhalten können.

Teststrategie

Valide Untersuchungen, die günstige Auswirkungen der nationalen Teststrategie auf Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche und auch auf den Bereich der niederschwelligen sozialpädiatrischen Angebote der Jugendämter belegen, liegen nicht vor.

Die mehrmals wöchentliche nicht anlassbezogene Testung aller Kinder mit Antigentesten, die vor allem bei asymptomatischen Kindern eine niedrige Sensitivität aufweisen, ist aus mehrfach dargestellten Gründen nicht sinnvoll.

Auch die sog. Lolly-Tests (PCR-basierte Pool-Tets) bei nicht-anlassbezogenem Einsatz ergeben keine Vorteile trotz ihrer besseren Sensitivität.

Kinder, die sich solchen Test unterziehen müssen, werden dadurch (auch psychologisch) grundsätzlich als „potentielle Gefährder“ eingestuft, falsch positive Antigen-Testergebnisse lösen eine Kaskade schwerwiegender Interventionen aus, die sich im Nachhinein als nutzlos erweisen.

Das sequentielle Testen möglicherweise in der Schule exponierter Kinder ist jedoch eine sichere Alternative zu einer undifferenzierten Quarantäne.

Wahrscheinlich kann auch eine rtPCR Testung am 4. oder 5. Tag der Quarantäne die meisten Kinder und Jugendlichen wirksam und ohne Risiko „freitesten“ .

Kinder bilden auch nach asymptomatisch überstandener Infektion eine robuste Immunantwort aus.

Damit Kinder und Jugendliche den Status der Genesenen erreichen können, könnten ihnen serologische Testungen angeboten werden, die aus einer Kapillarblutprobe (auch Trockenblutprobe) möglich sind.

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