Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat anlässlich der Herbsttagung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Hamburg an die mehr als 260 Rektoren und Präsidenten von deutschen Hochschulen und Universitäten appelliert, dem Streit und der argumentativen Auseinandersetzung „mit Schärfe und Polemik, mit Witz und Wettstreit“ wieder den nötigen Raum zu geben. Steinmeier weiter: Wer als Professor oder Student glaube, verhindern zu müssen, dass „unorthodoxe wissenschaftliche Thesen zu Wort kommen, wer glaubt, Bücher mit kontroversen Inhalten sollten aus den Bibliotheken verschwinden“, der hantiere aus dem Innern der Wissenschaft mit tödlichem Gift. Forschung und Lehre müssten frei sein.
So weit, so gut, so weit, so trivial! Doch dann läuft Steinmeier zur politisch korrekten Hochform auf: Entschieden widersprach er dem Eindruck, man dürfe in Deutschland seine Meinung nicht mehr frei aussprechen. Das sei ein „längst ausgeleiertes Klischee aus der reaktionären Mottenkiste“, so Steinmeier. Jedem „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, müsse dann auch ein „da wird man ja wohl auch widersprechen dürfen“ folgen können. Das nenne er nicht „Mainstream-Tugendterror, sondern Demokratie“.
Mit Verlaub, Herr Bundespräsident, Sie leben im Schloss Bellevue in einer Blase, in einem Raumschiff. Dürfen wir etwas nachhelfen?
Wissen Sie, wie besorgt sich der renommierte Deutsche Hochschulverband im Frühjahr 2019 über die Einschränkungen der Freiheit von Lehre und Forschung geäußert hat?
Wissen Sie, dass VLW-Professor Bernd Lucke an der Universität Hamburg Polizeischutz braucht?
Wissen Sie, wie man mit der Islamexpertin Prof. Susanne Schröter wegen einer Debattenrunde zum Kopftuch an der Universität Frankfurt umging?
Wissen Sie, wie Studenten und Hochschulleitung der Humboldt-Universität Berlin mit dem Totalitarismusforscher Prof. Jörg Baberowski umgehen?
Wissen Sie, wie man mit dem Politologen Prof. Herfried Münkler an der HU Berlin umging?
Wissen Sie, wie „katholische Sozialethiker“ versuchten, die ihnen unliebsame Zeitschrift „Neue Ordnung“ aus den Hochschulbibliotheken zu entfernen?
Wissen Sie, dass es an vielen Orten Deutschlands nicht mehr möglich ist, wegen angedrohter „Flashmobs“ Veranstaltungsräume für Tagungen zu bekommen, bei denen die Klimadebatte oder die Gender-Debatte kritisch beleuchtet werden soll?
Reichen diese Beispiele, die sich beliebig fortsetzen ließen?
Wollen Sie, Herr Bundespräsident, dass sich bei uns etwas wiederholt, was wir in den Jahren um 1968 an gewalttätigem Krawall an Hochschulen hatten? Und was sich derzeit in Frankreich abspielt? Selbst Ex-Präsident François Hollande brauchte soeben in Lille Polizeischutz: Unverrichteter Dinge musste er abziehen, seinen Vortrag über „Die Krise der Demokratie“ konnte er nicht halten, 450 seiner Bücher wurden zerstört. In Bordeaux konnte die Philosophin Sylviane Agacinski keinen Vortrag über Leihmutterschaft halten, weil das angeblich homophob sei.
Nein, verehrtes „Staatsoberhaupt”, überhaupt keine Klischees sind die Sorgen um solche Skandale, sondern entspringen bitterer Realität. Da reicht es nicht, an Professoren zu appellieren, sie sollten all dem mit „Witz und Wettstreit“ begegnen.