Tichys Einblick
Neues Nominierungsverfahren?

Im „Spiegel“ wird Söder zum Landesfürsten mit Kanzlerinnenvertrauen

Ein neues Demokratie-Zeitalter läutet der "Spiegel" ein: Gefragt sind demnach nun feudale Akklamationswerte, nicht mehr die Zustimmung zu einer konkreten Politik. Es ist die Apotheose der autoritären Top-down-Politik.

Bayerisches Kabinett tagt gemeinsam mit Angela Merkel auf Schloss Herrenchiemsee am 14.07.2020

IMAGO / Sven Simon

Der Artikel im Spiegel dreht so gut wie jede Logik der repräsentativen Demokratie um, die es gibt. »Kanzlerin vertraut Söder«, heißt es da, und nachgeschoben wird: »glaubt die große Mehrheit der Deutschen«. Das erscheint wie ein doppeltes Plebiszit: Söder hat anscheinend nicht nur das Vertrauen der Kanzlerin, sondern auch das der »großen Mehrheit der Deutschen«. So suggeriert es diese Überschrift und die Präsentation der Umfrageergebnisse etwas weiter unten, wo von »hoher Zustimmung« (im Falle Söder) und »wenig Zustimmung« (bei Armin Laschet) die Rede ist. Die gestellte Frage war allerdings nicht die nach der Zustimmung der Bürger zu einem Politiker oder seiner Politik, sondern: »Hat Politiker XY ihrer Meinung nach das Vertrauen von Bundeskanzlerin Angela Merkel?«

Schon aus der Fragestellung wird eine Art von Rückkehr in den mittelalterlichen Feudalismus deutlich. Denn es gibt kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden und der Bundeskanzlerin, das eine solche Fragestellung rechtfertigen könnte. Die drei Amtsträger sind unabhängig voneinander – wenn auch nicht unabhängig von ihren Parteien – zu ihren Funktionen gekommen. Sie haben also jeweils die Aufgabe, eine den Bürgern beziehungsweise Parteimitgliedern verpflichtete Politik zu machen – nicht eine der Kanzlerin verpflichtete. Der Spiegel übernimmt so das neueste Märchen-Narrativ Söders, der jüngst versuchte, den Konkurrenten ums Kanzleramt Laschet zu disziplinieren, indem er den zukünftigen Unionskandidaten vorauseilend zum Lehensmann Merkels ausruft, und zwar egal, wieviel Sinn das ergibt oder nicht.

Die Formulierung »hat das Vertrauen von« kennen wir allerdings schon aus der Politik, und vielleicht meint der Spiegel deshalb, dass er sie uns auch in diesem Zusammenhang unterjubeln kann. Es ist die übliche Formel für das Verhältnis von Kanzlern zu ihren Ministern. Aber Minister in einer Regierung Merkel sind die beiden Landes- und Parteifürsten ja eben nicht. Sie haben also das Recht und die Pflicht, ihre politischen Standpunkte unabhängig zu wählen – und nicht etwa im Hinblick darauf, wie sie die größtmögliche Zuneigung oder das Vertrauen von Angela Merkel gewinnen können.

Das Volk darf im Hintergrund akklamieren

Der Spiegel freut sich an der neuen »harmonischen Beziehung« zwischen dem Kanzleramt und der Regionalpartei CSU. Denn das war nicht immer so, wie auch Ferdinand Knauß jüngst auf TE feststellte. Heute begründet es laut dem Hamburger Haltungsblatt eine quasifeudale Machtbeziehung zwischen dem CSU-Fürsten und der deutschen Sonnenkanzlerin.

Und im Hintergrund akklamiert angeblich das Volk der impliziten Machtübergabe: 64 Prozent der Deutschen glauben laut Spiegel-Umfrage (Civey) an ein ungetrübtes Verhältnis zwischen Söder und Merkel. Dagegen meinen 57 Prozent, dass Laschet derzeit nicht das Vertrauen Merkels besitzt.

Tatsächlich haben die Menschen ein feines Gespür dafür, wenn es in der Machtmechanik knarzt. Und das tat es, als Laschet noch für Lockerungen eintrat und Merkel das von der hohen Will-Kanzel aus sanft-mütterlich tadelte.

Man kann diesen Neo-Feudalismus in die Worte zusammenfassen: Wir kennen sie – sie weiß, was für uns gut ist. Dieser Satz charakterisiert nicht erst seit heute die Amtsführung der Kanzlerin. Auf ihn hat sie ab einem bestimmten Punkt ihre ganzes Regierungsgebaren aufgebaut. Und doch gibt es heute nichts Scheinhafteres in der deutschen Politik als dieses angebliche Vertrauen der Deutschen in ihre Kanzlerin, das der Spiegel gar nicht erst abfragte. Ihm ging es ja um die reine Mechanik der Macht und eine möglichst »effiziente« Ministerpräsidentenkonferenz.

Stattdessen gibt es eine neue Sonntagsfrage: 28 Prozent für die CDU/CSU, 23 für die Grünen. Das ist derzeit eines der freundlicheren Ergebnisse für die Union, aber auch für die Grünen. Dass sie gemeinsam immer noch eine Mehrheit zu haben scheinen, ist auch kein Wunder bei dieser Pressebegleitung. Was aber in diesem Spiegel-Machwerk in den Hintergrund gerät und wohl dorthin geraten soll: Jene beiden »Vertrauensfragen« (top-down) haben mit der wirklich wichtigen Sonntagsfrage (bottom-up) rein gar nichts zu tun.

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