Tichys Einblick
Der Irrsinn um den Industriestrompreis

SPD will klimastaatliche Planwirtschaft und verrät dafür den eigenen Kanzler

Der Industriestrompreis kommt. Die letzten, die sich noch dagegenstellen, sind die FDP und Kanzler Olaf Scholz. Der hat nun aber auch seine eigene Partei und Fraktion gegen sich.

IMAGO / Christian Spicker

Die Lage ist ernst. Wie ernst, zeigt die Debatte um den Industriestrompreis. Vor allem die Tatsache, dass der Vize und sein Kanzler zugegeben haben, dass es so nicht mehr weitergeht: Robert Habeck (Grüne), indem er erkannt hat, dass ganze Industriezweige vor ihrem endgültigen Aus in Deutschland stehen. Olaf Scholz (SPD), indem er verstanden hat, dass eine Wirtschaft nicht von permanenter staatlicher Subvention leben kann.

Olaf Scholz war in der SPD der Ungewollte. Das hat die Partei ihm 2019 gezeigt, als sie sich in der Direktwahl für Saskia Esken und gegen ihn als neue Vorsitzende entschieden haben. Zum Kanzlerkandidaten haben sie ihn dann doch gemacht – weil ohnehin kaum einer glaubte, dass er die Wahl wirklich gewinnen kann.

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Der Rückblick ist notwendig, um die jetzige Situation zu verstehen. In den ersten knapp zwei Jahren hat Scholz so regiert, dass er mit der SPD wieder im Einklang war. Er machte genau die Politik, vor der er heute warnt. Nämlich eine Wirtschaft dauerhaft von Subventionen leben zu lassen: mit Wumms, Sondervermögen und Doppelwumms. Der Staat presst seinen Bürgern und Unternehmen so viel Geld ab wie noch nie, fast 900 Milliarden Euro im Jahr – und verteilt es mit der Gießkanne. Das Ergebnis: Eben dieser Staat hat jetzt trotz Rekordeinnahmen 2400 Milliarden Euro Schulden.

Den Graben zwischen SPD und sich hat Scholz für knapp zwei Jahre mit (Steuer-)Geld zugeschüttet. Doch jetzt ist er wieder da. Wegen des Industriestrompreises. Die Idee stammt von „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck. Weil der Strom zu teuer und die deutsche Industrie deshalb nicht mehr wettbewerbsfähig sei, solle der Steuerzahler für einen großen Teil der Stromrechnung der Industrie aufkommen.

Habecks Grüne waren zuerst dafür. Nun schwenkt auch die SPD auf dessen Linie ein. Zuerst äußerte sich am Wochenende Eskens Co-Vorsitzender Lars Klingbeil entsprechend. Nun hat der Fraktionsvorstand um Rolf Mützenich gefälligen Medien ein entsprechendes Papier zugespielt. Habeck ist für den Industriestrompreis, Scholz dagegen. Scholz’ Fraktion fordert nun Konditionen, die über Habecks ursprünglichen Vorschlag noch hinausgehen: Brauchst du wen zum dich verraten, dann frag einen Sozialdemokraten.

Habeck wollte den Strompreis, den die Industrie zahlen muss, auf 6 Cent pro Kilowattstunde begrenzen. Den Rest soll der Steuerzahler übernehmen. Mützenich und der Fraktionsvorstand wollen, dass die Industrie nur 5 Cent pro Kilowattstunde zahlen muss. Aktuell liegt der Börsenstrompreis bei etwa 9 Cent. Der Vorzeige-Linke Mützenich will also, dass Verkäuferinnen, Handwerker und Lehrerinnen 45 Prozent der Stromkosten der Industrie übernehmen. Warum?

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Die Antwort liegt in der Umsetzung. Noch ist nicht geklärt, für wen der Staat den Industriestrompreis übernimmt. Habecks Formulierung „energieintensive“ Bereiche ist offen. Die Alugießerei wäre dann ziemlich sicher dabei. Aber was ist mit Produzenten von Dübeln? Von Handschuhen? Dem Bäcker? Oder der Sauna? Die Politik müsste entscheiden, wer Strom zu wettbewerbsfähigem Preis bekommt – und wer mit den normalen deutschen, aber eben nicht wettbewerbsfähigen Preisen gegen die Insolvenz ankämpfen soll.

Zudem will Habeck einen zweiten Haken einbauen. Die Unternehmen bekämen die milliardenschwere Subvention nur, wenn sie in die „Transformation“ investieren. Sie müssten ihren bisherigen sowie ihren künftigen Energieverbrauch dokumentieren und belegen, dass sie in dessen Senkung investieren.

Die beiden Bedingungen erklären, warum Klingbeil und Mützenich für den Industriestrompreis sind: Es entsteht eine klimastaatliche Planwirtschaft. Der Staat entscheidet faktisch, welche Unternehmen überleben sollen und welche nicht. Der Staat regiert in die Betriebe hinein, die Unternehmer müssen jede Entscheidung vor den Beamten rechtfertigen. Für Sozialdemokraten ein Traum.

Für Liberale ein Alptraum. Deswegen sagt Finanzminister Christian Lindner (FDP) auch: „Ein Industriestrompreis wäre verteilungspolitisch ungerecht.“ Mittelständler müssten der Industrie den Strom finanzieren. Der Industriestrompreis ist in der Tat mit keinem Grundsatz der FDP zu vereinbaren. Nur FDP-Abgeordnete können zustimmen, die für den kleinsten eigenen Vorteil jegliche Überzeugung verraten würden. Mit anderen Worten: Die Zustimmung der FDP zum Industriestrompreis ist nur eine Frage der Zeit und wird nach ein wenig Theaterdonner kommen.

Scholz hat erkannt, dass der Industriestrompreis nur ein „Strohfeuer“ auslösen – aber kein grundsätzliches Problem lösen würde. Ebenfalls erkannt hat er, dass sich der Staat angesichts von 2,4 Billionen Euro Schulden eine Dauersubvention dieses Ausmaßes nicht leisten kann. Doch Olaf ist allein zuhause. An seiner Seite hat er nur die FDP – mit der zusammen wird es in jedem Schützengraben aber schnell einsam.

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Habeck mag zwar jetzt auch festgestellt haben, dass eine Wirtschaft nicht überleben kann, wenn man ihr mit grüner Belastungspolitik den Hals zudrückt. Doch sein Gegenmittel ist ganz sein Stil: Es bedeutet eine riesige Investition, von der heute keiner sagen kann, wie lange sie nötig sein wird, wie umfangreich sie wird und folglich, was sie insgesamt kosten wird. Habeck geht von 30 Milliarden Euro aus – aber die Öffentlichkeit hat dem Kinderbuchautoren nun schon zu oft dabei zugeschaut, wie seine ursprünglichen Kalkulationen von der Realität eingeholt werden.

Der Vorschlag der SPD-Fraktion sieht eine zeitliche Begrenzung auf fünf Jahre vor. Nach zwei Jahren wollen Mützenichs Leute eine Zwischenbilanz ziehen. Habeck sagt, die Subvention solle es so lange geben, bis die erneuerbaren Energien den Strom billig machen. Die ihm nahestehende Netzagentur sagt, bis zum Jahr 2037 würden die Erneuerbaren rund 570 Gigawatt Strom produzieren – derzeit sind es 140 Gigawatt. Doch zum einen ist es unsicher, ob es so kommt. Und zum anderen ist es noch unsicherer, ob ein hoher Anteil an Erneuerbaren den Strom irgendwann billiger macht – oder so wie jetzt verteuert, weil Energie für die Grundlast teuer aus dem Ausland dazu gekauft werden muss und Überproduktionen aus den Erneuerbaren billig verscherbelt werden.

Eins ist sicher in der Debatte: Der Strom ist in Deutschland um ein Vielfaches teurer als im Ausland – und die Wirtschaft daher immer weniger wettbewerbsfähig. Die Ampel ist sich wenigstens in einem Beschluss einig: Zum Jahreswechsel erhöht sie die CO2-Steuer um 25 Prozent. Höhere Energiesteuern, um zu hohe Energiesteuern subventionieren zu können. Scholz nennt das selbst ein „Strohfeuer“ – das ist zwar milde, aber nicht treffend ausgedrückt. Irrsinn käme dem Ganzen schon näher.

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