Für die Ampel sind es anstrengende Tage. Nun hat sich der Dreierbund gerade dazu durchgerungen, die EU-Kandidatenländer Georgien und Moldau zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Da fordert ein kecker Oppositionspolitiker doch gleich mehr ein. CDU-Chef Friedrich Merz legt nach und möchte, dass auch die Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko, Algerien und der Subkontinent Indien auf die Liste gehören, weil die Anerkennungsquoten sich im Promillebereich bewegen. Doch SPD und Grüne sind gegen diesen Schritt einer marginalen Ausweitung, die nicht viel verbessern würde, aber deutlich zeigt, wie unbeweglich das deutsche Parteiensystem angesichts der Herausforderungen durch die Themen illegale Migration und Asyl ist.
Die CDU möchte also einen Trippelschritt auf die Realität zugehen, die FDP würde ihr sogar folgen, wie Vizefraktionschef Konstantin Kuhle durchscheinen ließ. Doch Rot-Grün an der Regierung verweigert sogar das. Ein Ländername, den Merz sich nicht getraute, an dieser Stelle in den Mund zu nehmen, fehlte überdies ganz: Der Herkunftsstaat Türkei steht dieses Jahr wiederum an prominenter, aktuell dritter Stelle der Asylstatistik.
Die Welt scheint ein schrecklicher Ort zu sein, in Übereinstimmung mit rot-grünen Ansichten von ihr. Dabei hat die geduldige Presse schon öfter – sicher auch für Claudia Roth verständlich – erklärt, dass die Einstufung als sicherer Drittstaat kein Asylverfahren verhindern kann. Es wird dadurch lediglich verkürzt und einfacher gestaltet.
Auch auf der EU-Ebene lassen die Fortschritte angesichts der akuten Krisenlage der meisten EU-Staaten in gefährlicher Weise auf sich warten. Und trotz neuer Vorschläge wie der Schnellverfahren an der Außengrenze haben die Grünen auch an dieser Stelle Entscheidendes verhindert. Etwa Verhandlungen mit den Transitstaaten für EU-Migrationsabkommen, wie der Migrationsforscher Ruud Koopmans erläuterte – obwohl die Abkommen sogar im Koalitionsvertrag angekündigt worden seien (Artikel hinter Bezahlschranke).
Wie schaut die Lage nun rund um Deutschland aus? Es ist ein Bild der Notlagen und der darauf folgenden Maßnahmen. Gleichzeitig brechen reihenweise hergebrachte Positionen zur Einwanderungspolitik weg, werden Koalition gesprengt und entstehen neue Parteien, von denen sich die sagenumwobene Mitte der Gesellschaft – also ganz normale Bürger, die noch auf ihre Aus- und Einnahmen schauen müssen – eine Lösung oder Linderung ihrer Probleme erhofft. Ob das gelingen wird, ist derweil noch offen.
Niederlande: Volatile Wähler und Wohnungsnot
In den Niederlanden zerbrach im Juli die Koalition von Rechtsliberalen, Christdemokraten, Linksliberalen und konservativen Christen-Unionisten, als der Langzeit-Premier Mark Rutte seinen Rückzug ankündigte. Zuvor und auch seitdem ist Bewegung in das Parteiengebäude gekommen: Erst triumphierte die neue Bewegung der Bauern und Bürger (BBB), entstanden aus den populären Bauernprotesten, bei den Regionalwahlen im März. Nun hat sich eine andere Neugründung an die Spitze der Umfragen gestellt: Der Nieuw Sociaal Contract („Neuer Gesellschaftsvertrag“) von Ex-CDA-Mitglied Pieter Omzigt liegt derzeit mit 19 Prozent aller Stimmen vorne. Sein Programm ist sozial-konservativ mit Einsprengseln von Euro- und Migrationskritik. Über die kommende Koalition in Den Haag sagt das noch nichts aus. Aber das Thema der Migration wird auch die niederländische Politik nicht loslassen.
Polens Grenzen – Ampel verzichtet auf Zurückweisungen
In Polen hat die national-konservative PiS-Regierung eine Reihe von Referenden vorgelegt, über die am Tag der kommenden Parlamentswahlen im Oktober abgestimmt werden soll. Es geht darin um die zwangsweise Zuweisung von Migranten durch die EU, welche die regierende PiS ablehnt. Daneben wird es auch um die Frage gehen, ob der Stahlzaun an der Grenze zu Weißrussland bleiben soll. Die Opposition kritisiert, dass ohnehin niemand im Land gegen den Zaun sei.
Es wäre vielleicht jetzt schon nötig. Denn die deutsch-polnische Grenze hat sich zum Zuwanderungs-Hotspot der Bundesrepublik entwickelt: Hier wurden dieses Jahr schon mehr illegale Einreisen festgestellt als an der Grenze zu Österreich. Natürlich könnte es sich auch einfach um einen verlagerten Arm der Balkanroute handeln, wofür es deutliche Hinweise gibt. Aber am Ende muss vor allem der Bundesregierung der Vorwurf gemacht werden, dass sie keine stationären Grenzkontrollen einführt und so auf Zurückweisungen nach Polen ganz verzichtet.
Belgien: Kein Platz mehr für allein reisende Männer
In Belgien verkündete die zuständige Staatssekretärin für Asylfragen in ultimativer Härte, dass allein eingereiste Männer kein staatliches Angebot mehr zur Unterbringung erhalten werden. Die wenigen Plätze, die man noch vorhält, will man für Familien und Kindern freihalten. Man scheint in Brüssel schon Erfahrungen gesammelt zu haben, mit obdachlosen Flüchtlingsfamilien im Winter. Zumindest diese Bilder will sich die flämische Christdemokratin Nicole De Moor (CD&V) ersparen. Die No-Border-No-Nation-Anhänger gingen prompt auf die Straßen.
Schweden und der Wert der Staatsbürgerschaft
Schweden hat schon im Februar eine neue Politik in Bezug auf Abschiebungen angekündigt, die nun schrittweise umgesetzt wird. Es geht darum, endlich an die 100.000 Menschen, die sich illegal, ohne gültigen Aufenthaltsstatus im Land aufhalten, auszuweisen. Dabei sollen nun auch Sozialarbeiter (egal, ob sie umgerechnet 25.000 Euro oder weniger verdienen) und Bibliothekare mithelfen, um die Illegalen ausfindig zu machen. Daneben will die konservative, von den Schwedendemokraten als größter Fraktion tolerierte Regierung angekündigt Ausreisezentren errichten. Die Bedingungen für die Erlangung des schwedischen Passes wurden strenger gestaltet, um den „Wert der schwedischen Staatsbürgerschaft“ zu erhöhen. Auch die Voraussetzungen für den Familiennachzug wurden angehoben. Insgesamt sei das ein „Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik“ des Landes, wie die zuständige Ministerin Maria Malmer Stenegard sagt.
Dänemark: Für die Null-Migration und strenge Regeln, gegen Ghettos
Dänemark ist schon lange auf einem strikten Kurs in Sachen illegale Migration. Das Ziel der sozialdemokratischen Premierministerin Mette Frederiksen ist es, die illegale Zuwanderung auf Null zu bringen. Dazu begann ihre Regierung Verhandlungen mit Ruanda, wohin man illegale Zuwanderer abschieben wollte. Das älteste dieser Ruanda-Abkommen hat übrigens schon 2013 Israel geschlossen, wo man eritreischen und sudanesischen Migranten das Angebot machte, sich mit 3.500 Dollar in ein Flugzeug zu setzen, das sie wieder zurück nach Ostafrika (nach Ruanda) brächte. 4.000 Menschen sollen so nach Ruanda gekommen sein.
Die dänischen Sozialdemokraten haben die harte Migrationspolitik von den Rechtsliberalen und Nationalen übernommen und wurden so zur stärksten Partei. Inzwischen führen sie den Ansatz in einer rot-blauen Regierung fort, nachdem Frederiksen die linken Tolerierungspartner (auch wegen Migrationsfragen) wegbrachen. In diesem Jahr hat die Regierung die Einbürgerungsregeln erneut angehoben – im starken Kontrast zur Ampel, die hier die Erfordernisse und Wartefristen absenkte, angeblich weil man so positive Migration in den Arbeitsmarkt anlocken könne.
Legendär ist auch der Kurs der Kopenhagener Regierung gegen Ghettos, der inzwischen zu ganz neuen Vierteln führt, die freilich gemischt besiedelt bleiben, aber das Entstehen von Parallelgesellschaften verhindern sollen. Die deutsche Ampel schaut derweil hilflos zu, wie immer mehr Viertel in den großen Städten zu polizeilich kaum noch zu kontrollierenden Gegenden degenerieren.
Undogmatische Vorschläge aus Österreich
In Österreich ist es der schwarz-grünen Regierung gelungen, die Asylanträge zu senken, wo sie in Deutschland um nahezu 80 Prozent gestiegen sind. Angeblich sind die Schnellverfahren erfolgreich, so Nehammer im Gespräch mit der Welt am Sonntag, ebenso eine „Taskforce Außerlandesbringungen“, die illegale Migranten auch davon abhalte, überhaupt einen Asylantrag zu stellen. Richtig ist, dass eine Durchsetzung von Regeln sicher vielfache positive Folgen erzeugen könnte – auch nördlich der Alpen. Und natürlich sitzt Nehammer hier die Konkurrenz von der FPÖ im Nacken.
Alles das ist ein relatives Verdienst der Wiener Regierung, das man wohl anerkennen muss, auch wenn für die illegalen Migranten der Ausweg nach Deutschland (auch über Ausweichrouten wie Tschechien und Polen) natürlich offensteht. Nun plädiert Nehammer für einen EU-Ruanda-Plan, so weit dieser auch entfernt sein mag. Näher lägen allerdings Verhandlungen mit den Transitstaaten in Nordafrika. Sie müsste man zu sicheren Herkunftsstaaten erklären und in der Folge dafür gewinnen, illegale Migranten aus dem Mittelmeer zurückzunehmen. Der Preis in Euro könnte hoch sein, aber wäre es vielleicht wert, solange man von der Aufnahme „legaler Migranten“ aus den Maghreb-Ländern absehen kann.
Italien im Abwehrkampf gegen die kleinen Boote aus Nordafrika
Mit diesen unbändigen Nachbarn am Südrand hat vor allem Italien zu tun. Marokko, Algerien und Tunesien haben immer wieder die Tore (und Strände) geöffnet, um mit den eigenen Migrationsproblemen fertig zu werden. Das lange Zeit Bürgerkriegsland Libyen kam dazu. Giorgia Meloni ist eigentlich angetreten, um die Probleme mit der illegalen Migration zu lösen. Sie tut das bisher mit bedächtigen Schritten, als ob sie die Gegenstimmen aus Brüssel vorwegnimmt. Die Bedingungen für die NGO-Schiffe hat sie aber verschärft und so einige Schiffe zeitweilig festgesetzt.
Dennoch kam es zur Verdopplung der Zahlen im Vergleich zum Vorjahr: 114.000 illegale Migranten sind in diesem Jahr schon in Italien angelandet. Das liegt auch daran, dass es viele der Boote aus eigener Kraft bis nach Lampedusa, Sizilien und sogar Kalabrien schaffen. Hinzu kommen Schiffe, die das Land von Osten, aus der Türkei und von Ägypten ansteuern. Hier nützen Schläge gegen die NGOs leider nichts, angesichts einer wohlgerüsteten Schleppermafia.
Für die Erklärung der Maghreb-Länder zu sicheren Herkunftsstaaten wäre Meloni sicher offen. Sie hat außerdem die Sozialhilfe – das italienische Bürgergeld – zusammengestrichen, um nicht durch Subventionierung zum Magneten für Armut-zu-Wohlstandsmigranten zu werden. Neuerdings drängt Matteo Salvini wieder verstärkt darauf, seine Politik der geschlossenen Häfen von 2018 erneut einzuführen.