Tichys Einblick
Olaf Scholz’ Strategie

Die SPD nutzt die Macht, um an der Macht zu bleiben

Die SPD hat auf dem Europa-Parteitag ihre Strategie gezeigt. Die Sozialdemokraten setzen nicht mehr darauf, beim Wähler anzukommen. Sie sind bereit, den Staat in den Notstand zu treiben, um an der Macht bleiben.

Olaf Scholz und Katarina Barley, Europadelegiertenkonferenz der SPD in Berlin am 28. Januar 2024

IMAGO / HMB-Media

Die SPD setzt im Europa-Wahlkampf auf Katarina Barley als Spitzenkandidatin und auf Kanzler Olaf Scholz als Werbeträger. Ginge es in diesem Text um Kandidaten oder ums Punkten beim Wähler, dann wäre dieser Text eine Komödie. Der Kanzler, dem kaum ein Fünftel der Wähler einen guten Job attestiert. Die Kandidatin, die schon bei der letzten Europawahl angetreten ist – und das schlechteste Ergebnis einfuhr, das die SPD jemals bei einer bundesweiten Wahl holte.

Doch in diesem Text geht es nicht um die unterirdische Erfolgsbilanz der Spitzenkandidatin. Schon eher um die Ergebnisse der von Scholz geführten Ampel – aber das nur am Rande. Die Ergebnisse sind so schlecht wie der Ruf des Kanzlers: schrumpfende Wirtschaft, steigende Arbeitslosigkeit trotz Arbeitskräftemangels, hohe Preise für Strom und Lebensmittel sowie ein verfassungswidriger Schuldenhaushalt, obwohl die Bundesregierung dem Bürger so viele Steuern wie noch nie abknöpft und immer weitere ankündigt. In diesem Text geht es aber darum, was diese Ergebnisse aus Scholz und der SPD machen. Deswegen ist dieser Text eine Dystopie.

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Vor acht Jahren hat die Autorin Karen Duve die Dystopie „Macht“ veröffentlicht. Eine Gesellschaft, in der die Frauen die Macht übernommen und diese für die Errichtung einer Diktatur genutzt haben. Angeführt von einem blassen (fiktiven) Olaf Scholz, der eher eine Marionette als ein Macher ist. Der echte Scholz tut dieser Tage alles, um der Autorin Duve gerecht zu werden. Die entscheidende Frau im Konzept des Kanzlers ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD) – eine Kandidatin, der die Hessen vor wenigen Monaten signalisiert haben, dass die Bürger sie eindeutig nicht wollen.

Doch Faeser ist nicht nur faktisch Scholz’ wichtigste Frau. Sie steht auch symbolisch für den Weg, den der Kanzler auf dem Europa-Parteitag aufgezeigt hat, aber bereits nach den steigenden Umfragewerten der AfD eingeschlagen hat: Der Wähler will Faeser eindeutig nicht? Dann bleibt sie Innenministerin. Frank-Walter Steinmeier wurde nach Wahlniederlagen Bundespräsident, Hubertus Heil Arbeitsminister und Barley jetzt wieder Spitzenkandidatin. Das Personaltableau der SPD besteht fast nur noch aus historischen Wahlverlierern. Auf Wahlen und auf Beliebtheit beim Bürger setzen die Sozialdemokraten nicht mehr.

Innenministerin Nancy Faeser steht für eine SPD, die Macht nutzen will, um an der Macht zu bleiben. Die dieses Gesicht nun offen zeigt. Schon Ende 2022 hat die Innenministerin ihre Entschlossenheit gezeigt: Der gesellschaftlichen Mitte warf Faeser vor, anschlussfähig für „Rechts“ zu sein. Unliebsame Beamte will sie denunzieren und rauswerfen lassen. Sollen die doch erstmal vor Gericht ihre Unschuld beweisen. Und Faeser ließ Dutzende Menschen unter dem Vorwurf eines Staatsumsturzes verhaften – ohne dass bisher der Prozess eröffnet wäre.

Faeser hat ganz offen eingeräumt, dass der Verfassungsschutz seit anderthalb Jahren die Geldflüsse rechter Politiker überprüft. Dieser Tage mehren sich die Berichte in staatlichen und staatsnahen Medien, wem welcher Politiker über sein privates Konto was gespendet hat. Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder haben sich diese Medien zeitgleich mit dem Verfassungsschutz an die Konten gesetzt, diese mit zivilen Mitteln geknackt und nun die Ergebnisse parat. Die andere Möglichkeit: Der Verfassungsschutz hat ihnen seine Ergebnisse einfach weitergegeben. Jener Geheimdienst hätte also der AfD geschadet, dessen Präsident Thomas Haldenwang öffentlich mitgeteilt hat, die AfD bekämpfen zu wollen. Mag jeder entscheiden, was plausibler ist.

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Würde die SPD staatliche Institutionen missbrauchen, um sich selbst an der Macht zu erhalten, wäre es unklug, dass ein Präsident einer solchen Institution sagt, er wolle die Opposition bekämpfen. Es wäre auch von Faeser nicht schlau, zu sagen, dass der Inlands-Geheimdienst Geldströme von Rechten überprüft, während staatliche und staatsnahe Medien mit „Rechercheergebnissen“ gerade über die Geldströme von Rechten berichten. Es wäre zumindest nicht schlau, wenn Faeser, Scholz, Barley oder Steinmeier damit vor dem Wähler bestehen wollten.

Doch eben das hat die SPD aufgegeben. Die SPD will nicht mehr mit Rechtsstaatlichkeit glänzen. Die Taktik unter Faeser und Scholz ist eine andere. Die Sozialdemokraten zeigen ihre Entschlossenheit, an der Macht zu bleiben. Faeser und Haldenwang haben ihre Ziele nicht ausgeplappert, weil sie schusselig wären, sondern um eine Botschaft zu setzen: Wir sitzen an der Macht. Wer uns dort weghaben will, sollte wissen, dass wir über Monate und Jahre entschlossen sind, die Existenz eines jeden zu zerstören, der uns an die Macht will.

Die Partei Willy Brandts pfeift unter Faeser und Scholz auf die Rechtsstaatlichkeit. Ihr Selbstverständnis erlaubt ihnen das. In der Abwandlung von Ludwig XIV denken sie: Die Demokratie sind wir. Der Rechtsstaat sind wir. Wenn es die SPD an der Macht hält, schützt der Verfassungsschutz die Verfassung, indem er Private abhört und das derart gesammelte Material dann an willige Medien weitergibt. Was die SPD an der Macht hält, kann in ihrer Logik schließlich kein Machtmissbrauch sein. Untersuchungshaft gegen Unliebsame ohne Gerichtsverhandlung? Umkehr der Beweispflicht? Abhören der Internet-Kommunikation von Unverdächtigen? Rechtsstaat ist, was der SPD nutzt.

Um an der Macht zu bleiben, inszeniert die SPD den permanenten Notstand: die politische Konkurrenz, die so gefährlich ist, dass sie verboten gehört. Das Gas, das so knapp ist, dass der Umweltschutz keine Rolle beim Bau von Industriehäfen in Naturschutzgebieten spielt. Der Russe, der wieder vor der Tür steht. Die zwei Jahre unter Scholz sind der permanente Notstand. Und was macht es im Notstand schon, wenn die Regierung die Gesetze beugt und die staatlichen Institutionen missbraucht? Schluckt der Bürger diese Denkweise, kann die SPD den nächsten Schritt gehen.

Auch an den Notstand hat die Politik die Bürger langsam herangeführt. Bereits 2019. Damals erklärten sich rund 60 Städte als im „Klimanotstand“ befindlich. Den haben die Verantwortlichen noch als harmlos und folgenlos abgetan. Doch dann kam Corona und der Notstand wurde harte Realität: mit Kontaktverboten, nächtlichen Ausgangssperren, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und vor allem Einschränkungen des Demonstrationsrechtes. Angewandt bei Demos gegen die Politik der Bundesregierung – während Kundgebungen im Sinne der Regierungspolitik erlaubt blieben.

Faeser ist noch im Amt. Heil, Barley und Steinmeier wurden nach ihren Wahlniederlagen befördert. Die SPD zeigt offen, wie wenig sie von Wahlen hält. Die Sozialdemokraten setzen auf Strategie statt Beliebtheit. Machtgebrauch und Machtmissbrauch statt auf eine vorzeigbare Bilanz. 21 der letzten 25 Jahre war die SPD an der Macht im Bund – wenn einer das Land runtergewirtschaftet hat, waren es neben Angela Merkel (CDU) Sozialdemokraten.

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Die SPD setzt neben Faesers offensichtlichem Drohen mit den Instrumenten auf die AfD-Strategie, um durch Wahlen an der Macht zu bleiben. So wie zwischen 2015 und 2021. Die „Brandmauer“ gegen die AfD einte die Kartellparteien Linke, Grüne, FDP, Union und eben SPD. Bei Landtagswahlen funktionierte sie bedingt. Die Brandmauer stärkte den Status quo. Die AfD legte nur maßvoll zu und die Ministerpräsidenten blieben im Amt. Es sei denn, sie versagten zu sehr wie Tobias Hans (CDU) im Saarland oder Hannelore Kraft (SPD) in Nordrhein-Westfalen.

Die CDU war der Verlierer dieser Strategie. Im Bund halbierte sie ihre einstigen Ergebnisse fast. In den Ländern stellten sich die Christdemokraten selbst ins Abseits. Mit der AfD darf die CDU nach Selbstverpflichtung nicht regieren, ohne SPD und Grüne kann die CDU nicht regieren. Also müssen die Christdemokraten sich innerparteilich grün-links verbiegen, wollen sie als ministerabel gelten. Das erklärt die Karrieren von Apparatschicks wie Hendrik Wüst oder Daniel Günther.

Zwei Szenarien sind nun möglich. Im ersten Szenario eint der Kanzler die Wähler hinter sich, die den Kampf gegen Rechts ernstnehmen. So lässt sich die Macht über 2025 hinaus erhalten. Mit einer zwar starken AfD, aber einer schwachen CDU. Das zweite Szenario wäre weitaus schlimmer: Die Taktik scheitert und ohne AfD und CDU wäre keine Regierung mehr möglich. Dann droht der SPD ein Machtverlust, den sie offensichtlich nicht hinzunehmen bereit ist – und dann lässt Scholz Faeser und Haldenwang komplett von der Leine. Die SPD wäre dann Demokratie und Rechtsstaat, und Demokratie und Rechtsstaat hätten dann das zu sein, was der SPD nutzt.

Das traut niemand der SPD zu? Die Partei hat in ihrer Geschichte schon einmal bewiesen, dass sie zum Machterhalt bereit ist, all ihre Werte zu verraten. „We remember“: 50 Jahre war die SPD die Arbeiterpartei, um dann auf die deutschen Arbeiter schießen zu lassen, sobald das Kaiserreich zusammengebrochen war. Rechtsradikale Soldaten hetzte die SPD 1919 auf die Arbeiterschaft, die von der SPD und Gustav Noske bewaffneten Rechtsradikalen bildeten später den Kern von SA und SS.

Die Partei ist heute stolz darauf, dass sie 1933 „wehrlos, aber nicht ehrlos“ war. Dass sie den Tätern von 1933 selbst die Waffen in die Hand gedrückt hat, verschweigt die SPD der Gustav Noskes und Friedrich-Ebert-Stiftungen heute indes gerne. Wer darauf vertraut, dass die SPD in ihrem Machterhalt nicht noch einmal so kurzsichtig ist, dem sei sein guter Schlaf gegönnt. Wer sich dagegen stellen will, muss wissen, dass Faeser bereit ist, die Existenz von jedem zu zerstören, der die Macht der SPD in ihrer Substanz anzugreifen wagt.

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