Tichys Einblick
EU im Selbstzerstörungsmodus

SPD-Bundestagsfraktion will Frontex demontieren

In Brüssel und Berlin attackieren SPD-Abgeordnete die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Unter dem Beifall von Grünen und Linken fordern sie die Ablösung Fabrice Leggeris und die Unterstellung von Frontex unter parlamentarische Kuratel. Das wäre vielleicht das völlige Ende sicherer EU-Außengrenzen.

IMAGO/Future Image

Den Linken in Europa ist derzeit gar nichts recht, was Frontex tut. Das kennt man schon aus Brüsseler Kreisen, man kennt es auch von Linkspartei-Politikern mit Grenzschutz-Aversion und von grünen EU-Abgeordneten mit Migrationsagenda. Nun trat die SPD-Bundestagsfraktion hervor, um eine tiefgreifende Reform der EU-Grenzschutzagentur und die Ablösung ihres Generaldirektors zu fordern. Es brauche einen »personellen Neuanfang ohne Leggeri«. Außerdem will die SPD ein neues Kontrollgremium schaffen, in das Mitglieder nationaler Parlamente und des Europäischen Parlaments entsandt werden. Dieses Kontrollgremium soll auch über den Frontex-Generaldirektor entscheiden können. All das steht laut Spiegel in einem Positionspapier der Genossen.

Schutz der EU-Seegrenzen
NGO-Anwälte wollen Frontex-Chef Leggeri vor Gericht bringen
Als autonomes EU-Organ wäre Frontex damit erledigt, dafür aber jedem politischen Windchen aus Brüssel und den Hauptstädten der EU ausgesetzt. Ein weiterer Schritt zu einem, dann parlamentsgestützten, EU-Direktorium, in dem die Mitgliedsländer immer weniger, der Brüssler Comment immer mehr zu sagen hat. Und ein Schritt hin zu einer Grenzschutzagentur, die noch weniger arbeitsfähig wäre als die heutige. Die SPD-Fraktion schwingt ihre – vielleicht gar nicht mehr so zackige – Knute gegen einen funktionierenden Grenzschutz an den EU-Außengrenzen.

Dabei hatte sich auch der SPD-Parteivorstand noch 2018 – also noch vor der Esken-Ära – deutlich für »einen besseren Schutz der gemeinsamen Außengrenzen« der EU ausgesprochen. Angeblich müsse »mehr dafür getan werden, die illegale Migration über die Grenzen Europas zu verhindern«. Dazu wollte die SPD nicht nur die nationalen Grenzschützer »modernisieren«, sondern auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter ausbauen, und zwar auch durch »die Erweiterung ihrer rechtlichen Kompetenzen«. Ist das nun alles Schnee von gestern oder war es schon gestern nicht ernst gemeint? Will die SPD eventuell zurück hinter das Godesberger Programm? Man muss es der Partei Kurt Schumachers sagen: Frieden schaffen ohne Waffen, das ist leider nicht realisierbar. Es ist fatal, mit welcher Geschwindigkeit sich die SPD aus der politischen Mitte verabschiedet.

Hinzu kommt eine weitere SPD-Forderung: Die Grundrechtebeauftragte der Agentur müsse gestärkt werden und die Menschenrechtssituation an den Außengrenzen »robust und unabhängig« beobachtet werden. »Dass jeder Mitgliedstaat menschenrechtlich bedenkliche Vorfälle, die im eigenen Verantwortungsbereich liegen, selbst untersucht, reicht nicht aus.« Die SPD traut den EU-Partnern so wenig über den Weg, dass sie selbst die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten unbedingt vergemeinschaften will.

Frontex-Etat symbolisch blockiert

Zuvor hatte eben jenes EU-Parlament dem Frontex-Etat mit großer Mehrheit die Entlastung verweigert. Die Entscheidung kündigte sich schon im März an, als die Ausschüsse für Finanzen und Inneres die Einfrierung des Haushaltspostens forderten. Dagegen stimmten allein die Fraktion Identität und Demokratie (ID), der auch die AfD angehört, und die Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), zu denen neben anderen die Abgeordneten der polnischen Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) zählen. Die Entlastung wurde aber vorerst nur verschoben, nämlich bis zum Herbst. Laut Spiegel droht dann eine endgültige Ablehnung des Budgets, was bisher noch nie vorgekommen ist. Die griechische Tageszeitung Proto Thema erwartet keine Auswirkungen auf die aktuellen Frontex-Einsätze, sieht den Vorgang allerdings als »Schikane« mit Symbolwert.

Vorwürfe gegen Frontex
Die forcierte Aufregung um den Schutz der EU-Grenzen
Die Gegner der Entlastung des EU-Grenzschutzes fordern vor allem eine bessere Aufklärung der Pushback-Vorwürfe, die wegen des Frontex-Einsatzes in der Ägäis erhoben werden. Außerdem solle man die Zeit für einen »Neustart« nutzen, so der EU-Abgeordnete Udo Bullmann (SPD). Damit meinte er jene angeblich »nebulösen Lobbytreffen«, den »fragwürdigen« Ankauf von Drohnen und weiterer »Militärtechnik«. Was Lobbyismus angeht, kennt man sich ja aus im Brüsseler Parlament.

Nicolaus Fest, der für die AfD im Innenausschuss des EU-Parlaments sitzt, sieht die Nicht-Entlastung von Frontex als symptomatisch für die EU an: »Da gibt es eine EU-Behörde, die ausnahmsweise etwas richtig macht, und schon wird diese an die Kandarre genommen, während andere Behörden, auf die man im allgemeinen Interesse verzichten sollte, ausgebaut werden.« Fest findet, nicht Frontex und die vorgeblichen Pushbacks seien zu kriminalisieren, sondern illegale Migranten und deren Schleuser: »Dass Frontex Pushbacks praktiziert, ist Beleg dafür, dass es dringender Änderungen des derzeitigen Rechts bedarf.« Ein »praktikables Grenzmanagement« sei unter diesen Bedingungen offenbar nicht möglich.

Übrigens benutzt die Türkei an der Evros-Grenze natürlich Drohnen und erlangt so derzeit einen strategischen Vorteil gegenüber den griechischen und europäischen Grenzern, deren Stellungen sie auskundschaftet – ein Wissen, das sie dann für die Erleichterung der illegalen Migration aus ihrem Staatsgebiet nutzen kann. Chrysovalantis Jalamas, der oberste Grenzschützer am Evros, bestätigte, dass die türkischen Gendarmen häufig kriminelle Schleuser unterstützen und so Spannungen in der Grenzregion schaffen.

Der Frontex-Etat soll in den kommenden Jahren sogar wachsen (TE berichtete). Es soll also mehr Vertrauen in den Grenzschutz investiert werden, weil nach allgemeiner Ansicht auch die Anforderungen an diesen Schutz steigen werden.

Die Lage an der Grenze ist weiter unübersichtlich

Tatsächlich bleibt die Lage an der griechisch-türkischen Grenze äußerst unübersichtlich – auf dem Festland ebenso wie auf dem Meer. Im März schossen türkische Gendarmen mehrmals vor den Augen von griechischen und deutschen Grenzschützern in die Luft. Ein Frontex-Beamter bestätigte, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelte. Seitdem tragen die EU-Grenzschützer schusssichere Westen.

Griechenland bleibt gelassen
Der Schuss auf Frontex-Beamte war nicht die einzige türkische Provokation
Am vergangenen Freitag beriet das Frontex-Direktorium über zwei Fälle aggressiven Verhaltens, das türkische Boote gegenüber einem finnischen und einem schwedischen Boot zeigten. Amtsträger aus beiden Ländern bezeichneten die Vorfälle als »sehr ernst« und »gefährlich«, zumal auch internationale Regeln dadurch missachtet worden seien. Die beiden Frontex-Boote gehören zur Operation »Poseidon«, die seit letztem Jahr im Grenzgebiet zur Türkei läuft und dort die illegale Einwanderung über den Seeweg verhindern soll.

In der Nacht des 26. April ging zunächst ein türkisches Boot auf Kollisionskurs mit dem finnischen Frontex-Schiff, das voll beleuchtet war und sich dabei kaum fortbewegte. Das türkische Boot war unbeleuchtet. Nur wenige Stunden später, am Morgen des 27. Aprils, drang wiederum ein türkisches Schnellboot in die griechischen Gewässer ein und attackierte dieses Mal ein schwedisches Schiff, dessen Kapitän einem möglichen Zusammenstoß gerade noch ausweichen konnte.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri informierte den Vizepräsidenten der EU-Kommission Schinas und die Innenkommissarin Johansson. In seinem Schreiben berichtet Leggeri auch von den spezifischen Schwierigkeiten der Operation »Poseidon«. Die Situation beschreibt er als sehr unsicher, da die türkische Küstenwache sich manchmal kooperativ verhalte, dann aber wieder ein »feindseliges Benehmen« zeige und versuche, Migranten aus türkischen in griechische Gewässer zu treiben. Die Kathimerini spricht in ihrer Überschrift von der »unbekannten Schlacht in der Ägäis«, die freilich jeden Tag aufs Neue geschlagen werden muss.

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