Die Beliebtheit von Regierungspolitikern gehört wohl zu den größten Absurditäten dieses nun zu Ende gehenden Pandemiejahres 2020. Ausgerechnet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat nun, glaubt man einer Umfrage für die Bild am Sonntag, den Gipfel der deutschen Politikerzunft erklommen. Die Umfrage fand vor Bekanntwerden so mancher Ungereimtheit in seinen nicht-politischen Angelegenheiten statt. Aber die sich nun vollends offenbarende Langsamkeit Deutschlands (und, so muss man ergänzen: der gesamten EU) bei der Impfung gegen Covid-19 war schon absehbar.
Laut der repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar erhoffen sich 52 Prozent der Menschen in Deutschland für das kommende Jahr eine „möglichst große Wirkung“ Spahns in der Politik. Damit liegt der Gesundheitsminister sogar einen Prozentpunkt vor Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch die Abkehr des CDU-Wirtschaftsflügels Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) von Spahn hat ihm offenbar nicht geschadet. Besonders beliebt ist Spahn bei Frauen: 66 Prozent der befragten Frauen (nur 38 Prozent der Männer) wünschen sich 2021 einen möglichst großen politischen Einfluss des Gesundheitsministers. Im vergangenen Jahr war Spahn in der Beliebtheitsumfrage auf insgesamt 28 Prozent gekommen.
Kann man daraus einen Schluss über die Qualität Spahn’scher, Merkel’scher oder Söder’scher Politik ziehen? Wohl eher über die politische Kultur oder eher Mentalität Deutschlands im Jahr 2020.
So ähnlich wie ihre Politiker auf die Unwirksamkeit irgendwelcher politischer Maßnahmen nicht etwa mit der Änderung der Maßnahmen, sondern in aller Regel mit der Erhöhung der Dosis derselben Maßnahmen reagieren, scheinen sich die Deutschen trotz augenfälligen Scheiterns von Politikern nicht deren Entfernung aus dem Amt, sondern noch mehr Macht für ebenjene zu wünschen.
Diejenigen Regierenden, die im Zusammenhang mit der Pandemie die meiste Medienpräsenz haben, also als Regierende besonders sichtbar sind, gewinnen an Zuneigung der Menschen – völlig unabhängig vom Erfolg ihrer Handlungen nach sachlichen Kriterien. Neben Spahn legten dementsprechend die Kanzlerin (plus 11 Prozentpunkte im Vergleich zu Vorjahr) und Bayerns aktionistischer Ministerpräsident Markus Söder (plus 15) zu, der nun auf Platz drei steht.
Dass ein Minister als gescheitert abzutreten habe, erscheint in der Corona-Pandemie offenbar jenseits des Erwartungshorizonts der meisten Menschen. Kritik an den herrschenden Zuständen und Regierenden, von den Philosophen der Aufklärung vor zweieinhalb Jahrhunderten zum Ideal einer Gesellschaft freier Bürger erklärt, scheint als politische Antriebskraft jedenfalls nicht dominant zu sein. An die Stelle der Kritik an den Regierenden ist die Hoffnung auf die Regierenden getreten. Der Wunschtraum jeglicher Obrigkeit scheint also im gegenwärtigen Deutschland Wirklichkeit zu sein: Man regiert ein Land, deren Bürger den Regierenden mehr Macht wünschen und etwaiges Scheitern nicht diesen anlasten, sondern widrigen Umständen, die den Regierenden vermeintlich im Wege stehen.