Tichys Einblick
Spahn und Wieler in der Bundespressekonferenz

Spahn will „2G Plus“: Auch Genesene und Geimpfte sollen sich testen lassen

Der Auftritt von Jens Spahn und Lothar Wieler unterschied sich kaum von jenen des letzten Winters. War da nicht was mit dem Impfen? Offenbar werden Tests wieder zum entscheidenden Corona-Kampfmittel erklärt: "2G Plus" heißt das neue Zauberwort, also Impfen und zusätzlich Testen.

IMAGO / Political-Moments

Es ist wie ein Déjà-vu, als ob sich die Bilder und Worte des vergangenen Winters einfach wiederholen: Jens Spahn und Lothar Wieler sitzen in der Bundespressekonferenz und schlagen Alarm. Der Noch-Bundesgesundheitsminister sagt: „Die Lage ist ernst“, und der Präsident des Robert-Koch-Instituts hält eine rot-gescheckte Deutschland-Karte in die Kameras. Sie veranschaulicht die Sieben-Tages-Inzidenzen in den Landkreisen. Beide sprechen – wie im vergangenen Jahr – viel von dieser Inzidenz, die bundesweit nun bei 260 liegt, und vom r-Wert, der seit Wochen über Eins liege. „Wir müssen alles Notwendige tun, um diese Dymnamik zu brechen, sonst wird es für das ganze Land ein bitterer Dezember“, sagt Spahn. Auch diesen Satz hat man so ähnlich vor 12 Monaten sicherlich auch schon vernommen.

Von der einst versprochenen Abkehr von der Inzidenz als Kategorie der Corona-Politik ist keine Rede mehr. Keine oder kaum eine Rede ist, wenn von den „Zahlen“ gesprochen wird, auch von der eigentlich wichtigsten Zahl, nämlich der Zahl der am Virus Verstorbenen. Die scheint weder Spahn und Wieler noch die anwesenden Journalisten sonderlich zu interessieren. Nur einmal rechnet Wieler vor, dass von den rund 50.000 Corona-Fällen täglich etwa 3.000 ins Krankenhaus müssen, 350 auf die Intensivstation und schließlich etwa 200 Menschen sterben werden („je mehr Ältere, desto höher die Sterbefälle“).

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Was im vergangenen Jahr bei diesen Wieler-Spahn-Auftritten noch als Zukunftsversprechen des Ausgangs aus der Pandemie erschien, ist nun einfach zu den damals schon und jetzt wieder geforderten Maßnahmen hinzugekommen: Testen, Masken, Veranstaltungen absagen. Implizit gestand Spahn auch ein, dass das Impfen wohl doch nicht das endgültige Mittel der Pandemiebekämpfung sei: Eine Testpflicht in Pflegeheimen sei wichtiger als die verpflichtende Impfung, sagte er. Und dann seine wichtigste Aussage: „3G alleine wird nicht mehr reichen.“ Spahn will bei der Ministerpräsidentenkonferenz darauf drängen, dass daraus „2G Plus“ wird, also Zulassungen zum sozialen Leben nur für Genesene und Geimpfte, die zusätzlich auch noch einen aktuellen Negativ-Test vorweisen können. Die Tests sollen aber wieder für die Bürger kostenfrei stattfinden.

Noch Ende August hatte Spahn übrigens in einem Interview mit der Welt gesagt: „Ich möchte nicht, dass wir Geimpfte regelhaft testen. Das ist einfach nicht notwendig. Am Ende messen wir dann Inzidenzen von geschützten Menschen, die keinen Aussagewert haben, mit denen wir aber dann nie aus dieser Pandemie kommen.“

Wieler sagt auch erstaunlich explizit, dass eine Herdenimmunität nie erreicht werden kann, da das Coronavirus bestenfalls zu einer Endemie werde und nicht ausgelöscht werden könne. Erst ab einer Impfquote von 90 Prozent könne man das Virus wirklich „kontrollieren“, so Wieler. Die Impfeffektivität im Sinne von Ansteckungen durch Geimpfte sei mittlerweile geringer als am Anfang der Pandemie und betrage derzeit noch etwa 60 Prozent, sechs von 10 Geimpften werden also vor einer Infektion geschützt. Die Effektivität beim Schutz vor einem Krankenhausaufenthalt liege mittlerweile bei rund 90 Prozent, beim Schutz vor Tod bei etwa 94 Prozent.

Aber warum behauptet Wieler dann kurz darauf, dass „wir“ Kinder unter 12 Jahren mitschützen, indem „wir“ uns impfen lassen? Schließlich sagt er selbst auch, dass es nur „eine sehr geringe Quote an Kindern, die sehr ernsthaft erkranken“, gebe. Nur 30 Kinder sind bislang an den Folgen von Covid-19 verstorben.

Keine zusätzlichen Maßnahmen kündigte Spahn an, um die Zahl der verfügbaren Intensivbetten kurzfristig wieder zu erhöhen. Er verwies auf Nachfrage darauf, dass die Ausbildung der Pfleger fünf Jahre dauere. Aber die in den vergangenen Monaten kurzfristig gesunkene Kapazität, auf die Wieler sogar explizit hinwies, wird von der deutschen Gesundheitspolitik offensichtlich weiter als eine kaum veränderbare Bedingung betrachtet. Müsste nicht alles dafür getan werden, die ausgestiegenen Pfleger wieder zurückzuholen? Diese Frage ersparte man Spahn. Der spricht auch lieber von den „gesellschaftlichen Spannungen“, die entstünden, wenn der „geimpfte Krebspatient“ keine Operation bekomme, „weil ein ungeimpfter Covid-19-Patient einen Intensivplatz braucht“. Die Gesundheitspolitik in der Pandemie sieht ihre Aufgabe ganz offensichtlich vorrangig in der gesamtgesellschaftlichen Krankheitsvermeidung als in der Verbesserung der Leistungskapazitäten des Gesundheitssystems.

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