Genau zur Halbzeit der Ampelkoalition ruft die SPD ausgewählte Genossen zum Parteitag nach Berlin. Noch nie in einer Zeit, in der die Sozialdemokraten den Kanzler stellten, gingen die Mitglieder derartig depressiv zu ihrem Konvent. In den Umfragen liegt die Regierungspartei nur noch bei 14 Prozent. Und nach einer Erhebung von Infratest Dimap im Auftrag von ARD und WELT erklären gerade noch 17 Prozent der Befragten, sie seien „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ mit der Regierung.
Mit der Arbeit von Olaf Scholz als Kanzler zeigen sich noch ganze 20 Prozent einverstanden – der niedrigste Wert, der jemals im Deutschlandtrend seit 1997 für einen Regierungschef gemessen wurde. Wie schlimm es um die SPD steht, zeigt die aktuelle Wahlkreisprognose: Dort findet sich auf der Deutschlandkarte kein einziger roter Fleck.
Im Gebiet der alten Bundesrepublik dominiert das Schwarz der Union mit einigen grünen und AfD-blauen Einsprengseln. Im gesamten Osten bis auf Berlin würden die Wahlkreise an die AfD fallen.
Die CDU/CSU führt demnach in 321 Gebieten, die AfD in 109 Gebieten, die Grünen in 19, die SPD in Null. Selbst in ihren früheren Hochburgen macht die Partei keinen Stich mehr.
Die Funktionärs-SPD reagiert darauf, wie sie schon seit über 10 Jahren auf jeden Wählerverlust reagiert: Sie sieht ihre Rettung darin, noch ein Stück weiter nach links zu rücken. Entsprechend liest sich der Leitantrag des Parteivorstands: „Reiche“ sollen demnach eine „temporäre Krisenabgabe“ zusätzlich zur Steuerlast zahlen; den Solidaritätszuschlag – auch einmal nur „temporär“ – will die SPD für Besserverdiener „neu begründen und weiterführen“ – für einen „klimaneutralen Umbau der Wirtschaft“. Die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form, die immer noch eine Kreditaufnahme von gut 22 Milliarden Euro erlaubt, sieht der SPD-Leitantrag als „Standort- und Wohlstandsrisiko für Deutschland“. Außerdem im Angebot: eine „Reform“ der Erbschafts- und Schenkungssteuer, vulgo eine Erhöhung.
Alles in allem: mehr Umverteilung, höhere Steuern, Schulden möglichst ohne Grenzen, mehr Wirtschaftslenkung. Normalbürger, etwa Arbeiter und kleine Angestellte, die früher zur SPD-Kernwählerschaft zählten – und die sich nicht nach einem „klimaneutralen Umbau“ des Landes sehnen, der Zehntausende Jobs gefährdet – kommen in dieser Leitantragswelt nicht vor.
Demonstrativ lud die SPD nicht etwa einen Vertreter der dänischen Sozialdemokraten nach Berlin, die es schafften, mit einer realistischen Migrations- und Wirtschaftspolitik wieder Mehrheiten in der Mitte anzusprechen. Sondern den Sozialisten Pedro Sánchez aus Spanien, der sich nach seiner Wahlniederlage nur mit Stimmen der baskischen und katalanischen Separatisten und mit linksextrem-antisemitischen Unterstützern im Regierungsamt hält.
Vor dem Parteitag sagte Parteichef Lars Klingbeil, er sei zufrieden mit dem, was die Regierung auf den Weg gebracht habe: „Da sind sehr wichtige Dinge bei, die wir für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes entschieden haben, wie die Erhöhung des Mindestlohns.“ Und er verkündete eine verblüffende Zauberformel: „Wir müssen jetzt die Alltagssorgen der Menschen lösen.“
Im Alltag der Allermeisten – das zeigen die Umfragedaten – kommt die SPD allerdings überhaupt nicht mehr vor. Sozialdemokraten und Normalbürger leben weitgehend in getrennten Welten.