Die Zeit läuft. Der Sonntag ist nicht nur der Tag der Wahrheit für die Parteien. Es ist auch der Tag der Wahrheit für die Meinungsforscher. Was immer die einzelnen Institute im März, Juni oder August als politische Stimmung gemessen haben mögen: Erst am 24. September – und nur am 24. September – zeigt sich, wer richtig gelegen hat. Vorher kann nämlich kein Demoskop beweisen, dass er den Puls der Wähler genau gefühlt hat. Aber ein Institut kann für Schlagzeilen sorgen, wenn seine Daten deutlich von denen der anderen abweichen. Bei manchem Demoskopen hat man bisweilen den Eindruck, genau das sei auch beabsichtigt.
Interessant: Je näher der Wahltag rückt, umso näher rücken auch die Meinungsforscher mit ihren Zahlen zusammen. Inzwischen sagt kein einziges Institut der CDU/CSU noch 40 Prozent voraus; die Vorhersagen für die Union haben sich auf 36 bis 37 Prozent eingependelt. Auch für die SPD ist niemand mehr optimistisch. 20 bis 22 Prozent werden ihr vorhergesagt; es wäre das schlechteste Ergebnis seit dem 2. Weltkrieg. Der neue Konsens der Demoskopen: FDP und AfD dürften zweistellig abschneiden, die Grünen zwischen 7 und 8 Prozent. In einem Punkt sind sich alle einig: rechnerisch gibt es nur zwei Koalitionsmöglichkeiten: Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb-Grün.
Vergleicht man die Zahlen der Institute, fällt auf, dass INSA die Union fast durchweg niedriger als Allensbach, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap oder Forsa gesehen hatte, die AfD dagegen immer ein bis zwei Punkte höher als die anderen. Inzwischen nähern sich die übrigen Institute an die INSA-Werte an.
Die aktuellen Zahlen zeigen: Die GroKo-Parteien bringen es zusammen noch auf knapp 60 Prozent gegenüber 67 Prozent vor vier Jahren. Fast wie im politischen Lehrbuch hat die Große Koalition die Ränder anwachsen lassen. AfD und Die Linke sind zusammen fast so stark wie die einst stolze und große SPD. Wenn die Verfechter radikaler Lösungen am linken und rechten Rand den Ton der Debatte bestimmen, leidet darunter nicht nur das politische Klima; auch die Ergebnisse werden tendenziell schlechter.
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Seit Wochen wird heftig darüber spekuliert, wer am Sonntag drittstärkste Kraft wird: AfD, FDP oder die Linke? Darauf lassen sich Wetten abschließen. Doch von großer politischer Relevanz ist das nicht. Ja, die drittstärkste Fraktion hat das Vorrecht, dass ihre Redner in den Debatten immer als erste nach der Regierung ans Pult dürfen. Und was hat das der Linkspartei in den vergangenen vier Jahren genutzt? Außerhalb des Plenarsaals hat das so gut wie niemand bemerkt, dass die Oppositionsführer erst Gysi, später dann Wagenknecht und Bartsch hießen. Ob ein Redner mit seinen Argumenten Aufsehen erregt oder nicht, hängt nicht davon ab, wann er etwas sagt. Entscheidend ist, was er sagt. Das war noch in allen Legislaturperioden so. Das wird auch in der nächsten so sein.
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Wahlkampfweisheit zum Tage: Wirklich mündig sind die Bürger, die sich auch von großen Worten nicht klein kriegen lassen.