Markus Söder ist vermutlich der beste Wetterfrosch für politischen Opportunismus. Wenn der bayrische Ministerpräsident auf die Frage nach der Impfpflicht gegenüber Bild nicht mit einer großtuerischen Forderung sondern einer Ausflucht reagiert („Die Regierung muss einen Vorschlag machen, wann für wen und für welche Gruppen eine Impfpflicht gelten soll. Bei so einem gesellschaftlich umstrittenen Thema braucht es klare Souveränität“), dann kann man ziemlich sicher sein, dass sich im politischen Betrieb offenbar ein schon seit einigen Tagen zu erahnender Gesinnungswandel vollzieht. „Wann, für wen“ – allein diese Fragewörter sind eine ziemlich eindeutige Absage an eine allgemeine Impfpflicht. Und ab 1. März? „Sehr schwer“.
Und die Ministerpräsidentenkonferenz morgen? Die komme zu früh, sagt Söder, der offenbar von Lauterbachs Forderungen nach erneuten strengen Kontaktbeschränkungen nichts hält, denn: „Wir kommen langsam in den Bereich für den Mittelstand und für die Selbstständigen, da geht es an das Eingemachte.“
Ob nun der Eindruck der anhaltenden Demonstrationen ausschlaggebend ist, ob es die Furcht vor einem bürokratischen Umsetzungsdesaster ist oder tatsächlich der Eindruck der in den Nachbarländern allmählich um sich greifenden Tendenz, Omikron nicht als Lauterbachsche Horrorvision, sondern als absehbares Ausklingen der Pandemie zu begreifen – die Scheu, jetzt noch den großen Hammer im Kampf gegen die Ungeimpften herauszuholen, ist unüberhörbar bei Söder. Und er dürfte da – wie so oft – stellvertretend für den von Schwarmverhalten und Herdeninstinkten eher als von unumstößlichen Überzeugungen getragenen Stand der regierenden Politiker dieses Landes stehen.
Solche zarten Töne hat man weder von der Ampel in Berlin noch aus Unions-geführten Landesregierungen bislang vernommen. Womöglich ist der Ministerpräsident nun doch zu der Erkenntnis gelangt, dass man eine Protestbewegung von Hunderttausenden nicht einfach mit Polizeiknüppeln beseitigen kann – zumindest nicht in einem demokratischen Rechtsstaat.
Söder, der sich schon in der Einwanderungsfrage als ein hemmungsloser Meister des politischen Seitenwechsels im Dienste der persönlichen Opportunitäten erwies, scheint also auch jetzt den eigenen Übergang vom Corona-Hardliner zum vermeintlich abwägenden, versöhnlichen Mäßiger zu suchen. Und wenn er das tut, wird er auch diesmal seine Gründe dafür haben, die weniger mit den von ihm genannten als mit seinen Fühlern für die Stimmungslage in der Bevölkerung und vor allem in der politischen Klasse zu tun haben dürften.
Womöglich wusste Söder auch einfach schon, was kurz nach seinem Interview die Nachrichtenagentur AFP laut Pressemeldungen wusste: Anders als zunächst geplant, werde der Bundestag nicht in der kommenden Woche über die verschiedenen Vorschläge zur Impfpflicht beraten, sondern in der Sitzungswoche vom 24. Januar an solle zunächst eine „Orientierungsdebatte“ zum Austausch von Argumenten stattfinden – ohne dass bereits konkrete Gesetzentwürfe debattiert würden. Da suchen offenbar viele in Berlin nach einem einigermaßen gesichtswahrenden Ausstieg aus den Pflicht-Plänen.
Fast zeitgleich sagt schließlich der Chef der Südwest-FDP, Michael Theurer: „Je länger die Diskussion anhält, desto mehr stellt sich heraus, dass die Impfpflicht kein Allheilmittel ist.“ Und Justizminister Marco Buschmann, ebenfalls FDP sagt dazu: „Wenn das Impfen absehbar nur für zwei, drei Monate helfen sollte, dann spricht das eher gegen eine Impfpflicht.“ Und Ethikratsmitglied Augsberg stellt fest, dass Ungeimpfte „keine unzurechnungsfähigen Irren, sondern ernstzunehmende Bürger“ seien. Es sei „Wunschdenken“ zu glauben, dass die Impfpflicht aus der Pandemie herausführe.
Kurz gesagt: Eine allgemeine Impfpflicht wird immer unwahrscheinlicher.